Nordrhein-Westfalen:Rechtsextremes Netz

Lesezeit: 2 min

Die Großrazzia gegen 29 Polizisten, die in Chatgruppen gehetzt haben sollen, ist erst der Anfang der Ermittlungen.

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Ein „echtes Haltungsproblem“ erkennt Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul bei einigen seiner Polizeibeamten. (Foto: Friso Gentsch/dpa)

Skandale nimmt Herbert Reul persönlich. Als dem NRW-Innenminister im Januar 2019 klar wurde, dass sich bei den Ermittlungen gegen zwei Kinderschänder in Lügde seine Kripo eine Panne nach der anderen geleistet hatte, da war er der Erste, der "dieses Polizeiversagen" im Radio anprangerte. Und so hält es der 68-jährige CDU-Politiker auch an diesem Mittwochmorgen, als er "besonders schlechte Nachrichten" zu verkünden hat: 29 seiner etwa 50 000 Polizisten seien per WhatsApp vernetzt und verwickelt in einen Fall "neonazistischer und rassistischer Hetze".

Innenminister Herbert Reul will gegen die Beamten "ohne Mitleid" vorgehen

Reul sagt an diesem Tag, was er immer sagt: dass ihm seine Polizei seit Amtsantritt vor mehr als drei Jahren längst "ans Herz gewachsen" sei. Aber dann steht ihm der Zorn im Gesicht: Es gebe unter diesen 50 000 leider "auch einige, die ein echtes Haltungsproblem haben". Gegen die werde er nun "ohne Mitleid" vorgehen: "Ich habe immer gesagt: Unsere Null-Toleranz-Strategie gilt auch für die eigenen Leute!"

Neben Reul auf dem Podium im halbdunklen Saal des Düsseldorfer Innenministeriums sitzt eine der engsten Vertrauten des Ministers: Daniela Lesmeister, als Abteilungsleiterin im Ministerium die mächtigste Polizistin im Land. Sie weiß sehr wohl, was die mutmaßlichen Neonazis in den eigenen Reihen angerichtet haben: "Das Vertrauen in die Polizei NRW wurde massiv beschädigt." Rein persönlich finde sie "besonders beschämend," dass so viele offenbar etwas gewusst, aber "einfach nichts gesagt haben". Das sei "falsch verstandener Korpsgeist," solche Leute "haben bei uns nichts zu suchen".

Am 3. September waren die ersten Hinweise auf das rechtsextreme Netzwerk eingegangen, seit Tagen wurde die Razzia gegen die 29 mutmaßlich braunen Schafe vorbereitet. Das wahre Ausmaß des Polizei-Skandals wird sich erst nach Auswertung all der elektronischen Geräte ermessen lassen, die 200 Ermittler seit sechs Uhr früh in NRW sicherstellten. Elf Beamten droht ein Strafverfahren wegen Volksverhetzung und Verbreitung verfassungsfeindlicher Symbole, allen 29 Beschuldigten droht ein Disziplinarverfahren. 14 Beamte, so Reul, sollten für immer Dienstmarke und Waffe verlieren.

Essens Polizeipräsident fragt sich, ob der Skandal nicht früher hätte entdeckt werden müssen

Bisher, immerhin, findet sich kein Hinweis darauf, dass die 29 Beamten in ihrer Dienststelle in Mülheim an der Ruhr ihre Gesinnung im Amt gegenüber unschuldigen Bürgern ausgelebt hätten. Dafür, so beteuert Frank Richter, als Polizeipräsident von Essen für die Wache in Mülheim an der Ruhr verantwortlich, "gab es keine Anzeichen". Bis zum 3. September lebte Richter in dem Glauben, "dass es sich um eine Dienstgruppe handelte, die ordentlich und anständig ihren Dienst versah". Jetzt ist er "völlig erschüttert," streicht sich ratlos mit der Hand übers Gesicht: "Mich quält die Frage, ob es nicht doch hätte auffallen müssen." Die 29 Beamten, darunter Kollegen mit Migrationshintergrund und alle im Alter zwischen Mitte 20 und Mitte 40, würden "einen Autoritätsverlust" auf der Straße auslösen. Und der treffe dann all die anständigen Kollegen: "Das haben die nicht verdient."

Im März, nach dem Skandal in Hamm um einen Polizisten mit Drähten in die militant-rechtsextreme Szene, ordnete Reul für jedes Präsidium einen Extremismus-Beauftragten an, als Vertrauensperson für Hinweise auf Umtriebe in der Truppe. In Essen macht das Frank Richters Frau, doch aus Mülheim erhielt sie offenbar keine Hinweise. Nun ermittelt dort eine Sonderinspektion.

© SZ vom 17.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: