Nachtkritik zur RBB-Debatte:"Das, was man fühlt, ist auch Realität"

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Georg Pazderski in der RBB-Live-Sendung in Berlin (Foto: imago/Metodi Popow)

In der RBB-Debatte zur Berlin-Wahl zeigt der AfD-Vertreter, wie man in der Partei Politik versteht: Nicht die Fakten zählen, sondern das, was der Bürger empfindet.

Von Jens Schneider

Georg Padzerski ist in der Alternative für Deutschland ein Mann der zweiten Reihe, in jeder Hinsicht. Im Bundesvorstand der Partei gehört der frühere Oberst im Generalstabsdienst zu den Stellvertretern, die selten aufgefallen sind. Für Zuspitzungen und Attacken fühlen sich andere zuständig. Er ist kein Höcke, kein Gauland. Die kalkulierte Provokation liegt ihm nicht.

Der Spitzenkandidat der Berliner AfD will wie ein lebenskluger älterer Herr erscheinen, der in 41 Jahren bei der Bundeswehr viel über die Welt gelernt hat und nun den Berufspolitikern erklärt, wie die Welt wirklich ist. Mit dieser Haltung entspricht er dem durchschnittlichen AfD-Mitglied weit mehr als die notorischen Provokateure. Und in eben diesem Duktus des Alltagsphilosophen verkündet er an diesem Dienstagabend im RBB-Fernsehen eine eigentümliche Weisheit, die mehr über die AfD sagt als alle Grenzverletzungen der prominenten Kollegen.

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Zwölf Tage vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus hat der RBB die fünf Spitzenkandidaten der aussichtsreichsten Parteien ins Studio eingeladen. Schnell finden sich vier der fünf in der Schlachtordnung ein, die diesen Berliner Wahlkampf seit Wochen so fad wirken lässt, dass viele nicht wissen, wen sie wählen sollen.

Der Berliner Senat bekommt seit Monaten schlechte Noten

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller von der SPD und sein Stellvertreter Frank Henkel von der CDU stehen direkt nebeneinander und zeigen schon mit ihrer Körperhaltung, wie wenig sie verbindet. Schon der Anblick reicht, um zu verstehen, warum dieser Berliner Senat seit Monaten für seine Arbeit in Umfragen schlechte Noten bekommt.

Gegenseitig halten sie einander Fehler und Versäumnisse in der Senatsarbeit vor, was am Ende einer fünfjährigen Regierungszeit keiner der beiden Parteien nützen kann. Henkel bleibt dabei seltsam stumm. Am Ende hat er so wenig Redezeit beansprucht, dass die Moderatoren ihm zum Ausgleich eine Frage stellen müssen. Irgendwie passt das zu seinen fünf Regierungsjahren, in denen man sich oft fragte, was der Innensenator eigentlich im Amt anstellte, wenn es nicht gerade spektakuläre, aber fragwürdige Polizeieinsätze zu begleiten gab.

Ramona Pop von den Grünen und Klaus Lederer von der Linken arbeiten sich an den beiden ab, die Grüne oft aggressiv überdreht, der Linke heiter, schlagfertig und mit einem Charme, der ihn abhebt von beiden drögen Regierenden. Und dann ist da Herr Pazderski von der AfD.

Als es für die vier anderen um die Integration der Flüchtlinge geht, will Pazderski davon nichts wissen. Er wiederholt mehrmals, dass man "diese Leute" nur darauf vorbereiten solle, wieder in die Heimat zurückzukehren. Selbst wenn der Krieg in Syrien noch lange dauern sollte.

Es geht um die innere Sicherheit und der Moderator will von ihm wissen, warum die AfD nie erwähne, dass die überwiegende Mehrheit der Migranten friedlich im Land lebt. Nur ein kleiner Prozentsatz werde kriminell, 98 Prozent seien gesetzestreu. Pazderski bestreitet die Zahl nicht, aber sie interessiert ihn auch nicht. Er sagt: "Das, was man fühlt, ist auch Realität."

Das ist der Moment, in dem man sich eine Auszeit wünscht - einen Augenblick der Besinnung, in dem Verblüffung und Irritation ihren Raum finden können, und auch das Entsetzen. Denn im Grunde steckt darin das Ende aller rationalen Politik: Nicht die Realität soll zählen - sondern das Gefühlte. Es gehe darum, wie der Bürger empfinde, ergänzt der AfD-Mann.

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Für einen Moment gelingt es Müller, den besonnenen Chef zu geben

Er hätte sagen können, dass man Sorgen und Ängste der Bürger ernst nehmen muss. Und gewiss auch, dass der kleine Anteil an Kriminellen schlimm genug ist. Dass dies vielen schon reiche. Aber dieser Satz, mit dem Gestus eines weisen Mannes gesprochen, offenbart eine Haltung, der man mit Argumenten und Fakten nicht begegnen kann. Da macht sich einer immun gegen die Wirklichkeit und will damit Politik machen.

Michael Müller zeigt die entsprechende Reaktion. Man dürfe nicht Angsträume schaffen, indem man sie selbst herbeirede, hält er Pazderski entgegen. Es ist einer der seltenen Momente, in denen es Müller gelingt, die Rolle des besonnenen Regierungschefs einzunehmen, die er in diesem Wahlkampf beanspruchen möchte. So gern würde er in einer Liga über den anderen spielen. Oft fällt ihm das schwer, er lässt sich ins politische Klein-Klein ziehen.

Seine Regierungsbilanz eignet sich aber auch nur bedingt dazu, von einer höheren Warte den Amtsbonus auszuspielen. Ob es um die Schlangen vor Bürgerämtern geht, die Betreuung von Flüchtlingen, die Sanierung von Schulen oder fehlende Wohnungen in Berlin: Müller kann nur kleine Fortschritte anbieten, und das Versprechen, dass alles besser werden soll.

Ramona Pop hat ihren Spaß daran, ihm das vorzuhalten, geradezu lustvoll bringt sie den neuesten Irrsinn in Sachen Flughafen ins Spiel. Wenige Stunden vor der Sendung gab es neue Spekulationen zu Berlins ewiger Baustelle, dem Pannen-Airport BER, der seit Jahren auf die Eröffnung wartet.

Der Marketing-Chef von Ryan Air sprach am Dienstag von einem Eröffnungstermin im März 2018. Hinterher war von einem Versprecher die Rede, einem Irrtum. Aber der passt nur zu gut. Es sieht lange schon so aus, als müsste der anvisierte Eröffnungstermin im Herbst 2017 noch einmal verschoben werden.

Müller hätte das nun abräumen können, mit einem klaren Statement, oder zur Not die Verschiebung verkünden können. Der BER interessiert die Berliner ohnehin nicht mehr, sie sind es leid. Fliegen können sie auch von Tegel und Schönefeld aus. Stattdessen redet Müller drum herum und spricht von Fortschritten auf der Baustelle.

Es ist die Quintessenz der Berliner Politik an diesem Abend: Wirklich gut ist eben nichts, und niemand kann sagen, wie und wann es besser wird.

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