Nahost-Konflikt:Im Untergrund

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Ein Tunnel, der angeblich direkt unter dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNRWA) in Gaza verläuft: Dieses und weitere Bilder hat Israels Militär veröffentlicht. (Foto: DYLAN MARTINEZ/REUTERS)

Die israelische Armee meldet den Fund eines 700 Meter langen Hamas-Tunnels unter dem Sitz des Hilfswerks der Vereinten Nationen für palästinensische Flüchtlinge in Gaza. Dessen Chef dementiert, davon gewusst zu haben.

Von Bernd Dörries

Die Bilder zeigen einen Tunnel, durch den ein Kabelstrang läuft, sie zeigen Toiletten und lange Gänge, die schließlich zu einem Ausgang führen, etwa 20 Meter unter der Erde, freigelegt durch israelische Bagger. Vergangene Woche lud die israelische Armee eine Gruppe internationaler Journalisten nach Gaza ein auf eine geführte Tour, auf der Bilder von Gebäuden und Tunnelschächten gemacht werden durften, die die Armee aussuchte. Und die danach von einem Militärzensor genehmigt werden mussten.

Für Israel sind die Bilder der Beweis dafür, dass das Hilfswerk der Vereinten Nationen für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) eine Mitverantwortung trägt am Terror der Hamas, da der gezeigte Tunnel direkt unter dem UNRWA-Hauptquartier in Gaza verlaufe. Das Militär teilte mit, dass die "elektrische Infrastruktur" des etwa 700 Meter langen Schachtes mit dem Hauptquartier der Organisation "verbunden" sei, was wiederum darauf hindeute, dass "UNRWA-Einrichtungen den Tunnel mit Strom versorgen". Belege dafür, dass es diese Verbindung gibt, wurden den Journalisten nicht gezeigt.

Die Pressetour der Israelis und die Entgegnungen des UNRWA sind ein neues Kapitel im seit Jahrzehnten andauernden Konflikt zwischen dem Flüchtlingshilfswerk für die Palästinenser auf der einen Seite und dem jüdischen Staat, der dem UNRWA vorwirft, sich zu sehr auf die Seite der Palästinenser geschlagen zu haben. Das Hilfswerk wurde einst gegründet, um sich um die etwa 800 000 Menschen zu kümmern, die durch Israels Staatsgründung vertrieben worden waren.

Fast 20 Länder haben nach den israelischen Vorwürfen ihre finanziellen Hilfen eingestellt

Ende Januar beschuldigte Israel das UNRWA, dass zwölf von dessen Mitarbeitern sich am Terror der Hamas am 7. Oktober beteiligt hätten. Der israelische Geheimdienst soll ein Dossier angefertigt haben, das unter anderem die Verbindungsdaten der Verdächtigen auflistet. Er habe es bisher nicht bekommen, sagt UNRWA-Chef Philippe Lazzarini seit Tagen - er habe aber dennoch alle Verdächtigen entlassen und zwei Untersuchungen eingeleitet, eine davon durch eine externe Kommission. Die Financial Times konnte das Dossier einsehen und berichtet, die Vorwürfe seien darin "nicht belegt".

Fast 20 Länder, darunter die USA, haben nach den israelischen Vorwürfen ihre finanziellen Hilfen an das Hilfswerk eingestellt, insgesamt soll es sich um etwa 400 Millionen Dollar handeln. Deutschland will zunächst keine neuen Zahlungen bewilligen. Das UNRWA warnt, dass die Mittel für die humanitäre Hilfe in Gaza im März zu Ende gehen könnten, und Hunderttausende Flüchtlinge von einer akuten Hungersnot bedroht seien.

Länder wie Spanien und Norwegen stockten daraufhin ihre Hilfe auf. Die Bundesregierung hat bisher nicht mitgeteilt, ob ihr bei der Entscheidung, die Hilfen für das UNRWA auszusetzen, das Dossier der Israelis vorlag. Man wolle die Untersuchung der UN abwarten, heißt es in Berlin. Die Vorwürfe Israels gegen das UNRWA und zwölf von dessen Mitarbeitern wurden am 26. Januar bekannt, dem Tag, an dem der Internationale Gerichtshof in Den Haag Israel völkerrechtlich bindend aufforderte, mehr für den Schutz von Zivilisten und deren Versorgung zu tun.

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Israels Außenminister Israel Katz erklärte nach der Pressetour vom Samstag, die Entdeckung zeige die "tiefe Verstrickung" des UNRWA mit der Hamas. Und forderte den Rücktritt von UNRWA-Chef Philippe Lazzarini. Der wiederum entgegnete, dass das Hilfswerk nichts von einem Tunnel unter seinem Gebäude gewusst habe. Was israelische Militärs wiederum als einen "Affront gegen den gesunden Menschenverstand" bezeichneten, da der Bau des Tunnels zu hören gewesen sein müsse.

Lazzarini wiederum entgegnete, das UNRWA habe das Gebäude bereits seit dem 12. Oktober verlassen, nach den schweren Angriffen der Israelis. Lazzarini sagte, er habe nicht von den Israelis von den erneuten Vorwürfen erfahren, sondern aus den Medien. Grundsätzlich sei es so: Jeder verdächtige "Hohlraum" oder Vorgang in UNRWA-Einrichtungen in Gaza werde auch Israel gemeldet und veröffentlicht. Der New York Times sagte er zudem: "Unsere Angestellten sind Teil der sozialen Gesellschaft von Gaza. Und Hamas ist Teil dieser Gesellschaft."

Die Hamas hatte 2006 die bisher letzten Wahlen in Gaza gewonnen und die Palästinensische Autonomiebehörde entmachtet. Israel hatte daraufhin eine Blockade des Gazastreifens begonnen, später aber finanzielle Hilfen für die Hamas unterstützt und genehmigt, die vor allem aus Katar kamen. Als Besatzungsmacht wäre Israel eigentlich verpflichtet, im Gazastreifen für eine zivile Infrastruktur zu sorgen. Was es aber, genau wie Hamas, letztlich dem UNRWA überließ, das dort 300 000 Kinder unterrichtet und Krankenhäuser betreibt.

Die israelische Militärführung gesteht bei aller Kritik deshalb ein, dass das UNRWA im Moment nicht zu ersetzen sei. Es wird nicht der letzte Konflikt gewesen sein zwischen Israel und dem Hilfswerk, in dem es darum geht, ob die Vereinten Nationen zu sehr Partei geworden sind oder ob sie mittlerweile eher Teil des Problems geworden sind als dessen Lösung.

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