Nigeria:Zum Abschied Chaos

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Gilt in manchen Umfragen als Favorit: Peter Obi von der eher unbedeutenden Arbeiterpartei. (Foto: Temilade Adelaja/Reuters)

In Afrikas bevölkerungsreichstem Staat wird am Samstag gewählt. Viele Nigerianer leiden unter Terror, Korruption und Inflation. Nun gehen auch noch die Banknoten aus. Trotzdem hoffen viele auf einen Überraschungskandidaten.

Von Bernd Dörries, Kapstadt

Seine Frau hatte sich bereits vor Ende seiner Amtszeit vorsorglich entschuldigt. Im Herbst bat Aisha Buhari die Nigerianer um Verzeihung, weil ihr Mann Muhammadu Buhari es als Präsident nicht geschafft habe, seine Versprechen einzulösen. Die Einwohner des bevölkerungsreichsten Landes in Afrika leiden unter der hohen Inflation, dem Terror von Banditen und Terroristen sowie der uferlosen Korruption. All das wollte Buhari in seinen zwei Amtszeiten eigentlich bekämpfen, nichts davon gelang wirklich. Zwar schlug die Armee nach vielen Jahren voller Misserfolge die Islamisten von Boko Haram zurück. Dafür nahm in anderen Landesteilen die Gewalt zu, Entführungen von Bürgern wurden zu einem Massenphänomen. Im vergangenen Jahr soll es etwa 4000 Kidnappings gegeben haben.

Als eine Art Abschiedsgeschenk stürzte der 80-Jährige, der laut Verfassung nicht erneut antreten darf, sein Land kurz vor den Wahlen an diesem Samstag nun auch noch ins völlige Chaos. Im Oktober hatte seine Regierung angekündigt, neue Banknoten der Landeswährung in Umlauf zu bringen. Die Gründe blieben unklar, mal hieß es, zur Bekämpfung der Inflation, mal, um Schwarzgeld aufzuspüren. Viele Bürger brachten die Scheine zur Bank, bekamen aber keine neuen. Nun bilden sich überall im Land Schlangen vor den Bankautomaten. Viele Nigerianer haben zwar Geld auf dem Konto, aber keines, um sich Lebensmittel zu kaufen. Dazu kommt die prekäre Sicherheitslage, ein Senatskandidat der Opposition wurde im Wahlkampf erschossen.

In diesem Chaos soll am Samstag gewählt werden. Etwa die Hälfte der 220 Millionen Nigerianer ist stimmberechtigt. Viele Umfragen sehen den Überraschungskandidaten Peter Obi, 61, von der kleinen Arbeitspartei vorne. Es wäre eine sensationeller Überraschungssieg gegen das Establishment, das seit fast 25 Jahren von zwei Parteien dominiert wird. Der derzeitigen Regierungspartei All Progressives Congress (APC) und der Demokratischen Volkspartei (PDP).

Beide Kandidaten der großen Parteien sind reich - woher das Geld kommt ist ganz klar

Die schicken mit Bola Ahmed Tinubu, 70, (APC) und Atiku Abubakar, 76, (PDP) zwei Schwergewichte ins Rennen, die seit Jahren in führenden Positionen präsent waren, beide sind sehr reich, beide begleiten seit Jahren Korruptionsvorwürfe, inhaltlich unterscheiden sie sich kaum. Abubakar hat bereits fünf Mal für das Präsidentenamt kandidiert und nie gewonnen. Begonnen hat er seine Karriere als Zollbeamter, als Geschäftsmann brachte er es zu großem Reichtum, von dem, wie in Nigeria üblich, nicht wirklich geklärt ist, woher es kommt. Tinubu war einst Gouverneur von Lagos, US-Ermittler beschlagnahmten 1993 fast eine halbe Million Dollar von seinem Konto, das aus dem Drogenhandel stammen soll.

Lange galt in Nigeria eine informelle Übereinkunft, dass sich die Präsidenten zwischen dem eher christlichen Süden und dem muslimischen Norden abwechseln. Mit Abubakar würde das zweite Mal nach Buhari ein Muslim aus dem Norden Präsident, mit Tinubu einer aus dem Süden. Beides könnte zu Spannungen führen.

Auch Herausforderer und Christ Obi gehörte einst als Gouverneur der PDP an, vertritt nun aber die Arbeitspartei. Vor allem junge Wähler gehören zu seinen Anhängern, sie nennen sich die "OBIdients", ein Wortspiel aus seinem Nachnamen und dem Adjektiv "folgsam". Obi hat viele prominente Fürsprecher, er verspricht, die Korruption und die Armut zu bekämpfen. "Wie konnten wir in einen derartigen wirtschaftlichen Niedergang geraten, dass wir Indien als Heimat der größten Gruppe absolut Armer in der Welt überholt haben", fragte er kürzlich in einer Rede. Zwei Drittel der Nigerianer leben unter der Armutsgrenze, die Inflation lag zuletzt bei 22 Prozent. Der Staat hat einen Haushalt von etwa 40 Milliarden Euro, das entspricht grob dem des Bundeslandes Hessen, bei etwa 20 Mal so vielen Einwohnern.

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In einer aktuellen Umfrage gaben 27 Prozent der Befragten an, dass sie Obi wählen würden, womit er zwölf Punkte vor Tinubu liegt. Etwa ein Drittel der Befragten wollte seine Wahlabsichten aber gar nicht kundtun. Viele der Umfragen hatten sich womöglich auch nur an ein internet-affines urbanes Publikum gerichtet, Obi ist vor allem durch die sozialen Medien bekannt geworden. Auf dem Land sieht es aber ganz anders aus, dort haben die beiden großen Parteien einen großen Apparat aufgebaut, mit dem Obi nicht konkurrieren kann. Seine Kandidatur könnte nach Ansicht vieler Experten aber sehr wohl dazu führen, dass es in Nigeria zum ersten Mal in der Geschichte zu einer Stichwahl kommen wird.

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