Im Fall der rechtsextremen Drohmails mit dem Absender "NSU 2.0" haben die Ermittler nun insgesamt vier Polizeibeamte aus Hamburg und Berlin im Visier. Nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung und des WDR sind die vier bereits als Verdächtige vernommen worden. Die Ermittler halten die Indizienlage indes für dünn. Keiner der Beamten ist deshalb von der Ausübung der Dienstgeschäfte entbunden worden.
In Hamburg sind es ein Mann und eine Frau, die unabhängig voneinander ihren dienstlichen Zugang zu Polizeirechnern genutzt haben sollen, um ohne triftigen Grund die persönlichen Daten von Hengameh Yaghoobifarah abzurufen. Yaghoobifarah erhielt Drohmails unter dem Pseudonym "NSU 2.0", die auch solche persönlichen Daten enthielten, die nicht öffentlich zugänglich sind. Mit einer taz-Kolumne unter dem Titel "All cops are berufsunfähig" hatte Yaghoobifarah am 15. Juni Empörung insbesondere unter Polizisten ausgelöst.
Rechtsextremismus:Verdächtige Anrufe
Erneut finden sich private Daten in Drohmails mit dem Absender "NSU 2.0". Wie kann das sein? Womöglich gab es in weiteren Bundesländern Abfragen über Polizeicomputer -diskutiert wird aber auch über ein anderes Szenario.
Zwei Sonderermittler aus Hessen, dem Land, in dem die ersten Opfer der "NSU 2.0"-Drohserie leben, sind deshalb eigens nach Hamburg gekommen und haben von den Polizeikollegen Erklärungen verlangt. Die Beamtin, die im Polizeirevier Hamburg-Mitte arbeitet, gab an, sie sei nach der taz-Kolumne einfach neugierig gewesen, wer Yaghoobifarah sei. Ihr Kollege, der im Revier Hamburg-Neugraben arbeitet, gab an, er sei so wütend gewesen, dass er Anzeige gegen Yaghoobifarah erstatten wollte. Dann aber habe er mitbekommen, dass die Deutsche Polizeigewerkschaft dies ohnehin schon getan habe.
Beide Beamte sollen bestritten haben, etwas mit Rechtsextremen zu tun zu haben, und auch aus Sicht der hessischen "NSU 2.0"-Sonderermittler spricht offenbar nichts dafür, dass sie die erlangten Daten verwendet oder weitergegeben haben. Ob nun überhaupt disziplinarische Konsequenzen auf die Beamten zukommen, will nicht die Polizei selbst entscheiden, sondern sie überlässt diese Prüfung dem Hamburger Datenschutzbeauftragten.
In Berlin sind es ebenfalls zwei Beamte in unterschiedlichen Revieren der Stadt, die ein Opfer der "NSU 2.0"-Drohserie ausgespäht haben sollen. In diesem Fall betrifft es die Kabarettistin İdil Baydar. In einer Wache in Spandau und in einer Wache in Neukölln sollen die privaten Daten von Baydar ohne einen dienstlichen Grund abgefragt worden sein. Besonders auffällig ist dabei das Datum, der 5. März 2019. Denn am selben Tag gab es eine solche Abfrage auch in einer Polizeiwache in Wiesbaden.
Die Berliner Beamten scheinen zwar keine rechte Erklärung gehabt zu haben für ihre verdächtige Datenabfrage. Ein Zusammenhang zu den "NSU 2.0"-Drohungen ist aber nicht belegt. Denn allzu viele private Details hatten die Beamten in Berlin erkennbar nicht abgerufen, vor allem keine Namen von Familienangehörigen der Kabarettistin Baydar. Als İdil Baydar aber wenige Tage später, am 15. März, eine Droh-SMS erhielt, anonym versendet über die Website 5vor12.de, da stand darin auch der Vorname ihrer Mutter.
Es kommt immer wieder vor, dass Polizeibeamte private Daten auch unbefugt abfragen. Deshalb kann nicht aus jeder verdächtigen Datenabfrage geschlossen werden, der Täter habe zwingend etwas mit den Verfassern der Drohmails zu tun. In Berlin hat die Landesdatenschutzbeauftragte, Maja Smoltczyk, in ihrem Bericht von 2019 kritisiert, dass in der Polizeidatenbank Poliks Abfragen auch "ohne die Angabe konkreter Gründe" möglich seien. Beamte müssten nur "sehr allgemeine" Abfragegründe wie "Vorgangsbearbeitung" oder "sonstiger Grund" auswählen. 2017 hatte es in Berlin anonyme Drohschreiben unter anderem an Angehörige der linken Szene und an Journalisten gegeben, die auf Daten aus Polizeidatenbanken fußten.