Neues Video von Invisible Children:Kony, jenseits des Ruhms

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Das Video "Kony 2012" war so erfolgreich, wie kaum ein Youtube-Film zuvor. Dabei ging es um einen brutalen Verbrecher: den afrikanischen Rebellenführer Joseph Kony. Die Macher der Kampagne mussten dennoch viel Kritik einstecken. Eine "Verschwendung von 100 Millionen Klicks", urteilte etwa der Uganda-Experte Patrick Wegner. Nun haben die Macher von Invisible Children nachgelegt - und ihre Sache besser gemacht, sagt Wegner.

Ronen Steinke

Ein geheimnisumwitterter Warlord aus den Wäldern Nordkongos wurde im März schlagartig zur Youtube- und Facebook-Sensation: Mehr als 100 Millionen Nutzer klickten auf ein Video, mit dem die amerikanische Hilfsorganisation Invisible Children zur militärischen Jagd auf den Rebellenführer Joseph Kony aufrief.

Das Video mit dem Titel "Kony 2012" beschrieb in MTV-Ästhetik, wie Kony sich seit Jahren im Dschungel versteckt hält, wie er dort tausende Kinder entführt, um sie zum Töten und Vergewaltigen zu zwingen - und wie er seine Verfolger immer wieder narrt.

Die Macher des Videos wurden danach scharf kritisiert. Ihr Video vereinfache die Tatsachen, hieß es. Ihre Internet-Kampagne sei naiv, ihr Umgang mit Spendengeldern zweifelhaft. Nun hat die Organisation Invisible Children nachgelegt: Sie stellte ein zweites Youtube-Video online, um ihr erstes zu ergänzen, "Kony 2012: Beyond Famous".

Zu den Kritikern des ersten Kony-Films gehörte auch Patrick Wegner. Der Uganda-Experte und Blogger forscht am Heidelberger Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht.

Süddeutsche.de: Das ursprüngliche Youtube-Video "Kony 2012" nannten Sie eine "Verschwendung von 100 Millionen Klicks": es sei Afrikanern gegenüber arrogant und nehme es mit den Fakten nicht allzu genau. Gefällt Ihnen das neue Video besser?

Patrick Wegner: Deutlich besser. Es liefert ein wenig von der politischen Komplexität nach, die ursprünglich fehlte. Die Macher haben sich jetzt auch demonstrativ bemüht, Menschen aller Hautfarben zu Wort kommen zu lassen. Das erste Youtube-Video hatte sich da noch ganz nabelschauhaft auf den amerikanischen Gründer der Hilfsorganisation konzentriert, auf Jason Russell: Es hatte kostbare Minuten darauf verwendet, ihn cool aussehen zu lassen, seinen fünfjährigen Sohn vorzustellen. Um ein Publikum in den USA anzusprechen, war das vielleicht okay. Aber gerade in Uganda wurde dieser Stil als westliche Hybris gewertet.

Süddeutsche.de: Der ugandische Premierminister konterte sogar seinerseits mit einem Youtube-Video...

Wegner: Ja, und er musste darin klarstellen: Wie die Macher von "Kony 2012" über Uganda sprachen, war einfach falsch. Joseph Kony hält sich mit seiner Miliz seit Jahren im Dschungel versteckt und terrorisiert ein Gebiet, das halb so groß ist wie Frankreich. Dieses Gebiet erstreckt sich über Kongo, Teile Südsudans und der Zentralafrikanischen Republik - aber von Uganda hat er sich, anders als von der Kampagne "Kony 2012" suggeriert, inzwischen entfernt.

Süddeutsche.de: Im neuen Video wird das besser erklärt?

Wegner: Ja. Jetzt kommen auch Kongolesen zu Wort. Jetzt wird auch betont, dass es mit einer militärischen Aufrüstung allein nicht getan ist, sondern dass man zum Beispiel auch Konys Kämpfern dabei helfen muss zu desertieren, zurück ins Leben zu finden.

Süddeutsche.de: Was bringen Millionen von Youtube-Klicks überhaupt für die Jagd auf ein Phantom, das bislang jeder Armee entwischt ist?

