Nordrhein-Westfalen:Demokratie light

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Ungewohnt einig verabschiedet der Landtag in Düsseldorf ein riesiges Notprogramm.

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Am Dienstagvormittag um 10.23 Uhr kennen die Abgeordneten im Düsseldorfer Landtag keine Parteien mehr. Da kennen sie nur noch Corona. Alle siebzig Parlamentarier im runden Plenarsaal stehen hinter ihren Pulten und klatschen, laut und lang. Kurz zuvor hat Armin Laschet, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident und nunmehr Pandemie-Manager des Landes, all jene Bürger gelobt, die nun allabendlich gegen 21 Uhr an Fenstern und auf Balkonen stehen, um den Einsatz von Ärztinnen und Krankenpflegern, von Müllmännern und Feuerwehrleuten zu würdigen. Alle, ob politisch rot oder grün, ob schwarz, gelb oder blau gefärbt, spenden Applaus. Laschet steht hinterm Rednerpult, zollt schließlich seinen eigenen Worten Beifall. Weshalb, so frotzelt ein Beobachter auf der Tribüne, für einen Moment "ein Hauch von China" und Volkskongress durchs Hohe Haus zieht.

Demokratie im Angesicht von Corona, das lichtet die Reihen. Nur jeweils ein Drittel der Abgeordneten, so haben sich die Fraktionen aus Gründen gesundheitlicher Prävention verständigt, darf überhaupt an der Sitzung teilnehmen. Die Grünen (normalerweise 14 Mandate) durften bei heute rechnerisch genau 4,66 Sitzen aufrunden auf fünf Sitzungsteilnehmer. Überall zwischen den Parlamentariern bleiben zwei Plätze frei, genauso finden sich zwischen den Ministern jeweils zwei Leerstellen. Die Saaldiener öffnen die Türen mit schwarzen Gummihandschuhen. Und ihr Kollege, der jedem Redner ein Glas frisches Wasser aufs Pult stellt, erinnert mit seinem leuchtenden Latex über den Fingern an die Perfomance-Künstler der "Blue Man Group".

Sitzung mit Sicherheitsabstand: Der Düsseldorfer Landtag. (Foto: Christian Wernicke)

Jede Krise läutet die Stunde der Exekutive ein. So ist es auch an diesem Dienstag, als die helle Glocke in der Hand von Landtagspräsident André Kuper schellt. Die CDU-FDP-Koalition will sich ein Hilfspaket in Höhe von 25 Milliarden Euro für allerlei Bürgschaften, Darlehen und Zuschüsse genehmigen lassen. Das Geld soll Unternehmen retten, Jobs bewahren. "Wir stehen am Beginn einer großen, wirtschaftlichen, wahrscheinlich weltweiten Krise", warnt Regierungschef Laschet. Alle Parteien, auch die Opposition von SPD, Grünen und AfD haben längst signalisiert, dass sie dem Notprogramm zustimmen werden. 25 Milliarden Euro, das ist etwa ein Drittel des regulären Haushalts des Bundeslands. Ökonomisch ein riesiger Batzen, politisch ausgestellt als Blankoscheck.

In seiner Rede müht sich Laschet, die Balance zu finden zwischen Härte und Überreaktion. 8224 Infizierte und 40 Corona-Tote im Bundesland mahnten zu drastischen Maßnahmen. Also drohen jetzt zwischen Weser und Rhein hohe Geldbußen bei Verstößen gegen die Kontaktsperre (siehe Kasten). Aber der CDU-Politiker verteidigt zugleich die weiterhin offene Grenze zu Belgien und den Niederlanden, weil dies die Lieferung von Lebensmitteln und Medikamenten ermögliche: "Ich bin gestern da mal rumgefahren", berichtet der Regierungschef von einem Abstecher im Dienstwagen nahe seiner Aachener Heimat. Das Parlament nickt, alles okay.

SPD und Grüne versuchen zaghaft, der schwarz-gelben Koalition ein paar Zusagen zur Verwendung der 25 000 Millionen Euro abzuringen. Monika Düker, die Fraktionschefin der Grünen, versucht es per Vertrauensvorschuss: Sie stellt keine präzisen Bedingungen, mahnt aber von der Regierungskoalition "Kooperation auf der Strecke" an. Also späteres Entgegenkommen im Gegenzug für die sofortige Ermächtigung. Was Finanzminister Lutz Lienenkämper per Kopfnicken bestätigt.

Die SPD hingegen setzt auf Kontrolle. "Die parlamentarische Kontrolle geht nicht vom Netz", betont SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty. Seine Partei hätte lieber förmliche Zusagen, weshalb die Sozialdemokraten ein paar Änderungsanträge vorbereitet haben, die gezielt Finanzmittel an überlastete Krankenhäuser, klamme Kommunen oder darbende Wohlfahrtsverbände lenken sollen. Verbindliche Korrekturen jedoch werden von CDU und FDP am frühen Nachmittag im Haushaltsausschuss niedergestimmt. Am Ende sichert die NRW-Regierung zu, man werde bei der Verwendung der Milliarden schon Kompromisse finden: überparteilich im Geiste, vereint gegen Corona.

Der Rest ist dann Formsache. Um 15.40 Uhr läutet Landtagspräsident Kuper zur zweiten und dritten Lesung. Der Gesetzesakt für 25 Milliarden Euro währt drei Minuten. Einstimmig.

© SZ vom 25.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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