Sylvia Löhrmann ist Spitzenkandidatin der Grünen bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai. Seit 2000 führt die 53-Jährige die Landtagsfraktion der Grünen in NRW.
sueddeutsche.de: Frau Löhrmann, herzlichen Glückwunsch, die Grünen in NRW liegen in Umfragen satt im zweistelligen Bereich ohne erkennbar etwas dafür getan zu haben. Haben Sie eine Erklärung für dieses kleine Wunder?
Sylvia Löhrmann: Das ist kein Wunder. Wir haben als Grüne in Nordrhein-Westfalen beständig und erkennbar gut an Zukunftsthemen gearbeitet. Das sind die Themen Bildung, Energiewende und die kommunalen Finanzen. Wir werden als berechenbarer und glaubwürdiger Faktor in der Politik wahrgenommen. Aber natürlich kommt hinzu die katastrophale Politik der schwarz-gelben Regierung im Land, die zu einer sozialen Spaltung geführt hat, und die Chaoskoalition in Berlin. Ich gehe davon aus, dass uns all das zu einem zweistelligen Ergebnis führen wird.
sueddeutsche.de: Andere Parteien machen große Wahlversprechen. Zumindest die FDP hatte damit bei der Bundestagswahl großen Erfolg. Ist es nicht ein Risiko, diese Karte nicht zu spielen?
Löhrmann: Auch wir geben natürlich Wahlversprechen ab, genau genommen - Zukunftsversprechen. Wir wollen etwa ein ideales Bildungssystem in Nordrhein-Westfalen schaffen. Anders aber als die FDP wollen wir unsere Ziele mit und nicht gegen die Menschen umsetzen.
sueddeutsche.de: Das heißt?
Löhrmann: Die Menschen haben es satt, in Bund und Land einen Reformhype nach dem anderen erdulden zu müssen, die dann doch in die Hose gehen. Das sieht man zum Beispiel etwa an dem Turboabitur, das die Landesregierung mit vielen Mängeln Hals über Kopf durchgeboxt hat.
sueddeutsche.de: Sie kündigen doch auch Schulreformen an. Warum sollten die Menschen Ihnen mehr Glauben schenken?
Löhrmann: Natürlich halten wir längeres gemeinsames Lernen für besser als das selektive mehrgliedrige Schulsystem. Aber wir wollen das eben nicht von oben herab durchdrücken, sondern den Kommunen und Schulen die Möglichkeit geben, diesen Entwicklungsprozess in größtmöglichem Konsens zu gestalten. Das heißt, Bildungsgänge vor Ort in Gemeinschaftsschulen zusammenzuführen, und zwar einschließlich gymnasialer Standards. Das wollen die Eltern, die sinkenden Schülerzahlen erhöhen den Handlungsdruck. Es geht darum, vernünftige Reformprozesse nachvollziehbar einzuleiten.
sueddeutsche.de: In den kommenden Jahren wird die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse die Landeshaushalte knebeln. Wie wollen Sie damit umgehen?
Löhrmann: Zuerst brauchen wir am 9. Mai ein Stoppsignal gegen weitere Steuersenkungen. Das wird es nur geben, wenn Schwarz-Gelb in NRW abgewählt wird.
sueddeutsche.de: Steuersenkungen zu verhindern schafft weder Mehreinnahmen noch wird effektiv gespart.
Löhrmann: Alle öffentlichen Haushalte sind strukturell unterfinanziert. Wir sind für eine Vermögensabgabe und einen höheren Spitzensteuersatz. Starke Schultern müssen mehr tragen. Im Land werden wir dafür sorgen, dass mehr Steuerprüfer eingestellt werden. Das rechnet sich sofort.
sueddeutsche.de: Mit Verlaub: Die Schuldenbremse verlangt von den Ländern Milliardensummen, die eingespart werden müssen. Ihre Vorschläge werden das Problem vielleicht lindern, aber nicht lösen. Sparen ist in den Dimensionen kaum mehr möglich. Ihnen bleibt nur, massiv die Steuern zu erhöhen oder die Schuldenbremse zu lockern, um mit mehr Schulden die notwendigen Ausgaben bestreiten zu können und auf bessere Zeiten zu hoffen. Was ist Ihr Weg?
Löhrmann: Schwarz-Gelb hat eine völlig verfahrene Situation in der Haushaltspolitik verursacht. Selbst Nordrhein-Westfalens CDU-Finanzminister Helmut Linssen sagt, dass ein ausgeglichener Haushalt nicht vor 2020 möglich sein wird.
sueddeutsche.de: Ist das auch Ihre Position?
Löhrmann: Nein, aber wir müssen das Instrument der Schuldenbremse kritisch hinterfragen. Ich sehe derzeit nicht, wie sie überhaupt einzuhalten ist, zumal die Länder so gut wie keinen Einfluss auf ihre Einnahmen haben. In vielen Kommunen ist es jetzt schon so, dass sie alle freiwilligen Leistungen auf null kürzen können und immer noch vor dem Bankrott stehen.
sueddeutsche.de: Was muss geschehen?
Löhrmann: Wir brauchen eine Verständigung von Bund, Ländern und Gemeinden, wie wir die schwierige Finanzsituation nachhaltig verbessern können. Ich hoffe, dass das Ergebnis der NRW-Wahl auch in der Bundesregierung die Bereitschaft wachsen lässt, darüber zu reden.
sueddeutsche.de: Sie wollen Ihre Pläne am liebsten in einer rot-grünen Landesregierung umsetzen. Die Umfragen lassen eher auf ein Patt schließen, mit dem weder Schwarz-Gelb noch Rot-Grün eine Mehrheit hätten. Verbindet Sie genug mit Jürgen Rüttgers, um mit ihm im Zweifel ein schwarz-grünes Experiment zu wagen?