Wegner: Es hat schon einen Wert, wenn überhaupt eine internationale Diskussion darüber entfacht wird, wie man der Region helfen kann, die von Joseph Kony terrorisiert wird. Leider hat sich die Diskussion, die von dem Video "Kony 2012" ausgelöst wurde, aber sehr schnell auf das Geschäftsgebaren der Organisation Invisible Children fokussiert.

Süddeutsche.de: Deren Umgang mit Spendengeldern warf auch Fragen auf. Nur jeder dritte Dollar aus der Kampagne "Kony 2012" geht nach Afrika.

Wegner: Diese Zahl allein ist für mich noch nicht unbedingt verwerflich. Das Drittel, das nach Afrika geht, wird dort gar nicht so schlecht verwendet. Die Organisation "Invisible Children" hat im Nordosten von Kongo Rückkehr-Zentren für LRA-Kämpfer eingerichtet, die Kony entkommen und sich ergeben wollen. Das ist entscheidend, um die LRA zu schwächen. Das macht die Organisation gut. Mit dem Rest ihres Geldes betreibt die Organisation "Advocacy", also Kampagnen, um Bürger und Politiker im Westen aufzurütteln. Auch das ist grundsätzlich legitim. Nur: In diesem Bereich verhält sich die Organisation in meinen Augen haarsträubend.

Süddeutsche.de: Inwiefern?

Wegner: Das ist vielleicht eine persönliche Stilfrage. Da gibt es Kampagnen-Videos, die zeigen, wie die Mitarbeiter der Organisation versuchen, amerikanische Teenager für das von Joseph Kony terrorisierte Zentralafrika zu interessieren. Als es mit Argumenten nicht klappt, auch nicht mit flacheren, entwickeln die Mitarbeiter der Organisation eine Tanzchoreographie im Stil eines High School-Musicals, wie in der Fernsehserie "Glee" - und nur in wenigen Strophen wird kurz Uganda erwähnt. Dieses Tanz-Video war teuer, das kann man ihm ansehen. Ich persönlich würde ungern für so etwas spenden.

Süddeutsche.de: Die Organisation "Invisible Children" behauptet, mit ihrer Methode der Mobilisierung schon eine Menge erreicht zu haben. Die Obama-Regierung habe auf ihren Druck hin 100 Militärberater für die Jagd auf Kony entsandt.

Wegner: Das ist zum Teil richtig. Dass die USA sich an der Jagd auf Kony beteiligen, geht sicher auch auf den Druck aus der Zivilgesellschaft zurück. Aber man darf nicht vergessen, dass die USA hier ohnehin eigene Interessen verfolgen. Das ist nichts, was erst mit der Kampagne "Kony 2012" begonnen hätte. Eine Zusammenarbeit mit der ugandischen Armee ist für die USA von strategischem Interesse, denn zum einen hilft Uganda zur Zeit bei einem internationalen Einsatz gegen Islamisten in Somalia, wofür die USA sehr dankbar sind. Zum anderen sind im ugandisch-kongolesischen Grenzgebiet größere Mengen Öl gefunden worden.

Süddeutsche.de: Ist die militärische Intervention, für die die Kampagne "Kony 2012" wirbt, der einzig erfolgversprechende Weg, um Joseph Kony zu stoppen?

Wegner: Man hat über Jahre immer wieder versucht, mit ihm zu verhandeln. Das Problem ist, dass auf Kony und seine zwei wichtigsten Kommandeure ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag aussteht. Kony schickt deshalb immer nur Mittelsmänner zu Gesprächen. Zu diesen Mittelsmännern scheint er selbst kein Vertrauen zu haben. Unter diesen Umständen bleibt nicht viel mehr als die Strategie, ihn militärisch zu besiegen, auch wenn das neue Gefahren für die Bevölkerung mit sich bringt, die leider viel zu wenig diskutiert werden - schon gar nicht in den "Kony 2012"-Videos.

Süddeutsche.de: Für den 20. April rufen die Macher der Videos nun dazu auf, weltweit das Logo ihrer Kampagne "Kony 2012" zu plakatieren.

Wegner: Das ist sicher cool und anziehend für Teenager. Die Plakate und der ganze "Kony 2012"-Merchandise füllen aber vor allem die Kasse der Organisation. Mehr bringt das nicht. Wie gesagt, das mag jetzt eine Geschmacksfrage sein. Aber ich würde dann doch lieber an Organisationen spenden, die anders arbeiten.

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