NPD-Verbotsverfahren:Warum es so schwierig ist, die NPD zu verbieten

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Vor Beginn des NPD-Verbotsverfahrens sind die Bundesverfassungsrichter nervös: Sie wissen nicht wirklich, was sie erwartet. (Foto: dpa)

Die Partei erzeuge eine "Atmosphäre der Angst", argumentiert die Anklage - doch das muss sie erst einmal beweisen. Die NPD hat für den Prozess einige "Knaller" angekündigt.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Im Bundesverfassungsgericht herrscht diese Art von gespannter Erwartung, die - wenn die Geschichte vorbeischaut - auch den Routiniertesten befällt. Und die dreitägige Anhörung, die kommenden Dienstag beginnt, gehört fraglos in die Kategorie historisch: Verhandelt wird über den Antrag des Bundesrats, die NPD zu verbieten. Ein Parteiverbot gab es zuletzt 1956, damals gegen die KPD.

Der wahre Grund für die Nervosität der Karlsruher Richter ist jedoch: Sie wissen nicht wirklich, was sie nächste Woche erwartet. Was der Bundesrat will, das steht in den Schriftsätzen der Berliner Professoren Christian Waldhoff und Christoph Möllers - aber die NPD hat sich inhaltlich noch nicht geäußert. Der junge NPD-Anwalt Peter Richter, der in Karlsruhe als smarter Jurist gilt, hat den einen oder anderen "Knaller" angekündigt. Und was ein "Knaller" ist, weiß man, seit im Jahr 2003 der erste Anlauf für ein Verbot krachend scheiterte - weil zu viele V-Leute des Verfassungsschutzes in den NPD-Vorständen saßen.

Diesmal soll die NPD-Staatsebene wirklich "staatsfrei" sein

Tatsächlich hat der Bundesrat große Mühe auf den Nachweis verwendet, dass die NPD-Vorstandsebene diesmal wirklich "staatsfrei" sei. Im Mai schickten Möllers und Waldhoff ein Konvolut von internen Vermerken und Gesprächsprotokollen nach Karlsruhe - die bürokratische Spur der Spitzelentsorgung. Elf V-Leute habe es am 1. Dezember 2011 im Bundes- und in den Landesvorständen der NPD gegeben. Ende März 2012 seien die letzten Quellen abgeschaltet und im Dezember die letzten Nachsorge-Kontakte gekappt worden.

Was also könnte der "Knaller" sein? Die Enttarnung der früheren V-Leute, deren Namen dem Gericht bisher nur geschwärzt vorliegen? NPD-Anwalt Richter hat kürzlich etwas in der Art angedeutet, aber das wäre eher eine Platzpatrone - unschön für den Verfassungsschutz, aber kein Problem für das Verfahren, solange die V-Leute rechtzeitig abgeschaltet wurden. Der Bundesrat, für den die vier Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich, Hannelore Kraft, Horst Seehofer und Winfried Kretschmann nach Karlsruhe reisen werden, will jedenfalls für Nachfragen gewappnet sein: Seine 70 Plätze im Gerichtssaal werden zu einem großen Teil von Polizei und Verfassungsschutz besetzt sein.

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So steht das jedenfalls auf der Facebook-Seite des Landesverbands Rheinland-Pfalz. Ein Anruf bei dem Vorsitzenden.

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Doch auch wenn die Antragsteller diesen mit "Verfahrenshindernisse" überschriebenen Gliederungspunkt II. unfallfrei überstehen, haben sie den Prozess noch nicht gewonnen. Zwar hat der Zweite Senat mit der Eröffnung des Verfahrens signalisiert, dass der Verbotsantrag plausibel, vielleicht sogar aussichtsreich sei. Aber das Gericht wird sich die Entscheidung schon deshalb nicht leicht machen, weil das Verfahren weit über Deutschland hinaus Beachtung findet; ein leichtfertiges Parteiverbot könnte in verfassungsrechtlich eher wankelmütigen Staaten dankbar aufgenommen werden, um sich der unliebsamen Opposition zu entledigen.

Aber nach welchem Maßstab beurteilt man, ob Parteien - wie es in Artikel 21 Grundgesetz heißt - "nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik zu gefährden"? Die Obersätze aus dem KPD-Urteil von 1956 ("aggressiv-kämpferische Haltung") sind überholt, der Senat wird neue Kriterien formulieren müssen. Dabei scheint nicht so sehr entscheidend zu sein, ob die Partei schon zu einem Machtfaktor geworden ist - sonst hätte es das Verfahren gegen die politisch marginalisierte und finanziell klamme NPD gar nicht erst eröffnet. Für ein Verbot ausreichend könnte bereits die Störung des "demokratischen Prozesses" in bestimmten Regionen sein.

