Neuer Chef für die Labour-Partei:Ein Bruder zu viel

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Vier Monate nach der Wahlniederlage von Gordon Brown sucht die britische Labour-Partei einen neuen Chef. Die Entscheidung fällt erstmals zwischen zwei Brüdern: David und Ed Miliband.

Wolfgang Koydl

Kain und Abel, Castor und Pollux, Romulus und Remus, Frank und Jesse James - die Geschichte mythologischer und realer Brüderpaare hat selten ein Happy End. Denn meistens stirbt einer von ihnen, oft noch recht jung und gewalttätig, und mitunter wird der Mord auch noch vom anderen Bruder verübt.

David links, Ed rechts: Die Labour-Partei muss sich zwischen zwei Brüdern entscheiden. (Foto: AFP)

Jung, berühmt und ehrgeizig sind auch die Brüder David und Ed Miliband, und auch ihr Konflikt wird in der Niederlage für einen von beiden enden - wenn auch unblutig. Am Samstag wird im Kongresszentrum der nordenglischen Industriestadt Manchester verkündet, wer von ihnen die Nachfolge Gordon Browns als neuer Führer der oppositionellen britischen Labour Party antreten wird.

Mili-D oder Mili-E

Rein technisch und theoretisch hatten sich noch drei weitere Kandidaten um die Aufgabe beworben - Ex-Schulminister Ed Balls, der ehemalige Gesundheitsminister Andy Burnham und die schwarze Hinterbänklerin Diane Abbott. Aber Buchmacher und politische Beobachter haben von Anfang an die beiden Mili- Men favorisiert, wie sie partei-intern spöttisch genannt werden: Mili-D oder Mili-E.

Seit der Niederlage von Labour bei der Unterhauswahl im Mai bereiste die Fünfergruppe das ganze Land, umwarb Parteimitglieder und Gewerkschaftler zwischen Dover und Dundee und diskutierte zu zweit, zu dritt oder zu fünft auf diversen Podien. Wahlberechtigt waren alle 170.000 Parteimitglieder, Beitrag zahlende Gewerkschaftler und die Labour-Fraktionen in Unterhaus und Europäischem Parlament. Letztere haben mindestens zwei, wenn nicht gleich drei Stimmen, da die Volksvertreter in London und Straßburg ja auch Mitglieder in der Partei und unter Umständen auch in einer Gewerkschaft sind.

Gewählt wurde nach einem System von Präferenzstimmen, wonach man auf dem Stimmzettel mehrere Stimmen je nach Vorliebe auf mehrere Kandidaten verteilen konnte. Dieses System machte den Wahlausgang bis zum letzten Augenblick ungewiss. Bis Anfang September hatte der mit 44 Jahren ältere Bruder David in Umfragen klar vorne gelegen. Niemand schien dem Ex-Außenminister den Sieg streitig machen zu können. Doch dann holte der vier Jahre jüngere Ed auf - dank der Unterstützung vor allem der Gewerkschaften und wegen der Zweitstimmen, die er von Wählern der anderen drei Bewerber erhielt.

Die Aussicht auf einen Sieg von Mili-E, der im Kabinett von Premierminister Gordon Brown Umweltminister war, hat gelinde Panik im Partei-Establishment ausgelöst. Denn der Jüngere steht politisch deutlich links von seinem Bruder David. Das verschafft ihm zwar Popularität in traditionellen Arbeiterhochburgen und bei der organisierten Arbeiterschaft, würde aber vermutlich nicht bei der Mehrheit der eher zur politischen Mitte hin tendierenden Wähler ankommen.

"David wäre für uns eine Enttäuschung"

Mehrere Parteigranden wie Lord Peter Mandelson, der frühere Multi-Minister Jack Straw und indirekt auch Ex-Premierminister Tony Blair haben denn auch bereits warnend darauf hingewiesen, dass Ed Miliband die Partei zurück in eine wohlige "Kuschelecke" selbstverliebter Fundamentalopposition zur konservativ-liberaldemokratischen Koalition führen würde. Dies wäre eine Partei, wie es David Miliband formulierte, mit "großem Herzen, aber grundsätzlich naiv, wohlmeinend, aber rückständig".

Vor allem aber wäre eine von Ed Miliband geführte Partei ganz nach dem Geschmack der Regierung unter Tory-Premierminister David Cameron und seinem liberalen Vize Nick Clegg, ganz zu schweigen von der Labour-feindlich gesinnten Londoner Boulevardpresse. Ein Chefredakteur gestand dies unlängst sogar offen einem Blogger der Financial Times. "David wäre für uns eine Enttäuschung", meinte er. Den jüngeren Bruder aber könnte man als Red Ed karikieren, als krypto-marxistischen Roten, der in der Tasche der Gewerkschaften stecke. Da die Parteimitglieder soeben mit "Red Ken" Livingstone einen anderen Vertreter des harten linken Flügels zu ihrem Kandidaten für die Bürgermeisterwahl in London in zwei Jahren gewählt haben, würde ein zweiter linker Spitzenmann die Masse der Wähler abschrecken.

Vor allem aber treibt die Parteispitze die Frage um, ob und in welcher Funktion der unterlegene Miliband-Bruder im Schattenkabinett des anderen dienen würde. Bezeichnend ist, dass sich die beiden Brüder persönlich offenbar noch nicht darüber unterhalten haben, sondern diese Diskussion ihren Stäben überließen. Was daraus an die Öffentlichkeit dringt, lässt nichts Gutes ahnen. Demnach würde David Miliband zwar in ein Schattenkabinett von Ed eintreten. Doch nach ein paar Monaten, so die Spekulation, würde er eine Zukunft außerhalb des Politikbetriebes von Westminster suchen.

© SZ vom 25.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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