Nordsyrien:Fragiler Frieden

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Die Vereinbarung von Russland und der Türkei zu Idlib nährt Zuversicht, doch sie könnte an den Dschihadisten scheitern. Ankara muss sie zum Rückzug bewegen.

Von Moritz Baumstieger und Paul-Anton Krüger

Erleichterung: Syrer in dem von Rebellen beherrschten Ort Binnish nahe Idlib demonstrieren am Dienstagabend gegen das Assad-Regime. (Foto: Omar Haj Kadour/AFP)

Es war am russischen Verteidigungsminister Sergej Schoigu, die Quintessenz des Treffens zwischen Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdoğan am Montag in Sotschi zu verkünden: Es werde keine neue Offensive geben gegen die Provinz Idlib, die letzte Rebellen-Hochburg in Syrien - zumindest vorerst nicht. Die beiden Präsidenten hatten eine demilitarisierte Zone vereinbart, die Rebellen und Regimetruppen trennen soll. Doch die Vereinbarung wirft viele Fragen auf.

Klar sind bisher nur die Rahmendaten: Bis zum 15. Oktober soll ein 15 bis 20 Kilometer breiter Korridor eingerichtet sein, fünf Tage zuvor sollen schwere Waffen wie Panzer und Mörsergranaten aus dem Gebiet abgezogen werden. Auch die Dschihadisten der al-Qaida-nahen Miliz Hayat Tahrir al-Scham müssen aus der Zone verschwinden - wie genau sie dazu gebracht werden sollen, ist wohl die entscheidende Frage. Andere Rebellen dürften hingegen in dem Gebiet bleiben, etwa Milizen, die der "Nationalen Befreiungsfront" angehören. Die umfasst zumeist islamistische Gruppen, die von der Türkei unterstützt werden und von ihr abhängig sind. Russische Militärpolizei und türkische Truppen sollen die Einhaltung der Vereinbarung überwachen, schon heute haben beide dort Beobachtungsstützpunkte.

Erdoğan verkauft die Einigung als Erfolg. Zehn Tage zuvor, bei einem Gipfel in Iran, hatten Moskau und Teheran sich einer solchen Lösung noch widersetzt. Jetzt, so sagte er, sei "eine große Krise für die Menschen" in Idlib abgewendet worden. Zumindest aufgeschoben wurde eine weitere Krise für Erdoğan selbst: Bereits jetzt hat die Türkei 3,4 Millionen Syrer aufgenommen, eine Schlacht in Idlib hätte nach UN-Angaben weitere 800 000 dazu bringen können, Schutz im Nachbarland zu suchen. Angesichts der desaströsen Wirtschaftslage eine Horrorvorstellung für Erdoğan. Allerdings ist offen, ob die Türkei auch liefern kann: Ankara hat Hayat Tahrir al-Scham jüngst zur Terrororganisation erklärt, der türkische Geheimdienst pflegt aber wohl noch informelle Kontakte zu der Miliz. Ob die reichen, um die Dschihadisten gefügsam zu machen, ist fraglich.

Über die sozialen Medien warnten deren Führungsfiguren jedenfalls ihre Kämpfer. Wer auch immer sie dazu auffordere, Waffen abzugeben, müsse zu allervorderst bekämpft werden, sagte einer ihrer Sprecher. Ihr Führer, der Syrer Abu Muhammad al-Dschaulani, äußerte sich bisher nicht. Ende August hatte er jedoch die Abgabe von Waffen durch Rebellen in Syriens Süden als "Verrat an Gott, seinem Propheten und dem Blut der Märtyrer" bezeichnet.

Auch für die zahlenmäßig stärkeren anderen Rebellen ist das Abkommen schwierig: Ein Abzug schwerer Waffen heißt für sie, dass sie bei Vorstößen des Regimes kaum zurückschlagen können. Und auch die Bedingung Putins, dass moderate und radikale Assad-Gegner getrennt werden müssten, kann ihnen gefährlich werden: In Aleppo oder der Region Ost-Ghouta etwa nahm das Regime die Präsenz von radikalen Kämpfern zum Vorwand für Offensiven gegen Gruppen, die in Deeskalationsabkommen eingebunden waren.

Diese Erfahrungen dürfte Bundesaußenminister Heiko Maas im Sinn gehabt haben, als er das Abkommen ein "gutes Signal" nannte, jedoch Skepsis ausdrückte: "Wir haben aber in den letzten Jahren auch gesehen, dass Vereinbarungen, die es gegeben hat, nicht umgesetzt worden sind", so Maas. Eine Nachricht aus Damaskus dürfte da aufhorchen lassen: Russland habe Syrien mitgeteilt, die Einrichtung von Pufferzonen sei nur zeitlich begrenzt, meldete die staatliche Nachrichtenagentur.

So könnte es sein, dass Putin und Assad die langfristigen Profiteure dieses Deals werden, bei dem Erdoğan zunächst als Sieger wirkte. Russland hat nun der Türkei aufgebürdet, die moderaten und die radikalen Rebellen zu entflechten und sie dazu zu bringen, schwere Waffen von der Front abzuziehen. Gelingt dies Ankara nicht, kann der Kreml argumentieren, man habe alles versucht, nun sei ein militärisches Vorgehen unausweichlich.

Zeigen muss sich aber auch, ob Russland das Regime und die von Iran kontrollierten Milizen zügeln kann, die Assad unterstützen. Die syrische Führung begrüßte die Einigung zwar am Dienstag und betonte, dass Moskau in enger Absprache mit Damaskus verhandelt habe. Zunächst bringt sie das Regime einem lang verfolgten Ziel näher: der Wiedereröffnung der Autobahn M5, die durch die Provinz Idlib verläuft und einst als wichtigste Nord-Süd-Achse des Landes Aleppo mit Damaskus verband. Die demilitarisierte Zone deckt zwar nicht den gesamten Autobahnabschnitt in Idlib ab, am Dienstag versprach Erdoğans Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu aber, dass sie bis Jahresende wieder "für den Verkehr geöffnet" werde - genau wie die Straße M4, die von Aleppo ans Mittelmeer führt. Dies habe man in Sotschi vereinbart.

Doch auch dieser Erfolg dürfte das Regime nicht davon abhalten, die Vereinbarung zu einem späteren Zeitpunkt zu unterminieren - was doch noch zu dem befürchteten Blutbad und einer Fluchtwelle führen würde. Assad kann sich darauf verlassen, dass Moskau ihn letztlich aus strategischen Gründen bei der Erfüllung seines Schwures unterstützen wird: Er wolle jeden Zentimeter syrischen Boden zurückerobern, sagte Assad zu Beginn des Bürgerkrieges. Dass er Erfolg haben könnte, konnte sich damals kaum einer vorstellen.

© SZ vom 19.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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