Möllers und Waldhoff wollen daher an Beispielen deutlich machen, dass in einigen Gegenden bereits eine "Atmosphäre der Angst" herrsche - durch Einschüchterung von Lokalpolitikern, Aufmärsche, auch durch Brandanschläge. Die Professoren zeichnen ein bedrückendes Bild einer von rechtsextremer Aggression geprägten Wirklichkeit. Nur: Der NPD die Urheberschaft dafür nachzuweisen, wird gar nicht so einfach sein. Dazu muss man wissen, dass das Parteiverbotsverfahren Ähnlichkeit mit dem Strafprozess hat. Die NPD ist die Angeklagte, und sie steht sozusagen unter dem Schutz der Unschuldsvermutung.

Was zur Verurteilung beitragen soll, muss der Partei zweifelsfrei nachgewiesen werden. Eindeutigkeiten sind aber in der braunen Melange aus Neonazis, radikalisierten Bürgern und NPD-Funktionären eher selten. Zum Beispiel Tröglitz: Markus Nierth war als Ortsbürgermeister zurückgetreten, weil NPD-Anhänger vor seinem Haus aufmarschiert waren. Organisator war ein NPD-Funktionär - aber der Aufzug war behördlich erlaubt, und Nierth sagte in einem Interview, er sei zumindest nicht direkt bedroht worden.

"Ich zeige die Vorfälle immer an, aber am Ende kommt es zu einem Freispruch."

Oder Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern: Karen Larisch, Sozialarbeiterin, wird immer wieder von einer gewaltbereiten "Bürgerwehr" bedroht, weil sie sich für Flüchtlinge engagiert. Als Anführer taucht häufig ein NPD-Stadtrat auf - der sich freilich von direkten aggressiven Übergriffen fernhält. Kaum möglich, ihn unmittelbar dafür haftbar zu machen, sagt Larisch: "Ich zeige die Vorfälle immer an, aber am Ende kommt es zu einem Freispruch."

Gewiss, ob bei den Anti-Asyl-Protesten in Heidenau oder in Schneeberg im Erzgebirge: Häufig hat die NPD die Finger im Spiel. Die Crux ist aber, dass das Bundesverfassungsgericht beim Verbotsverfahren selbst die erste Instanz ist. Es müsste all jene Details aufklären, bei denen sogar die örtliche Justiz nicht sonderlich weit gekommen ist. Sieben Monate nach den Ausschreitungen von Heidenau ist gerade einmal ein Teilnehmer verurteilt - wegen Beleidigung. Ähnlich war es in Lalendorf in Mecklenburg: Dort war 2010 der Bürgermeister bedroht worden - das Amtsgericht Güstrow sprach fünf Neonazis frei, darunter einen NPD-Abgeordneten.

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Der Zweite Senat hat zu diesen Vorfällen keine unmittelbar Beteiligten als Zeugen vorgeladen. Das lässt den Schluss zu: Man wird sich auf die Ausführungen mehrerer Sachverständiger konzentrieren und vor allem auf die Dokumente, die dem Gericht vorgelegt worden sind - Artikel, Reden, Wahlplakate.

Gewiss, da ist viel braunes Geschwurbel und rechtsradikales Maulheldentum dabei - aber aus den Quellen lassen sich durchaus einige verfassungsrechtlich relevante Konturen zeichnen. Aus dem unverhohlenen Antisemitismus lässt sich ein Grundwiderspruch der NPD zur Fundamentalnorm des Grundgesetzes ablesen - dem Schutz der Menschenwürde. Vor allem aber könnte ihre Nähe zur NSDAP eine zentrale Rolle spielen. Das Institut für Zeitgeschichte hat eine neue Stellungnahme vorgelegt: Mit ihrem "klar identifizierbaren Weltbild, das auf biologistischen und rassistischen Grundlagen beruht", weise die NPD eine Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus auf. Daraus lässt sich ein Argument für ein Verbot gewinnen, weil das Grundgesetz die Antwort auf das Unrecht des Nazi-Regimes war.

Bleibt die Frage, was mit einem Verbot gewonnen wäre. Karen Larisch, die Sozialarbeiterin aus Güstrow, hat darauf eine klare Antwort. "Solange die NPD im Kreis und im Stadtrat sitzt, darf sie an jeder Ausschusssitzung teilnehmen." Wäre sie verboten, könnte man dort endlich offen reden.

© SZ vom 26.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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