Femi Ajose sitzt auf der Tribüne eines Fußballstadions in Lagos und hält einen kleinen Reisigbesen in der Hand, mit dem er durch die Luft wedelt. Er trägt ein gelbes T-Shirt mit dem aufgedruckten Foto von Muhammadu Buhari und hält eine kleine Pappschachtel mit Hähnchenteilen in der Hand, die das Logo der Präsidentenpartei trägt: Ein Besen, der in Nigeria ordentlich auskehren soll. Zwischen den Bissen sagt Ajose: "Der Präsident hat vieles erreicht, die Wirtschaft ist besser geworden, die Sicherheitslage auch und der Kampf gegen die Korruption kommt voran." Ajose nimmt noch den letzten Hähnchenhappen in den Mund, spült ihn mit einem Schluck Cola herunter und steht dann auf, um das Stadion zu verlassen. Obwohl Präsident Buhari noch überhaupt nicht geredet hat.
Seit Tagen hatte sich die 20-Millionen-Metropole auf den großen Wahlkampfauftritt des Präsidenten vorbereitet, den ersten und einzigen vor den Wahlen am 16. Februar. Das war der ursprüngliche Termin, der dann aber kurz vor der Abstimmung um eine Woche verschoben wurde. Alles andere wäre auch eine Überraschung gewesen in Nigeria, wo wenig auf Anhieb funktioniert, das Verschieben und Verzögern zur nationalen Folklore gehören. Nun soll also am Samstag, 23. Februar, ein neuer Anlauf genommen werden. Für Buharis Rede wurden Teile der Stadt für den Lastwagenverkehr gesperrt, damit das Chaos nicht ganz so groß ist wie sonst - obwohl der Präsident mit dem Hubschrauber einschwebt. Am Morgen waren es vielleicht noch 10 000 Menschen gewesen, die im Stadion auf ihn warten.
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Bisher ist Politik auf dem afrikanischen Kontinent überwiegend Männersache - doch die Frauen holen auf.
"Die meisten von uns haben ein Stipendium bekommen", sagt die Frau neben Ajose, die ihren Namen nicht nennen möchte. Zwei Drittel der Besucher bekamen nach ihrer Schätzung Geld, um hier für Buhari zu jubeln und die Besen zu schwingen, ein paar Euro und eine Lunchbox. Nachdem die Schachteln leer gegessen sind, machen sich viele Nigerianer wieder auf den Heimweg. Als der Präsident spricht, sind vielleicht noch 3000 Leute da - in einer Stadt, die 20 oder 30 Millionen Einwohner hat, wäre das so, als würden zu Veranstaltung mit Bundeskanzlerin Angela Merkel nur 350 Berliner kommen.
Als "Megarallye" hatte Buhari diesen Höhepunkt des Wahlkampfes angekündigt, der dann genau drei Minuten dauert, so lange spricht, beziehungsweise nuschelt er vor sich hin. "Ich danke euch, dass ihr gekommen seid, wir werden die Versprechen einhalten, die wir gegeben haben", sagt Buhari. Müder Applaus, ein müde wirkender Buhari schleppt sich über den roten Teppich davon.
Vor vier Jahren hatte das noch ganz anders ausgesehen, da hatte Buhari nach seiner Wahl eine gewisse Euphorie ausgelöst, die Hoffnung, dass er nach der Dauerherrschaft der damaligen Regierungspartei das Land nachhaltig verändern könne. Ein Land mit unglaublichen Ressourcen, das für manche wie das Amerika des Kontinents ist, alles scheint ein bisschen größer und lauter zu sein. Nigeria hat eigentlich alles: Es hat Öl, einen unfassbaren Reichtum an Kultur, es hat Literaturnobelpreisträger und die besten Musiker des Kontinents. Lagos wird im Westen gerne als Moloch beschrieben, als letztlich unregierbar. Es ist aber vor allem eine faszinierende Metropole, mit viel Armut, aber auch mit fantastischen Stränden, kühnen Highways, die auf Betonstelzen über das Meer laufen. Es ist eine Stadt, die trotz ihrer Größe überhaupt nicht unfreundlich daherkommt.
Aber sie kommt, eben wie das ganze Land, auch nicht wirklich vom Fleck. Im Norden Nigerias wüten die islamistischen Terroristen von Boko Haram. In der Megacity Lagos kann man in den neuen Siedlungen am Wasser besichtigen, wo der Ölreichtum hinfließt, in große Yachten und protzige Hochhäuser. All das wollte Buhari bekämpfen, was nicht mal ansatzweise gelang. Vielleicht konnte er nicht, vielleicht wollte er nicht.
Monatelang ließ er sich wegen einer mysteriösen Krankheit in London behandeln, danach schlurfte er so träge durch das Land, dass er sich schließlich öffentlich gegen Gerüchte wehren musste, er sei durch einen Doppelgänger ersetzt worden. Dennoch tritt der 76-Jährige wieder an.
"Wäre diese ganze Politik nicht, würde sich doch jeder Mensch auf der Welt wünschen, Nigerianer zu sein", sagt Browne Onuoha. Er ist Politikprofessor an der Universität Lagos und eigentlich seit Monaten im Streik für bessere Gehälter, so wie alle seine Kollegen, die nicht genug verdienen zum Leben. Dass die Wahl daran etwas ändern werde, daran glaubt Onuoha nicht wirklich. "Die beiden großen Parteien sind gleich, es gibt keine Unterschiede. Es gibt keine Themen, es geht nur um den persönlichen Profit. Politik ist ein Geschäft, in das man investiert, um einen monetären Gewinn zu bekommen."
Nigeria:Er setzt auf Allah
Es gibt kaum ein Land, das schwerer zu regieren ist als Nigeria, und man kann nicht sagen, dass Präsident Buhari bisher dabei geglänzt hätte. Trotzdem strebt er eine weitere Amtszeit an.
Amtsinhaber Buhari gilt zwar als integer, als ein Mann mit bescheidenem Lebensstil, seine Umgebung und Partei aber nicht. Es gibt 27 Regierungsagenturen, die Korruption bekämpfen sollen, selbst aber eher Teil des Problems sind. Zwar wurden zwei ehemalige Gouverneure wegen Bestechlichkeit und Diebstahl verurteilt, ansonsten ist die Politik aber ein Selbstbedienungsladen geblieben.
Die entscheidende Frage des Wahlkampfes ist nicht, ob es in Zukunft besser werden könnte, bei Buharis ärgstem Konkurrenten Atiku Abubakar besteht eher die Befürchtung, dass die Bereicherung noch maßloser werden könnte. Atiku, wie er im Land genannt wird, ist millionenschwer, woher das Geld kommt, ist nicht unbedingt klar; die USA hatten ihn viele Jahre wegen Geldwäschevorwürfen mit einem Einreiseverbot belegt. "Er sollte im Gefängnis sein und nicht auf der Kandidatenliste", sagt Olanrewaju Suraju, ein führender Korruptionsexperte. Zentrales Thema des Wahlkampfes von Atiku ist das Versprechen, die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen.
Unter Buhari war Nigeria in eine Rezession gerutscht, die Arbeitslosigkeit stieg von acht auf 23 Prozent. Wie genau eine Wirtschaftspolitik aussehen könnte, darüber machen beide Kandidaten nur vage Angaben. Bei Buharis Wahlkampfauftritt werden Broschüren aus dickem Papier verteilt, die keinen einzigen Satz zum politischen Programm beinhalten, nur die Fotos der Kandidaten. Auf den letzten Seiten gibt es noch reichlich Raum für "Notizen".
Zwar ist die Zeit der Militärregime vorbei, aber das Personal ist weitgehend das gleiche geblieben
Recht konkret wurde im Wahlkampf zumindest über die Zukunft der Stahlfirma Ajaokuta Steel Company debattiert, die in den vierzig Jahren ihres Bestehens immer mal wieder ver- und entstaatlicht wurde. Mehr als acht Milliarden Dollar hat der Staat in den vergangenen vier Jahrzehnten in die Firma gesteckt, die ein führender Stahlproduzent werden sollte. Ihre Rentenkasse versorgt bereits 10 000 Pensionäre, Stahl wurde bisher nicht produziert. Die ganze Volkswirtschaft ist bisher auf Öl ausgerichtet, das sich wie in anderen Ländern in vergleichbarer Situation als schwarzes Gift entpuppt hat.
Im Jahr 1960 wurde Nigeria unabhängig, fast dreißig Jahre wurde es zumeist vom Militär regiert, erst seit 1999 gibt es ein einigermaßen stabiles demokratisches System, wenn man es so bezeichnen will. "Der Kolonialismus hat viel Schaden angerichtet", sagt Politikprofessor Browne Onuoha. Die britschen Eroberer hätten Menschen in Landesgrenzen gepresst, die wenig gemeinsam haben, den eher muslimischen Norden und den christlichen Süden. "Wir sind zu groß, wir haben keine gemeinsamen Werte. Noch mehr Schaden als der Kolonialismus hat allerdings das Militär angerichtet. Jedes Vertrauen wurde zerstört." Zwar ist die Zeit der Militärregime nun auch schon vor zwanzig Jahren zu Ende gegangen, das politische Personal ist aber weitgehend das Gleiche geblieben, das sich durch immer neue Allianzen und Parteiwechsel selbst recycelt. Buhari selbst hatte als General einen Putsch angeführt und machte danach eben als eine Art Demokrat weiter. Bei einem seiner Wahlkampfauftritte in Port Harcourt starben am Dienstag mindestens 14 Menschen. Die Menschen wollten ins Freie, aber der Ausgang war verschlossen.
Im Stadion in Lagos blieb es hingegen friedlich. Als Buhari ins Auto steigt und den wenigen zuwinkt, die noch da sind, ist das für viele ein Signal, sich möglichst alles unter den Nagel zu reißen, was beweglich ist. Alte Männer raffen die Besen zusammen, die Jungen klettern auf die Tribüne, um dort die Plastikbanner herunterzuholen. Was man mit dem Zeug anfangen kann, was es morgen wert ist, das ist egal. Es geht darum, für den Moment überhaupt etwas zu besitzen.