Noch fehlen Details, doch die Quelle ist glaubwürdig: Der prominente Investigativjournalist Michael Isikoff ist nicht dafür bekannt, seinen Ruf mit erfundenen Geschichten aufs Spiel zu setzen oder sich instrumentalisieren zu lassen.
Das FBI soll einen zweiten Whistleblower aus dem NSA-Komplex identifiziert haben, berichtet Isikoff für das US-Portal Yahoo. Die Person soll für einen Dienstleister des Geheimdienstes gearbeitet und Informationen über die Terrorismus-Watchlist der Behörden an das Enthüllungsportal The Intercept weitergegeben haben.
Bislang, so schreibt Isikoff, sei noch keine Anklage erhoben worden. Das FBI habe allerdings das Haus des Verdächtigen im Norden von Virginia durchsucht, die Staatsanwaltschaft soll ein Verfahren eingeleitet haben.
Bestätigt sich der Verdacht, könnten die Ermittler einen zweiten Edward Snowden identifiziert haben. Bereits in den vergangenen Monaten war über die Existenz eines weiteren Whistleblowers im Umfeld der NSA spekuliert worden. Eine Chronologie:
3. Juli 2014: Der Sicherheitsexperte Bruce Schneier bloggt erstmals über eine entsprechende Vermutung, dass ein weiterer Whistleblower existieren könnte. Unter anderem deuteten Enthüllungen über die Überwachung von Interessenten an der Verschlüsselungs-Software Tor (vom gleichen Tag) und eine Auflistung von Spezialwerkzeugen der NSA (Ende 2013) darauf hin, dass die entsprechenden Informationen nicht von Snowden stammten. Die Recherchen, an denen der Internet-Aktivist Jacob Applebaum beteiligt war, erschienen im NDR/WDR beziehungsweise im Spiegel. Glenn Greenwald, der die Snowden-Dokumente 2013 an die Öffentlichkeit gebracht hatte, twittert, dass die Existenz einer zweiten Quelle nun "deutlich" sei.
5. August 2014: Greenwalds Medium The Intercept veröffentlicht ein Dokument des "Direktoriums terroristischer Identitäten", das den Namen "Strategische Errungenschaften 2013" trägt. In den Behörden-Papieren ist von 680.000 als "bekannte und mutmaßliche Terroristen" eingestuften Personen die Rede. Der zugehörige Artikel stammt aus der Feder der beiden Autoren Jeremy Scahill und Ryan Devereaux. Das Geheimdienst-Dokument stammt vom August 2013 - zu diesem Zeitpunkt war Edward Snowden bereits in Moskau, was ihn als Absender der Datei ausschließt.
5. August 2014: Nur wenige Stunden nach der Intercept-Veröffentlichung berichtet CNN unter Berufung auf "Offizielle", dass die Regierung aus neuen Enthüllungsberichten den Schluss zieht, es müsse einen weiteren Whistleblower geben. Kurz darauf meldet Reuters, dass die Geheimdienste überlegen, das US-Justizministerium um die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens zu bitten.
10. Oktober 2014: "Citizenfour", der Dokumentarfilm über Edward Snowden, feiert in New York Weltpremiere. In einer Szene aus einem Treffen zwischen Greenwald und Snowden in Moskau berichtet der Journalist von einer weiteren Quelle. "Diese Person ist unglaublich mutig", erzählt er Snowden, "sie wurde davon angespornt, was du getan hast." Viele Medien greifen den Dialog auf.
23. Oktober 2014: In einem Interview erklärt nun auch Intercept-Autor Jeremy Scahill, das am 5. August veröffentlichte Dokument von einer "zweiten Quelle" zu haben. Es handele sich um einen "extrem mutigen und prinzipientreuen Whistleblower".
Wie das FBI diesem "mutigen und prinzipientreuen Whistleblower" auf die Spur kam, ist unklar. Offenbar, so schreibt Yahoo-Reporter Isikoff übereinstimmend mit dem CNN-Bericht, hätten die Enthüllungen des 5. August die Behörden in Alarm versetzt. Gleichzeitig ist die Weitergabe der Anti-Terror-Statistiken nicht mit der Übermittlung Tausender Dokumente vergleichbar, wie sie Snowden 2013 initiierte.
Wie sich der angebliche Whistleblower verhält und wo er sich befindet, ist nicht bekannt. Auch darüber, wie die Person an die Dokumente kam, kann nur spekuliert werden - allerdings haben auch nach den Snowden-Enthüllungen weiterhin Tausende Mitarbeiter von Subunternehmen Zugriff auf bestimmte NSA-Datenbanken.
Unklar ist aber auch, wie das US-Justizministerium mit dem aktuellen Fall überhaupt umgehen will. Aktivisten, Bürgerrechtsgruppen und Medienvertreter kritisieren die Obama-Regierung schon seit Jahren für ihre harte Haltung gegenüber Whistleblowern in Regierungseinrichtungen. Sie wurden bereits in mehreren Fällen wegen Geheimnisverrats angeklagt. Als juristisches Hilfsmittel fungiert ein Anti-Spionage-Gesetz aus dem Jahr 1917.
Justizministerium wird Entscheidung hinauszögern
"Im Justizministerium ist der Appetit auf solche Fälle nicht mehr besonders groß", zitiert Isikoff einen ungenannten Offiziellen zu "Snowden II". Weil der amtierende Justizminister Eric Holder nur noch im Amt ist, bis ein Nachfolger ernannt ist, dürfte er die Entscheidung über eine mögliche Anklage nicht mehr selber treffen wollen.
Die Intercept-Journalisten haben sich bislang noch nicht konkret zu dem Fall geäußert. Sie dürften sich schon aus Gründen des Quellenschutzes jede Form von Bestätigung oder Dementi verkneifen. Unklar ist, ob die US-Behörden sie im Falle einer Anklage zur Aussage zwingen wollen.
Im ähnlich gelagerten Fall des New-York-Times-Reporters James Risen, der angeblich von einem CIA-Mitarbeiter Informationen über eine Operation in Iran erhielt, wollte die Staatsanwaltschaft den Journalisten zunächst zu einer Aussage vor Gericht zwingen. Inzwischen hat das Justizministerium davon jedoch Abstand genommen.