Nathan kann gar nicht mehr erwarten, dass es losgeht. Der 19-jährige Bremer will zur Bundeswehr. Die Kameradschaft und die Disziplin reizen ihn, sagt er, und " mich selber zu sehen, wie ich an mein Limit komme". Auch der Papa ist begeistert: "Die passen auf dich auf, die formen dich." Auf seinem Bett hat Nathan schon zurechtgelegt, was er mitnehmen will zum Dienstantritt. Dazu gehört auch ein Paar Einlegesohlen. Die Armee-Stiefel sollen "blasenanfällig" sein, hat er gehört.
Was wirkt wie ein mit wackeliger Kamera gedrehter Handyclip für die Freunde, ist der Auftakt einer neuer Youtube-Serie der Bundeswehr. Titel der Reihe: Die Rekruten, Untertitel: Eine Bundeswehr Originalserie. Das klingt nach Netflix-Spirit bei den deutschen Streitkräften. Internetnutzer können die kommenden zwölf Wochen verfolgen, wie es zwölf jungen Rekruten "vom ersten Antreten bis zum feierlichen Gelöbnis" bei ihrer Grundausbildung an der Marinetechnikschule in Parow bei Stralsund ergeht.
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Nach dem Wegfall der Wehrpflicht muss die Bundeswehr kreativ werden
Die täglich ausgestrahlte Doku ist das jüngste Beispiel, wie die Bundeswehr ihre Präsenz in den sozialen Medien ausbaut. Die Mission: Die Zielgruppe der 17- bis 25-Jährigen erreichen, um Nachwuchs für die Truppe zu gewinnen. Im Frühjahr rief Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) die "Trendwende Personal" aus. Die Armee braucht mehr Soldaten, mehr Sanitäter, mehr IT-Experten und Ingenieure. Bis 2023 besteht ein zusätzlicher Bedarf von 14 300 Soldaten und 4400 zivilen Mitarbeitern.
Seit die Wehrpflicht vor fünf Jahren abgeschafft wurde, ist es für die Bundeswehr schwierig geworden, neue Anwärter zu finden. "Die Bundeswehr steht im Wettbewerb mit vielen Großunternehmen, die gerade im technischen Bereich weit mehr zahlen können", sagt Franz Beitzinger, Kommunikationswissenschaftler an der Universität der Bundeswehr in München. Da die meisten jungen Menschen in sozialen Medien unterwegs sind, will die Bundeswehr dort als attraktiver Arbeitgeber auf sich aufmerksam machen. Dabei nutzt sie ähnliche Werbeformate wie die Konkurrenz aus der Industrie. "Soldaten treten als Markenbotschafter auf und geben Einblicke in den Berufsalltag", sagt Kommunikationsexperte Beitzinger. Authentisch und nahbar soll das wirken.
35,3 Millionen Euro für die Nachwuchsgewinnung
Deshalb sind die fünfminütigen Filme der neuen Youtube-Serie rasant geschnitten, häufig im Selfie-Winkel gefilmt und mit hereinfliegenden Einblendungen und Labels versehen: "Der Family-Guy", "Der Checker", "Die Biker-Queen". Das entspricht zwar eher nicht dem militärischem Protokoll, trifft aber den lockeren Ton der Netzwerke.
Auf Facebook und Snapchat, einer besonders bei Jugendlichen beliebten App, betreibt die Bundeswehr Karriere-Kanäle. Auch auf Instagram und Twitter informiert sie über Einstiegsmöglichkeiten und Jobprofile, meist üppig bebildert mit schwerem Gerät, Waffen und coolen Soldaten.
Bei seiner Attacke auf den Nachwuchs ist das Militär nicht kleinlich. Der Gesamtetat für die Nachwuchsgewinnung beträgt jährlich 35,3 Millionen Euro. Für die Produktion der neuen Youtube-Filmchen fallen 1,7 Millionen Euro ab. Dazu kommen Ausgaben von 6,2 Millionen Euro, um die Reality-Doku auf Plakaten, im Radio und Internet zu promoten.
Das ist unverhältnismäßig viel, findet Tobias Lindner, verteidigungspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. "Die teuersten Leuchtturmprojekte nützen nichts, wenn es im Alltag der Soldaten an der notwendigen Ausstattung fehlt." Anstatt Werbefilmchen für Youtube zu drehen, solle die Bundeswehr besser erklären, welche Ausbildungen man bei den Streitkräften machen könne und welche Perspektiven es für Zeitsoldaten nach ihrem Dienst bei der Armee gäbe, meint Lindner. Das sei wichtig, um die begehrten Informatiker und Ingenieure für die Bundeswehr zu gewinnen.
