Nordrhein-Westfalen:Zum Machtwort genötigt

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NRW-Ministerpräsident Armin Laschet sagt, für ihn und seine gesamte Regierung stehe "der Primat des Rechts und der Respekt vor allen Institutionen der Verfassung über allen politischen oder parteipolitischen Streitigkeiten". (Foto: Henning Kaiser/dpa)

Ministerpräsident Laschet betont im Fall der illegalen Abschiebung von Sami A. den "Primat des Rechts".

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Mit einer Art Grundsatzerklärung hat Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet klargestellt, seine Landesregierung werde "ohne Wenn und Aber" gerichtliche Entscheidungen "akzeptieren und umsetzen". Laschet sah sich zu dem Machtwort genötigt, weil die Affäre um die illegale Abschiebung des tunesischen Gefährders Sami A. eine Vertrauenskrise zwischen Gerichten und Behörden im Bundesland auszulösen drohte. NRWs höchste Richterin Ricarda Brandts hatte an die Regierung appelliert, "Gewaltenteilung und effektiven Rechtsschutz" zu respektieren und nicht "die Grenzen des Rechtsstaats" auszutesten. Die SPD-Opposition wollte im Land zuletzt sogar eine "Verfassungskrise" ausgemacht haben.

Vorige Woche hatte das Oberverwaltungsgericht Münster geurteilt, das NRW-Flüchtlingsministerium habe mit "halben Wahrheiten" das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen getäuscht. Der Abschiebeflug des mutmaßlichen Islamisten Sami A., dessen Termin die Mitarbeiter von Minister Joachim Stamp (FDP) dem Gericht trotz Nachfragen verschwiegen hatten, sei "evident rechtswidrig" gewesen. Sami A. müsse nach Deutschland zurückgeholt werden.

Staatsminister Roth hat "wenig Hoffnung", Tunesien eine Nicht-Folter-Garantie abzuringen

Minister Stamp hatte danach erwidert, sein Haus habe "alles richtig gemacht". Zudem hatte Innenminister Herbert Reul (CDU) das Urteil kritisiert und verlangt, die Gerichte sollten "das Rechtsempfinden" der Bürger berücksichtigen. Später nahm Reul seine Formulierung zurück. Regierungschef Laschet sagte nun dem Kölner Stadtanzeiger, für ihn und seine gesamte Regierung stehe "der Primat des Rechts und der Respekt vor allen Institutionen der Verfassung über allen politischen oder parteipolitischen Streitigkeiten". Diese Klarstellung erfolgte auch mit Blick auf eine für Montag geplante Sondersitzung des Rechtsausschusses im NRW-Landtag.

Unklar ist nach wie vor, ob und wie es den deutschen Behörden gelingen kann, die vom Gericht angeordnete Rückholung des Sami A. noch zu vermeiden. Nötig wäre dazu eine diplomatische Zusicherung ("Verbalnote") Tunesiens, dass dem 42-jährigen Mann in seiner Heimat keine Folter drohe. Bisher hat das Auswärtige Amt ein solches Dokument jedoch nicht erhalten - und Staatsminister Wolfgang Roth (SPD) hegt "wenig Hoffnung", der Regierung in Tunis eine solche Erklärung abzuringen. So schrieb Roth bereits Ende Juli seiner Parteifreundin Lisa-Kristin Kapteinat, solcherlei Nicht-Folter-Erklärungen würden üblicherweise vor und nicht erst nach einer Abschiebung von Behörden des Herkunftslandes erbeten.

Das Auswärtige Amt bemängelt zudem, das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen habe bei seiner Entscheidung am 12. Juli keinen "Maßgabebeschluss"erlassen. Ein solcher Beschluss skizziert den Behörden, welche Versicherungen die Richter verlangen, um eine Abschiebung zu billigen. Im Fall Sami A. fehlt dies, da die Kammer formal nicht über eine Abschiebung entschied, sondern über den Widerruf eines früheren Abschiebeverbots. Die Richter hielten aber in ihrem 22 Seiten langen Beschluss einige Hinweise fest für die Berliner Diplomatie: Es sei von Tunesien "eine individual-bezogene diplomatische Zusicherung zu fordern", und die müsse glaubhaft machen, dass Sami A. allenfalls mit "nicht mehr beachtlicher Wahrscheinlichkeit" Folter oder unmenschliche Behandlung drohe. Dann, so heißt es in Gelsenkirchen, könne und wolle man die Causa Sami A. gern erneut prüfen.

© SZ vom 24.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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