Nordkorea nach dem Tod Kim Jong Ils:Diktatur zwischen Übergang und Chaos

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Kim Jong Il hat den wohl letzten wirklich totalitären Staat beherrscht. Nach seinem Tod ist zweifelhaft, ob dieses System eine Zukunft hat. Für seinen Nachfolger geht die größte Gefahr nicht von der gehirngewaschenen Bevölkerung aus, sondern von jenen mächtigen Kadern, die auch die Welt außerhalb kennen. Nicht auszuschließen, dass der neue Kim seine Autorität nur durch einen Krieg sichern kann.

Stefan Kornelius

Für eine Diktatur ist das Ableben des Diktators die denkbar größte Gefahr. Nordkorea ist in eine existenzbedrohende Lage geraten, auch wenn der Tod von Kim Jong Il erwartet und in gewisser Weise vorweggenommen worden war. Das Regime war vorbereitet, aber was nutzt alle Planung, wenn ungewiss bleibt, welche Kräfte in den Führungszirkeln tatsächlich die Macht begehren?

Nordkorea übt eine gruselige Faszination aus. Dafür gibt es zwei wichtige Gründe. Erstens die undurchschaubare Situation des Landes in seiner nahezu vollkommenen Isolation. Das schafft in Zeiten fallender Grenzen, ubiquitärer Erreichbarkeit und niemals versiegender Informationsströme eine kaum zu begreifende Realität. Zweitens hat die Herrscherfamilie einen Führerkult und eine Massenbewegung geschaffen, die einmalig sind in der Welt des 21. Jahrhunderts. Die ersten beiden Kims waren brutale Führer ihres Landes, erhoben einen totalitären Anspruch und waren ideologisch verblendet. Nun, da die Macht an die dritte Generation weitergegeben werden soll, stellt sich erneut die Frage, ob dieses auf einen Führer ausgerichtete System überleben kann.

Vieles, möglicherweise zu vieles hat sich geändert, seitdem der zweite Kim die Macht von seinem Vater übernommen hat. Der Juche-Stalinismus findet jenseits der Grenzen keine Entsprechung mehr. Die Sowjetunion hat dem Oligarchen-Kapitalismus Russlands weichen müssen. China trägt nur zum Schein den kommunistischen Stempel, ist aber mehr als je zuvor auf kapitalistische Stützpfeiler in seiner Nachbarschaft angewiesen, auf den freien Warenfluss und auf politische Stabilität. Südkorea, der Bruderstaat des Kim-Reiches, erlebte in den vergangenen 20 Jahren eine marktwirtschaftliche und auch demokratische Explosion. Niemand dort hat ein Interesse an der Rivalität zum Norden.

Kurzum: Nordkoreas Scheinwelt wird von den Nachbarn nicht mehr aus Überzeugung mitgetragen. Umgekehrt gilt für die Nordkoreaner: Wüssten die Menschen im Land mehr über ihre Nachbarn und die Welt, das Regime wäre längst kollabiert. Im sich abzeichnenden Machtvakuum geht deshalb die größte Gefahr für den dritten Kim von jenen Kadern aus, die Einblick in die Welt jenseits der Minenfelder haben, den Veränderungsdruck spüren und persönlich wenig zu gewinnen haben. Auch in der Günstlingsgesellschaft am Hofe der Kims muss es Verlierer gegeben haben, Aufsteiger und Degradierte, Enttäuschte und Übergangene.

Im Militärapparat rivalisieren Einheiten und Teilstreitkräfte um die Pfründe des Staates, in den Geheimdiensten wird das Vakuum unliebsame Parallelwelten zutage fördern. Und nirgendwo ist die brutale Hand zu erkennen, die an den richtigen Fäden des Marionettentheaters ziehen kann, um ausreichend viel Furcht und Schrecken zu verbreiten.

Dennoch wäre es falsch, die Kims und ihre Prätorianer zu unterschätzen. Chinas Führung, die gerne schon längst eine vorsichtige Öffnung erzwungen hätte, musste immer und immer wieder vor der unberechenbaren Führung und ihrer Erpressermentalität kapitulieren. Kims Drohung mit Chaos, gepaart mit unkalkulierbarem Zerstörungswillen und der Opferbereitschaft einer gehirngewaschenen Bevölkerung, haben dem Land Stabilität gegeben. Heute besteht die nicht geringe Gefahr, dass der neue Kim einzig in einem Krieg seine Autorität zu sichern vermag.

Nirgendwo wird man Kim Jong Il vermissen

Kim Jong Il, den nun gestorbenen Diktator, wird man nirgendwo vermissen. Er hielt sein Volk in Sklavenhaft und war für den Tod vieler tausend, wenn nicht hunderttausend Menschen verantwortlich. Er ließ sie verhungern oder in Arbeitslagern verrecken. Er ließ sie verschwinden oder erschießen. Sein schlimmstes Verbrechen aber: Kim Jong Il schaffte ein System der Unfreiheit, das Anspruch selbst auf den Geist der Menschen erhob. Viele Generationen von Nordkoreanern leben in Dunkelheit - und sie wissen es nicht einmal.

In ihrer Perfidie haben die Kims und ihre willigen Helfer ein System geschaffen, das mit eigener Zeitrechnung, eigener Geschichte und eigener Religion autark von der restlichen Welt funktioniert. Solange das Regime die Macht über die Hirne der Menschen behält, solange es den Fluss der Information kontrolliert, so lange kann das System in der Theorie bestehen. Schlimmer noch: Derart festgefügt ist das Kim'sche Universum, dass es selbst dann noch Bestand hätte, wenn man es der realen Welt aussetzte. Viele Menschen würden vermutlich einfach nicht glauben, was man ihnen über ihren großen und über ihren geliebten Führer erzählt.

Denn dies ist die eigentliche Hinterlassenschaft Kim Jong Ils: Er hat den vielleicht letzten wirklich totalitären Staat beherrscht, der in der modernen Welt Bestand hat. Jeder andere Unterdrücker - und von ihnen leben wahrlich noch genug - kann den Freiheitsdrang nicht wirklich einhegen. In Nordkorea gibt es diesen Drang aber nicht. Nordkoreas Schutzmacht China hat jetzt die historische Gelegenheit, den Panzer aufzubrechen und einen vielleicht geordneten Übergang einzuleiten. Den Rest erledigen allemal die Gezeiten der Geschichte.

© SZ vom 20.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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