In den vergangenen Jahren sind die PR-Kampagnen für den Arbeitgeber Bundeswehr immer wieder auf scharfe Kritik gestoßen. Die Gefahren, die auf Soldaten in Auslandseinsätzen warteten, würden verharmlost, lautet ein Vorwurf. Als die Bundeswehr im vergangenen November die Werbeaktion " Mach, was wirklich zählt" startete, zu der auch die aktuelle Youtube-Reihe gehört, schufen Aktivisten unter dem Titel " Mach, was zählt" eine Gegenplattform, auf der sie die dramatischen Folgen von Auslandseinsätzen für Soldaten thematisieren.
Die Armee als Abenteuerspielplatz
"Das Werben für die Bundeswehr in Schulen, Universitäten, auf Ausbildungsmessen und Volksfesten und im Internet ist geschmacklos", sagt Christine Buchholz, verteidigungspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Linken. Ziel der Regierung sei es, "das Militärische zu einem Teil unseres Alltags zu machen".
Nicht immer bewies die Bundeswehr ein sicheres Gespür bei ihren Werbeaktionen. Im Jahr 2014 lud die Luftwaffe über Anzeigen in der Bravo "Team-Player", die "körperlich top fit" sind, zu "Bundeswehr Adventure Camps" auf Sardinien ein. Nicht nur hartnäckige Bundeswehrgegner sahen das Militär dabei zum Abenteuerspielplatz verklärt. Die Motive Kameradschaft, Technologie und Sport ziehen sich auch durch viele Videos der Bundeswehr in den sozialen Netzwerken, die dann schon einmal Hollywood-tauglich "Feuerkampf im Morgengrauen" heißen oder Soldaten in Hochglanzbildern beim Lauf durch den sonnendurchfluteten Wald zeigen.
Grünen-Verteidigungspolitiker Lindner fordert deshalb mehr Fingerspitzengefühl. "Soldat ist kein Beruf wie jeder anderer und schon gar kein Abenteuer. Werbevideos dürfen nicht wie Actionfilme wirken", sagt er. "Sonst spricht man eher die Rambo-Typen an, die in einer Armee nichts zu suchen haben." Die Bundeswehr müsse klarmachen, was es bedeutet, monatelang im Auslandseinsatz zu sein, auf abgeschirmten Militärgeländen weit weg von der Familie zu leben, teilweise mit schlechten Kommunikationswegen nach Hause.
Die Bundeswehr will die Kritik nicht stehen lassen
Die Bundeswehr wehrt sich gegen die harte Kritik. "Die Werbung zeigt authentisch die Jobs in der Bundeswehr. Dazu zählen im militärischen Bereich natürlich auch Auslandseinsätze", sagt ein Sprecher des Verteidigungsministeriums. Auch bei der neuen Youtube-Serie gäbe es kein vorgegebenes Drehbuch. Wenn die Rekruten über das Thema Auslandseinsätze sprächen, würde das selbstverständlich gezeigt.
Ihre Präsenz in den sozialen Medien wertet die Armee als Erfolgsgeschichte. Stolz verweist die Bundeswehr auf Hunderttausende Abonnenten und gesteigertes Ansehen bei Fachkräften. Zudem gelinge es, mit jährlich knapp 10 000 Menschen doppelt so viele freiwillig Wehrdienstleistende zu gewinnen, wie nötig wären. Zur Statistik gehört aber auch, dass jeder Vierte seine Uniform in den ersten sechs Monaten wieder zurückgibt.
Laut Ankündigung soll die neue Youtube-Serie die Höhen und Tiefen während der Grundausbildung zeigen. Stimmt das, könnte die Offensive sogar helfen, die Abbrecherquote zu verringern. Dann wüssten Bewerber, worauf sie sich einlassen. Tatsächlich zeigen die ersten Folgen der Serie, dass nicht Hubschrauberfliegen und Schießübungen, sondern korrektes Falten der Bettwäsche und regelkonformes Antreten vor der Stube den Alltag der Jungsoldaten bestimmen.
Leserdiskussion:Die Bundeswehr auf Youtube: Eine sinnvolle Maßnahme?
Mit neuen Filmchen präsentiert sich die Bundeswehr in den sozialen Netzwerken als attraktiver Arbeitgeber. Zielgruppe sind 17- bis 25-Jährige, die nach Wegfallen der Wehrpflicht der Truppe fehlen. Sind derartige Maßnahmen ein legitimes Mittel, um die Jugend für eine Laufbahn beim Militär zu begeistern?