Nato-Beweise für Truppenbewegungen:Russland lässt alle Hüllen fallen

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Ein Militärkonvoi fährt durch eine Steppe in der südwestrussischen Region Rostov, nahe der Grenze zur Ukraine. (Foto: REUTERS)

Wo vor Wochen zwei Flugzeuge standen, ist jetzt kaum noch Platz. Satellitenfotos vom Militärflugplatz Millerowo lassen keine Zweifel mehr. Die Russen haben an der Grenze zur Ukraine tausende Soldaten zusammengezogen. Die Nato spricht bei ihrer Präsentation im belgischen Mons von einer "hochmobilen, effektiven Offensiv-Streitmacht".

Von Daniel Brössler

Der 17. Mai war ein ruhiger Tag auf dem Militärflugplatz Millerowo unweit der Grenze Russlands zur Ukraine. So sieht es jedenfalls auf einer Satellitenaufnahme aus, die Brigadegeneral Nico Tak am Donnerstag im militärischen Hauptquartier der Nato im belgischen Mons auf eine Leinwand projizieren lässt. Zwei Flugzeuge sind zu sehen und viel ungenutzter Platz.

Gleich daneben ist eine zweite Aufnahme zu betrachten. Da wirkt der Flugplatz belebt. Zahlreiche Flugzeuge sind zu sehen, alle Stellplätze scheinen besetzt zu sein. Diese Aufnahme stammt vom 21. August. In Grenznähe habe, sagt Tak, Chef des Krisen- und Operationszentrums der Nato in Mons, eine "hochmobile, effektive Offensiv-Streitmacht" Stellung bezogen. Die Botschaft: Eine Woche vor dem Nato-Gipfel in Wales hat sich die Situation im Osten der Ukraine drastisch verschärft. Und: Russland hat so gut wie alle Hüllen fallen lassen.

"In den vergangenen zwei Wochen haben wir eine bedeutende Verschärfung des russischen militärischen Eingreifens in der Ukraine gesehen - sowohl was das Ausmaß angeht als auch die Komplexität", sagt Tak. Er präsentiert eine ganze Reihe von Bildern, die das belegen sollen. Sie zeigen ein Camp auf russischer Seite, das innerhalb von wenigen Monaten riesige Ausmaße angenommen haben soll. Sie zeigen Panzerformationen im Rebellengebiet, wie Tak es formuliert. Zu sehen sind auch Flugabwehrgeschütze, in langer Reihe aufgestellt. Nach Darstellung des Brigadegenerals liefern die von der Firma Digital Globe stammenden Bilder "zusätzliche Beweise, dass russische Kampftruppen, ausgerüstet mit High-Tech-Waffen, innerhalb des Territoriums der souveränen Ukraine operieren". Und doch zeigten sie nur "die Spitze des Eisbergs" angesichts des Ausmaßes der russischen Militärhilfe.

Die Bildkombination zeigt Satellitenaufnahmen vom selben Ort in der Oblast Rostow nahe der ukrainischen Grenze: links vom 19. Juni, rechts zwei Monate später vom 20. August (Foto: AP)

"Deutlich mehr als tausend" russische Soldaten

Erstmals nennt die Nato auch eine Zahl. "Deutlich mehr als tausend" russische Soldaten seien in der Ostukraine im Einsatz, sagt Tak, wobei er sich auf offene Quellen, aber auch auf Geheimdienstinformationen beruft. Eine Zahl ist das, die im krassen Gegensatz zur offiziellen Moskauer Darstellung steht, wonach Russland die Separatisten nicht mit eigenen Soldaten unterstützt. Als eine Gruppe russischer Soldaten kürzlich in der Ukraine festgenommen worden war, behauptete das russische Verteidigungsministerium noch, sie hätten sich auf ukrainisches Gebiet verirrt.

Die Nato sieht in solchen Beteuerungen nichts als Verschleierungsversuche, die von Beginn an typisch seien für das russische Eingreifen. Nato-General Tak spricht von einer "hohen Zahl moderner Waffen, Luftabwehrgeschützen, Panzern sowie gepanzerten Fahrzeugen", die zu den Separatisten gebracht worden seien. "Diese Waffen zusammen mit der Anwesenheit russischer Kampftruppen innerhalb der Ukraine führen zu einer immer besorgniserregenderen Situation", warnt der Niederländer.

Für die jüngste Verschärfung und für das zuletzt immer offenere russische Eingreifen machen die Nato-Analytiker zwei Hauptgründe aus. Zum einen habe der Abschuss des malaysischen Verkehrsflugzeugs den Verantwortlichen in Moskau vor Augen geführt, wie gefährlich es ist, hochkomplexes Kriegsgerät in die Hände von schlecht ausgebildeten Männern zu geben.

Noch wichtiger aber: Die russische Seite musste eine Niederlage der Separatisten fürchten. Sie waren in den vergangenen Wochen immer stärker in die Defensive geraten und hatten mehr Unterstützung aus Moskau angemahnt. Nicht vergebens, wie die Nato überzeugt ist. "Russland liefert Verstärkung für die Separatisten, um die Dynamik zu drehen, die derzeit das ukrainische Militär begünstigt", urteilt Tak. Russlands Ziel sei es, Druck von den Separatisten zu nehmen, "um den Konflikt einzufrieren". Der Brigadegeneral ist überzeugt, dass die russische Seite tun wird, was immer ihr nötig erscheint, um eine Niederlage der Rebellen zu verhindern.

Mögliche neue Front im Süden bei Mariupol

Die Möglichkeiten der Russen sind dabei nach Nato-Einschätzung ziemlich umfassend. 20 000 russische Soldaten seien an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen worden. Ein Streitmacht, die eingesetzt werde, um die Ukraine unter Druck zu setzen. Besonders beunruhigt sind die Nato-Experten von Erkenntnissen über die Eröffnung einer neuen Front im Süden bei Mariupol, die es den ukrainischen Truppen noch schwerer machen dürfte, mit den Separatisten fertigzuwerden.

Die russischen Soldaten schrecken nach Nato-Einschätzung auch nicht davor zurück, direkt in Kampfhandlungen einzugreifen. Es habe offenkundig "Kontakt" zwischen russischen und ukrainischen Kampftruppen gegeben, sagt Tak. Von einer Invasion spricht er dennoch nicht. Es sei nicht Sache der Nato-Militärs, solch eine Einordnung vorzunehmen. Für die Nato handele es sich bislang um einen "Einfall" russischer Truppen ins Nachbarland. Der Brigadegeneral macht klar, dass er nun die Politiker am Zug sieht. Taks Satellitenaufnahmen allerdings dürften beim Nato-Gipfel nächste Woche eine Rolle spielen.

© SZ vom 29.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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