München:Ungemütlich wird's

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Der Ansturm auf Bayerns Hauptstadt ist ungebrochen, 1,8 Millionen Menschen werden hier 2030 leben. Mit Quadratmetermieten an die 20 Euro für Wohnungen, die aber trotzdem kaum zu kriegen sind, zeigt man an der Isar dem Rest des Landes, wohin die Reise gehen könnte.

Von Frank Müller

Ja, doch, es ist schon noch möglich, im Großraum München ein bezahlbares Domizil zu finden, die Frage ist nur, wie sich der Begriff Großraum definiert. Wer auf Immobilienportalen sucht, der kann zum Beispiel in Schwarzenbach am Wald ein Einfamilienhaus mit 110 Quadratmeter Wohnfläche für 22 222 Euro erwerben. Der kleine Nachteil daran: Schwarzenbach liegt im Landkreis Hof und ist von München drei Autostunden entfernt. Andererseits: dass auch Menschen, die in München wohnen und arbeiten, leicht einmal drei Stunden Pendelzeit brauchen, das hat die Stadt beim jüngsten Großausfall des S-Bahn-Netzes erst vor einigen Tagen wieder leidvoll erlebt.

22 000 Euro - dafür erhält der Münchner Immobilienkäufer gerade einmal den zur Wohnung gehörigen Garagenstellplatz, sofern er das Glück hat, ein Objekt zu finden und es sich leisten zu können. Danach sieht es aber immer weniger aus in der bayerischen Landeshauptstadt. An die unangenehme Regelmäßigkeit, mit der stets neue Statistiken immer neue Preisrekorde für Immobilien ermitteln, hat sich der Münchner zwar gewöhnt. Was ihm aber neuerdings zu schaffen macht, ist eine weitere Konsequenz der offensichtlich nicht totzukriegenden Attraktivität seiner Stadt: München wächst - immer schneller, immer planloser, unvermeidbar.

Der Ansturm auf die Stadt ist nur noch schwer zu steuern

Am Mittwoch debattierte der Stadtrat den jüngsten Demografiebericht, der alle bisherigen Prognosen schon wieder über den Haufen geworfen hat. Ihm zufolge wird die Stadt von jetzt etwas mehr als 1,5 Millionen Einwohnern auf 1,8 Millionen im Jahr 2030 wachsen. Damit wäre München zwar im internationalen Vergleich noch immer eine beschauliche Metropole. Aus Sicht der Bewohner aber ist es schon jetzt in der Stadt derart eng und voll, dass von einem Prosit der Gemütlichkeit nicht mehr die Rede sein kann. München wird ungemütlich.

Dabei ist der Wachstumstrend beileibe keine Münchner Spezialität. Auch Berlin fragt sich, wie es den Zuzug auf dem Weg zur Vier-Millionen-Stadt bewältigen kann. Der Ansturm auf die Metropolen beschäftigt Bürgermeister und Stadträte überall im Land und beschert ihnen eine unangenehme Erkenntnis: Sie können ihn kaum steuern, geschweige denn begrenzen. Das hat übrigens beileibe wenig mit Flüchtlingen zu tun. Wohl aber mit Migration im Allgemeinen, mit Landflucht, damit, dass Städte wirtschaftlichen Aufstieg bieten und gehobenes Lebensumfeld. München hat da keine Sonderstellung, aber eine Vorreiterrolle, auch, weil es die am dichtesten besiedelte Millionenstadt Deutschlands ist. Mit Quadratmetermieten an die 20 Euro für Wohnungen, die aber trotzdem kaum zu kriegen sind, zeigt man an der Isar dem Rest des Landes, wohin die Reise gehen könnte.

Was aber ist die politische Antwort? Aus Sicht der Rathäuser eine sehr enttäuschende: es gibt keine, schon gar keine rasch wirksame. Als sich die Wachstumszahlen verstetigten, reagierte München zunächst recht zupackend, ersann neue Wohnmodelle und begann, Häuser auf Stelzen über Parkplätzen zu bauen. Nur wenige Monate später bricht sich nun die Debatte Bahn, wie verträglich ein solcher Bauboom ist. Und ob die Stadt nicht dabei ist, ökologische Sünden zu begehen, ihre Flächenreserven zuzupflastern und die schönen Gartenvorstädte bis zur Unkenntlichkeit nachzuverdichten. In diesen gab es noch vor wenigen Jahren großes Klagen, wenn wieder ein altes Häuschen einem Reihenhaus-Dreispänner geopfert wurde. Nun hören die Menschen, dass das Reihenhaus an sich ein Auslaufmodell ist und sie ganz anders wohnen sollen: enger, dichter, höher. Wer das nicht mag, dem bleibt als Fluchtpunkt immer noch Schwarzenbach am Wald.

© SZ vom 04.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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