Löhrmann: Wir kämpfen für Rot-Grün, und Rot-Grün ist möglich. Das ist unsere Wunschkonstellation. Wenn das nicht reicht, sind wir bereit, andere Optionen zu prüfen. Maßstab ist eine handlungsfähige Regierung mit einem Maximum an grünen Inhalten. Ausgeschlossen haben wir ein Jamaika-Bündnis mit CDU und FDP und eine Tolerierung durch die Linkspartei.
Lesen Sie auf Seite 2, welche Gemeinsamkeiten Löhrmann mit der CDU sieht - und was Sie von den Linken als möglichem Koalitionspartner hält.
sueddeutsche.de: Was ist mit der CDU denn machbar?
Löhrmann: Das werden wir sehen. Wie die CDU wollen wir aus der subventionierten Steinkohle aussteigen. Das trennt uns übrigens von der SPD.
sueddeutsche.de: Ist nicht gerade viel Gemeinsamkeit, oder?
Löhrmann: Richtig. Es gibt punktuelle Gemeinsamkeiten. Aber Verhandlungen mit der CDU wären sehr, sehr schwierig.
sueddeutsche.de: Manche Linke in Ihrem Landesverband wollen offenbar die Hürden für eine schwarz-grünes Bündnis so hoch schrauben, dass Verhandlungen mit der CDU von vornherein keinen Sinn ergäben. Es wird schon von Flügelkämpfen gesprochen. Was ist da dran?
Löhrmann: Wir haben einstimmig ein Wahlprogramm und fast einstimmig eine Wahlaussage beschlossen. Wir werden aus dem von Ihnen angesprochen Papier sicher Anregungen aufnehmen. Daraus aber einen Flügelkampf abzuleiten ist absurd. Da werden Duftmarken gesetzt, und das ist auch in Ordnung in einer diskussionsfreudigen Partei wie den Grünen.
sueddeutsche.de: Wie konnte es eigentlich passieren, dass der Arbeiterführer Rüttgers plötzlich um seine Mehrheit bangen muss?
Löhrmann: CDU und FDP haben mit schönen Sprechblasen versucht, ihre Politik der sozialen Spaltung zu übertünchen. Das fällt ihnen jetzt auf die Füße. Dadurch, dass wir jetzt Schwarz-Gelb auch auf Bundesebene haben, merken die Menschen: Hier werden die Weichen rückwärts und nicht in die Zukunft gestellt.
Hinzu kommt natürlich, dass es nicht zu einem Arbeiterführer passt, wenn Gesprächstermine mit dem Ministerpräsidenten gegen erhöhte Standmieten auf Parteitagen angeboten werden. Oder dass die CDU-Landtagspräsidentin ohne erkennbare Gegenleistung 30.000 Euro von der Ruhrkohle AG erhält. Deswegen bröckelt das so mühsam aufgebaute Image von Rüttgers. Die Menschen haben am 9. Mai Gelegenheit, darüber abzustimmen, was sie von dieser Art der politischen Kultur halten.
sueddeutsche.de: Es könnte nach der Wahl rechnerisch auch für ein Linksbündnis aus SPD, Grünen und Linken reichen. Jetzt sind aber selbst Vertreter aus der Bundesspitze der Linken skeptisch, ob die Linke in NRW überhaupt regierungsfähig ist. Ist sie denn für Sie ein ernstzunehmender möglicher Partner?
Löhrmann: Die Linke muss sich erst mal entscheiden, ob sie überhaupt regieren will. Auf diese Kernfrage ist sie den Menschen NRW noch eine Antwort schuldig. Wenn sie nicht regieren will, dann ist jede Stimme für die Linke eine Stimme für Rüttgers.
sueddeutsche.de: Gesetzt den Fall, sie entscheidet sich fürs Regieren: Das Personal der Linken ist - vorsichtig formuliert - eher unerfahren im parlamentarischen Betrieb, von Regierungserfahrung ganz zu schweigen. Können die überhaupt regieren?
Löhrmann: Wir würden ausloten, was geht. Ich kann aber klar sagen, was nicht geht. Zum Beispiel Großkonzerne zu verstaatlichen. Energiekonzerne wären dadurch keinen Deut ökologischer. Für die Energiewende brauchen wir Wettbewerb und kleine dezentrale Strukturen. Aber noch mal: Entscheidend wird für uns sein, mit wem wir unsere grünen Inhalte am besten umsetzen können.
sueddeutsche.de: Bleibt noch die FDP. Im Gegensatz zu Schwarz-Gelb-Grün haben Sie Rot-Gelb-Grün nicht ausgeschlossen. Reicht Ihre Phantasie, sich mit Landes-FDP-Chef Andreas Pinkwart an einen Kabinettstisch zu setzen?
Löhrmann: Wir haben diese Option formal nicht ausgeschlossen, halten sie aber für sehr unwahrscheinlich. Wir haben es in NRW mit einer FDP zu tun, die sich als marktradikale Partei am rechten Rand des demokratischen Spektrums aufstellt. Sie propagiert Privat vor Staat, setzt Freiheit vor Gleichheit und hat aus der Finanzkrise nichts gelernt. Das sind die Erben Möllemanns, die hier am Zuge sind.
sueddeutsche.de: Dann doch lieber Opposition?
Löhrmann: Das werden wir sehen. Wir setzen auf Sieg. Aber dass wir auch in der Opposition gut sind, haben wir ja bewiesen.