Neonazis im Internet:Aufrüsten für den Krisenfall

Lesezeit: 4 min

Die Wirtschaftskrise und ihre vermeintlichen Folgen: wie zwei ehemalige Anhänger der "Heimattreuen Deutschen Jugend" Geschäfte mit der Angst machen.

Andrea Röpke und Maik Baumgärtner

Maik Baumgärtner ist freier Journalist und arbeitet unter anderem für den Deutschlandfunk und die taz . Er schreibt in diversen Blogs zum Thema Rechtsextremismus. 2009 veröffentlichte er das Buch "Wer trägt die schwarze Fahne dort... - Völkische und neurechte Gruppen im Fahrwasser der Bündischen Jugend heute". Andrea Röpke, Diplompolitologin, beschäftigt sich als freie Journalistin seit 15 Jahren mit dem Thema Rechtsextremismus. Von ihr erschienen ist unter anderem "Ferien im Führerbunker - Die neonazistische Kindererziehung der Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ)" und, gemeinsam mit Andreas Speit, "Neonazis in Nadelstreifen". Röpke wurde mehrfach für ihre Arbeit ausgezeichnet. Unter anderem wurde sie 2007 vom Medium Magazin zur "Reporterin des Jahres" ausgezeichnet und erhielt im selben Jahr den Medienpreis "Leuchtturm" des Netzwerks Recherche.

Aus der Krisenangst ihrer Kameraden haben die beiden langjährig aktiven Neonazis Sven Ringmayer und Marc Müller ihre Geschäftsidee entwickelt. (Foto: Foto: dpa)

Wir befinden uns in "Phase O" des Krisenszenarios von Michael Winkler. Die ideale Vorsorge zum Überleben wäre jetzt ein Bauernhof, mindestens über 250 Meter hoch gelegen, am besten im Voralpenland, mit Atombunker und Lebensmittelvorräten für drei Jahre.

Zudem genügend Heizöl, verteilt auf zehn unterirdische Tanks, Saatgut, einen eigenen Bach mit Wassermühle und Stromgenerator, sowie eine Solaranlage. Der studierte Physiker empfiehlt Bargeld zu horten, Verkaufsoptionsscheine auf den Dax zu erwerben und Aktien rechtzeitig "an einen Dümmeren" zu verkaufen. Wenn "Phase 1" eingeläutet wird, könnte es dafür schon zu spät sein, insistiert Winkler.

Als Verkünder der Apokalypse warnt Winkler auf zahlreichen Internetseiten insbesondere eine Klientel: die selbsternannte neonazistische "Avantgarde". Bei rechten Scheitelträgern und studierten Völkischen findet sein fiktionaler Text "Der Untergang" in Zeiten von Wirtschaftskrise und Absatzrückgang begeisterte Anhänger. Winkler scheint deren Ressentiments zu bedienen, denn auf die Krise wird ein Kriegsausbruch folgen, orakelt er, möglicherweise ausgelöst durch "israelische Bomben auf den Iran". Woraufhin dann "ein paar unserer muslimischen Mitbewohner", so Winkler, hier "ihre Sprengstoffgürtel bestücken" könnten.

Auch Silvia Kirschner, genannt "Skadixx", achtfache Mutter und ehemalige Anhängerin der im März verbotenen "Heimattreuen Deutschen Jugend" (HDJ), ist überzeugt davon, dass durch die aktuelle Finanzkrise die "total vernetzte und globalisierte Welt" aus den Fugen geraten wird. Sie empfiehlt Vorratshaltung und die Bildung nationaler Notgemeinschaften auf sogenannten Wehrhöfen. Wenn "Panikkäufe losgehen", belehrt sie die Kameraden, dann "müssen wir einen Schritt weiter sein".

Langjährige Aktivisten wie Kirschner und Winkler wissen, dass die meisten aus der "NS-Bewegung" sich den Luxus eines autarken "Wehrhofes" niemals leisten können.

Darum verweist Winkler an den "Zivilschutzversand" von Sven Ringmayer und Marc Müller, "dort bekommen Sie zum Beispiel fertig konfektionierte Fluchtgepäcke". Aus der Krisenangst ihrer Kameraden haben die beiden langjährig aktiven Neonazis eine Geschäftsidee entwickelt. Hilfreich scheint ihnen dabei ihre Erfahrung mit Zeltlagern, Gewaltmärschen und Ideologieschulungen.

Denn ebenso wie Kirschner gehörten die Familienväter der im März verbotenen "Heimattreuen Deutschen Jugend" an. Das Bundesinnenministerium sah es als erwiesen an, dass die braune Erziehertruppe eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus aufzeigte und sich mit ihrer Uniformierung als "paramilitärisch auftretende Elite" sah.

Der Versand von Ringmayer und Müller bietet Fluchtgepäck im Wert von 99 bis zu 429 Euro. Zum Repertoire rechter Krisenvorsorge gehören neben Notkocher, Kampfmesser, Trinksysteme, Micropur Forte zur Wasseraufbereitung, abgepackten Travellunch-Paketen auch "Trainings-Expeditionen". Zu den Schwerpunkten dieser Touren zählten laut Homepage Flussüberquerungen, Orientierung bei Nacht, der Bau eines Biwaks, aber auch Paintball und Fallschirmspringen.

