Norwegen:Ein Massenmörder fühlt sich gefoltert

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Der Oslo-Attentäter Anders Breivik klagt gegen seine Haftbedingungen, er leide unter der Isolation. Lässt sich der Staat von dem Neonazi, der 77 Menschen getötet hat, vorführen?

Von Silke Bigalke, Stockholm

Im norwegischen Fernsehen lief am letzten Prozesstag eine Satiresendung: Anders Behring Breivik als pensionierter Terrorist im Jahr 2056. Er war durch die Zeit gereist, hinter ihm schwebte der DeLorean aus "Zurück in die Zukunft". Breivik wollte sein früheres Ich im Jahr 2011 von den Anschlägen abhalten: "Tu es nicht, im Gefängnis ist der Kaffee kalt!"

Mit Humor lässt es sich vielleicht am besten ertragen, wenn der Massenmörder über kalten Kaffee, das Fernsehprogramm und Plastikbesteck jammert. Wenn einer, der 77 Menschen umgebracht hat, von Folter spricht, weil ihm das Essen nicht schmeckt. Im Fernsehen kann man Witze darüber reißen. Der norwegische Staat, den Breivik verklagt hat, muss eine andere Antwort finden.

Norwegen verletze Breiviks Menschenrechte, lautet das Argument seines Anwalts. Er sei im Gefängnis bereits zu lange isoliert. Norwegen erkennt die Europäische Menschenrechtskonvention an und nimmt solche Anschuldigungen ernst. Breivik beruft sich auf Artikel 3, Verbot von Folter und "unmenschlicher oder erniedrigender Strafe", und auf Artikel 8, Recht auf Privat- und Familienleben, auf Korrespondenz. Es ist nicht das erste Mal, dass ein Schwerverbrecher gegen Haftbedingungen klagt. Breiviks Anwalt hat vor Gericht mehrere Beispiele zitiert, darunter Ilich Ramírez Sánchez, bekannt als Carlos, der Schakal. Der Terrorist sitzt in Frankreich ein und ist bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gezogen. Auch Breiviks Anwalt hat angekündigt, notfalls bis nach Straßburg zu gehen.

Die Norweger achteten streng darauf, Breiviks Rechte nicht aus Trauer und Wut zu beschneiden

Gerade in Norwegen haben die Rechte des Täters nach den Anschlägen 2011 in Oslo und auf der Insel Utøya eine besondere Rolle gespielt. Das Land hat sich von Anfang an darauf konzentriert, diese Rechte nicht von Trauer und Wut aufweichen zu lassen. "Unsere Antwort wird mehr Demokratie sein, mehr Offenheit und mehr Menschlichkeit", sagte der damalige Ministerpräsident Jens Stoltenberg. Diese Werte sollten absolut sein, den Massenmörder mit einschließen. Die Norweger haben daraus Kraft geschöpft. Breivik einen fairen Prozess zu geben war ihr Weg, dessen unfassbare Tat einzudämmen, ihr keine Macht zu geben, keinen Einfluss auf die norwegische Gesellschaft und ihre Werte.

Jetzt allerdings, nach Breiviks Zivilprozess, fragen sich viele, ob der Täter den Rechtsstaat am Ende doch noch vorgeführt hat. Ob seine Beschwerde nur Vorwand war und man ihm unnötiger Weise eine weitere Bühne geschaffen hat. Es gäbe wenig Anlass zu behaupten, dieser Prozess sei ein "weiterer Triumph für den Rechtsstaat", kommentierte etwa die Tageszeitung Verdens Gang. Vor allem sei es ein "bewusster Missbrauch" des Rechts gewesen.

Breivik kann drei Zellen nutzen, beschwert sich aber über Isolationshaft

Vor dem Prozess, solange nur sein Anwalt für ihn sprach, hörte sich die Beschwerde Breiviks nicht so absurd an: Länger als viereinhalb Jahre sitzt er in Isolationshaft, hat keinen Kontakt zu anderen Häftlingen sondern nur zu Menschen, die keine Beziehung zu ihm aufbauen dürfen, zu Wächtern, Psychologen, Anwälten. Seine Mutter war die einzige Besucherin, die er ohne Glaswand treffen durfte, sie starb 2013. Diese Einsamkeit drohe ihn krank zu machen, so sein Anwalt. Es gebe eine Grenze für die Isolationshaft, räumte auch der Staatsanwalt ein. Bei Breivik sei diese Grenze aber noch lange nicht erreicht.

Die Sorge, an Breiviks Beschwerde könnte etwas dran sein, hat der Prozess für viele zerschlagen - auch wenn das Urteil nicht vor Ende April kommt. Die Rechts-Psychiaterin Randi Rosenqvist sagte im Zeugenstand, sie sehe keine Beweise dafür, dass der Gefangene unter der Isolation leide. Mehr noch: "Es ist schwierig, die Sache ernst zu nehmen." Der Gefängnisdirektor von Ila, wo Breivik anfangs einsaß, sagte, dass viele Häftlinge in Norwegen unter schwierigeren Bedingungen lebten: "Es gibt Menschen, die tatsächlich Schäden in der Haft erleiden. " Breivik gehöre aber nicht dazu. Von den drei Zellen, die er nutzt, der Playstation, dem Hometrainer, wusste da bereits jeder. Es sah so aus, als nehme Breivik seine Klage selbst nicht ernst, als er über das Essen witzelte: Für ihn sei das "schlimmer als Waterboarding". Der Kläger habe "dem Staat die Sache leicht gemacht", sagte Staatsanwältin Adele Mestad am Ende. Er "verhöhnt ein Gericht, das seine Sache ernst nimmt".

Hat Norwegen Breiviks Rechte zu ernst genommen? Er habe "genau das bekommen, was er wollte", schrieb Viljar Hanssen, der auf Utøya mit einem Kopfschuss überlebte, auf Twitter. Er schob noch hinterher, dass er froh sei, in einem Staat zu leben, in dem die gleichen Regeln für alle gelten. Ähnlich haben sich viele Überlebende und Angehörige geäußert. Es sei nicht ihr Prozess, sondern Breiviks. Sie hofften, dass er nicht wieder von seiner faschistischen Ideologie sprechen dürfe - wozu er dann aber genug Gelegenheit bekam.

In Norwegen erwartete niemand, dass Breivik Recht bekommt. Das Dilemma, wie der Staat mit ihm umgehen soll, bleibt bestehen. Er muss 21 Jahre absitzen, wahrscheinlich länger. Ihn für immer zu isolieren, wird nicht gehen. Die Kontakte, die ihm angeboten werden, will er nicht. Mitarbeiter des Roten Kreuzes oder seinen eigenen Vater wollte er nicht sehen. Von denjenigen, die er wohl treffen würde, wird er fern gehalten: Er sucht Kontakt zu anderen Rechtsextremen, verurteilten Verbrechern, Anhängern, will ein faschistisches Netz aufbauen. Breivik ist gefährlich. Und die Norweger haben ein Recht darauf, vor ihm sicher zu sein.

Juli 2011: Blumen, Kerzen und Fahnen, die an die 69 Opfer des Rechtsextremisten Anders Behring Breivik erinnern. (Foto: Joerg Carstensen/dpa)
© SZ vom 21.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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