NS-Verbrechen:Gnade den Gnadenlosen

Müssen NS-Täter in der Zelle sterben? Recht ohne Gnade wird tödlich.

Von Heribert Prantl

Der Staat des Grundgesetzes ist ein Staat des Rechts, nicht ein Staat der Rache und Vergeltung. In Akten der Menschlichkeit zeigt sich die Stärke dieses Staates eindrucksvoller als in allen Gesetzesverschärfungen. Es wäre ein Akt der Menschlichkeit gewesen, den heute 96-jährigen NS-Verbrecher Oskar Gröning gnadenhalber von Haft zu verschonen. Der Staat hat sich diesem Akt der Gnade verweigert. Gröning wird als Greis in der Zelle sterben. Das ist Recht, aber nicht richtig. Recht ohne Gnade wird tödlich.

Gröning, der "Buchhalter von Auschwitz", ist erst über siebzig Jahre nach seinen Verbrechen wegen Beihilfe zum Mord in 300 000 Fällen zu einer Haftstrafe von vier Jahren verurteilt worden. Er hatte sich zuvor, anders als viele andere NS-Täter, zu seiner "moralischen Schuld" bekannt. Die gerichtliche Feststellung der Fakten und der Schuld des Angeklagten war wichtig und richtig; darin liegt der Protest der Gesellschaft gegen Unmenschlichkeit und Barbarei. Es ist aber weder wichtig noch richtig, einen Greis einzusperren, auf dass er in der Haft stirbt. Gnade ist bei einem fast Hundertjährigen kein Akt der Verharmlosung oder gar der Vergebung, sondern eine Geste der Humanität.

Die Behörden, die Gnade abgelehnt haben, verwiesen auf die Schwere der Taten; die ist unermesslich. Die Durchsetzung des Strafanspruchs, sagen die Behörden, habe hier besonderes Gewicht. Das ist prinzipiell richtig, aber im konkreten Fall falsch. Gewicht hat, für alle Zeit, der Schuldspruch.

© SZ vom 18.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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