Um sich "im Krisenfall richtig zu verhalten", werden indivuelle Ausflüge in die Rhön oder nach Tschechien angeboten. Dort, so erfährt der Interessent dann später, steht auch der Besuch eines Schießstandes auf dem Programm. Im Angebot sind Waffen wie AK 47, Samopal (Sturmgewehr), Karabiner, Pumpgun oder verschiedene Pistolen. Am zweiten Spieltag, gleich nach dem Mittagessen, sei ein "ausgiebiges Schießen mit allen Kalibern" geplant, wirbt Ringmayer aus dem unterfränkischen Obersinn. Allerdings seien manche Waffen "keine Vollautomaten", es können daher "keine Salven", sondern "nur" Einzelschüsse verfeuert" werden.

Als Projektleiter war der langjährige Neonazi bei MAN tätig, jetzt hat er eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts gemeinsam mit Müller, mit Sitz im baden-württembergischen Bad Liebenzell, gegründet. Aufgrund ihrer "umfangreichen Outdoor-Erfahrung" - gemeint sind wohl Zeltlager und Überlebenstraining mit Jugendlichen bei der HDJ - sehen sie sich als prädestiniert für die Ausbildung in Punkto "Sicherung von Haus und Hof" oder "Flucht aus der Stadt" an.

Müller schreibt: "Unsere Erfahrungen reichen bis in unsere aktive Pfadfinderzeit zurück. Bei unseren häufigen (teilweise auch privaten) Touren sind wir immer völlig autark in den verschiedensten Gegenden unterwegs". Mit rund 490 Euro sind zahlungskräftige Interessenten dabei.

Anfang der neunziger Jahre gehörte Sven Ringmayer dem NPD-Landesvorstand in Hessen an. Er war mit Ehefrau Christine, einer ehemaligen NPD-Stadtverordneten im Frankfurter Römer, und den Kindern in den "Einheiten" Hessen und Franken der HDJ organisiert. Auf seinem Privatgrundstück im bayerischen Obersinn soll im November 2004 ein "Herbstseminar" für Jugendliche stattgefunden haben, die Themen hießen: "Menschenführung, Rhetorik, Lagersicherheit". Ein Jahr später gab es in dem kleinen Ort im Landkreis Main-Spessart ein "Winterseminar" der HDJ mit "Funkschulung und Schulung in Kfz-Kolonnenfahren".

Mitglieder der Familie Ringmayer beteiligten sich am Pfingstlager der HDJ im niedersächsischen Eschede. Im Herbst 2008 marschierte Sven Ringmayer bei einer NPD-Demonstration in Fulda mit, in Wetzlar trat er als Ordner auf. Sein ältester Sohn, der im Februar an der Demonstration Tausender Neonazis in Dresden teilnahm, wurde als Gymnasiast mit einer Gruppe Jugendlicher in Verbindung gebracht, die sich "Wehrmacht Alzenau" nannte.

Tochter Annika hatte innerhalb der soldatisch geprägten "Erziehertruppe" der Heimattreuen den Rang einer "Einheitsführerin" inne. Gemeinsam mit anderen jungen Neonazis, unter anderem aus dem Spektrum der "Freien Nationalisten Rhein-Main", hielt sie 2008 ein Osterlager mit rund 50 Kleinkindern im vogtländischen Limbach ab.

Die 20-jährige Mutter eines kleinen Sohnes gilt als fanatische NS-Bewunderin, sie ist mit einem der führenden Kameradschaftsaktivisten der Region liiert und lebt in Hoch-Weisel bei Butzbach.

"Das ganze Land wird wie ein Räubernest genutzt"

Auch die Familie des zweiten "Zivilversand"-Betreibers Marc Müller aus Bad Liebenzell ist insbesondere durch ihre Aktivitäten in der HDJ wie auch der rassistischen "Artgemeinschaft Germanische Glaubens-Gemeinschaft" von Jürgen Rieger bekannt. In den "Sippennachrichten" der bereits 1994 verbotenen militanten "Wiking-Jugend" wurde die Hochzeit von Marc und Petra Müller verkündet. Sie, inzwischen Mutter von sechs Kindern, nahm an einem Lager der Wiking-Jugend in Hetendorf teil. 2006 gehörte Petra Müller zu den Mitbegründerinnen der NPD-Unterorganisation "Ring Nationaler Frauen".

"Voller Abscheu" berichtete sie Anfang des Jahres im "Funkenflug" der HDJ über eine Reise nach Polen, in die ehemalige Region Schlesien. "Das ganze Land wird wie ein Räubernest genutzt", hetzte die Neonazistin vor jugendlichen Lesern.

In Bad Liebenzell erregen Müllers Ansichten kaum Aufsehen. Er trainiert sogar die weibliche B-Jugend des regionalen Sportvereins. Deren Homepage war auffällig verlinkt mit dem "Zivilschutzversand".

Tatsächlich scheinen die Geschäftsinhaber Wert auf einen unpolitischen Anstrich zu legen. Seriösität sollten ihnen Verweise zur Unwetterzentrale oder zum Katastrophenschutz des Bundes verleihen. Sehr wahrscheinlich, dass sie in Zeiten von Krise und Verunsicherung ein mögliches Interessentenpotential auch außerhalb ihres politischen Spektrums im Visier haben.

© sueddeutsche.de/gba - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: