NSU-Prozess:Auf der Spur der Ceska-Pistole

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"Wie kann man so was sagen? Das ist Wahnsinn": Ein Zeuge weist im NSU-Prozess den Vorwurf zurück, er habe einst die Tatwaffe besessen. Politisch gibt sich der Mann neutral. Die Polizei fand bei ihm allerdings Nazi-Musik.

Aus dem Gericht von Tanjev Schultz, München

Politisch sei er "neutral", sagt der Zeuge. Er gehe zu Demos der NPD, aber auch zu den Gegendemos. Was er denn dort suche, fragt ihn der Richter im NSU-Prozess. "Abenteuer, Spaß", antwortet Jürgen L., 42. Wenn es bei den Rechten nicht vorangehe und er mit denen "im Stau" stehe, wechsle er eben die Seite.

Wo steht dieser Mann aus Jena nun im NSU-Verfahren? Ein anderer Zeuge, der in einem rechten Szene-Laden gearbeitet hat, will im Jahr 2000 von Jürgen L. eine Pistole mit Schalldämpfer bekommen und sie weiterverkauft haben. Es könnte die Ceska-Pistole gewesen sein, mit der die NSU-Terroristen neun Menschen erschossen haben. Aus Sicht der Ermittler ist der Weg der Waffe am Anfang und am Ende weitgehend geklärt: Die Ceska-Pistole kam aus der Schweiz, schließlich landete sie in Jena in dem Laden. Dort soll sie der Angeklagte Carsten S. auf Geheiß des Angeklagten Ralf Wohlleben bestellt und dann zu Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gebracht haben. Unklar ist, durch welche Hände die Pistole zuvor gegangen ist.

"Ich hab' Schuhgröße 52"

Er habe mit der Waffe nichts zu tun, sagt Jürgen L., ein schlaksiger Mann, 2,06 Meter groß. Was der andere Zeuge behauptet habe, sei gelogen. Vielleicht habe der "im Drogenwahn" geredet. L. will den Szene-Laden nur besucht haben, um Schuhe zu kaufen und mit Leuten zu quatschen. "Ich hab' mich immer totgelacht, weil die nix gebacken gekriegt haben. Die konnten keine Schuhe besorgen." Was war das Problem? "Ich hab' Schuhgröße 52."

Jürgen L., der als Beruf "Tauchlehrer" angibt (zurzeit allerdings: "nix"), saß mehrmals im Gefängnis, und die Ermittler trauen ihm vieles zu. Der Zeuge aus dem Laden hat ausgesagt, L. sei dafür bekannt gewesen, quasi alles besorgen zu können. "Wie kann man so was sagen? Das ist Wahnsinn", sagt Jürgen L. dazu. Vermutlich sei er schlicht verwechselt worden. Es sei alles totaler Quatsch.

Andere Zeugen erinnern sich, dass Jürgen L. früher zu einer Jugendbande in Jena gehört habe, die Autos geknackt und Diebstähle begangen haben soll. Dieses Gerede von so einer Jugendbande sei ebenfalls Quatsch, sagt L. hörbar genervt.

Kontakt zum mutmaßlichen NSU-Helfer Wohlleben

Einer seiner guten Bekannten ist der mehrfach vorbestrafte Enrico T., der in einem anderen Verfahren wegen einer Falschaussage verurteilt wurde. Enrico T. wiederum ist eng befreundet mit einem Schweizer, der zeitweise die Ceska-Pistole besessen haben soll. Und T. kannte aus Jugendtagen auch Uwe Böhnhardt. Jürgen L. hingegen will Böhnhardt nicht bewusst getroffen haben, auch wenn er mal zur selben Zeit wie dieser im selben Gefängnis gewesen sein soll. Lediglich Kontakte zum mutmaßlichen NSU-Helfer Wohlleben bestätigt der Zeuge. Ihn habe er bei der NPD und vor dem "Braunen Haus" in Jena gesehen, einem Treffpunkt der rechten Szene. Er habe sich bei Wohlleben danach erkundigt, wo eine Demo stattfindet: "Vielleicht weiß er, wo mehr Spektakel ist."

Auf einer Festplatte, die bei Jürgen L. beschlagnahmt wurde, fanden die Ermittler Unterlagen zu Waffenzubehör und ein Dokument "Einführung in die Sprengchemie". Das Material stamme wohl von fremden Computern, die er repariert habe, sagt L.; er habe Sicherungskopien gemacht.

Im Internet soll der politisch angeblich neutrale Mann die Grußformel "Heil dir" verwendet haben. Und im Verzeichnis "Neuer Ordner max", erstellt im Juli 2010, fand die Polizei Musik von Neonazi-Bands und Fotos von NS-Devotionalien. In einem Vermerk erinnert ein BKA-Beamter daran, dass sich Mundlos im Untergrund "Max" nannte. Man habe allerdings keine Hinweise darauf, dass der Ordner sich auf diesen Max bezogen hätte.

© SZ vom 06.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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