El Salvador:60 Morde an einem Tag

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Ein Mordverdächtiger bei seiner Verhaftung in San Salvador. (Foto: Salvador Melendez/AP)

El Salvador hatte gehofft, die schlimmsten Zeiten der Ganggewalt seien vorbei. Doch nun gab es in wenigen Tagen so viele Morde, wie sonst in einem ganzen Monat - und die Regierung, so die Sorge, könnte das Chaos für sich nutzen.

Von Christoph Gurk , Buenos Aires

Nach einem der tödlichsten Wochenenden in der jüngeren Geschichte des Landes, wächst in El Salvador die Sorge, der autoritäre Präsident könnte die Gewalt als Vorwand nutzen, um seine Macht auszubauen.

Mehr als 60 Menschen wurden allein am vergangenen Samstag ermordet. Unter den Opfern waren Straßenhändler und Passanten. Die Regierung macht Gangs für die Gewalt verantwortlich und erklärte den Ausnahmezustand. Er soll zunächst 30 Tage gelten und hebt einige in der Verfassung garantierte Rechte auf. Verdächtige können nun zum Beispiel bis zu 15 Tage und ohne die Angabe von Gründen festgehalten werden. Polizei und Sicherheitsbehörden bekommen dazu weitgehende Befugnisse, um Telefongespräche abzuhören und Nachrichtenverläufe zu durchsuchen.

Unmittelbar nach der Verhängung des Ausnahmezustands riegelten Polizei- und Armeeeinheiten ganze Viertel ab. Autos und Wohnungen wurden durchsucht. Es habe in den letzten Tagen mehr als 2000 Festnahmen gegeben, schrieb Präsident Nayib Bukele am Dienstag auf Twitter und fügte hinzu: "Keiner wird wieder freikommen."

Der Terror und die Toten sind für Bukele ein ernsthaftes Problem: El Salvadors Präsident hatte bisher immer für sich beansprucht, die allgegenwärtige Gewalt wieder unter Kontrolle gebracht zu haben. Nach einem blutigen Bürgerkrieg in den 80er-Jahren hatten sich in El Salvador Banden nach dem Vorbild von US-amerikanischen Straßengangs gebildet. Bald kontrollierten diese sogenannten maras komplette Viertel. Heute sind sie eng vernetzt mit Politik und Polizei und verdienen ihr Geld mit Drogenschmuggel, Schutzgelderpressung, Entführung und Menschenhandel.

Es gab Tage, an denen niemand in El Salvador eines gewaltsamen Todes starb

Immer wieder kam es zu erbitterten Macht- und Revierkämpfen zwischen verfeindeten Banden und dem Staat. Gemessen an der Einwohnerzahl war die Mordrate in El Salvador 2015 mehr als 100 Mal so hoch wie die in Deutschland. Seitdem aber hat die Gewalt kontinuierlich abgenommen.

Der 2019 ins Amt gewählte Präsident Nayib Bukele führt dies vor allem auf seinen "Plan zur territorialen Kontrolle" zurück: Mehr Polizisten, größere Präsenz des Militärs und eine angeblich harte Hand gegen Bandenmitglieder. Vieles spricht aber dafür, dass die Regierung in Wahrheit geheime Abkommen mit den maras geschlossen hat: Geld für Gangmitglieder und Hafterleichterungen für die Bosse im Knast, im Gegenzug für etwas Frieden. Die Mordrate war zuletzt jedenfalls gesunken. Es gab Tage, an denen niemand in El Salvador eines gewaltsamen Todes starb.

Präsident Nayib Bukele brachte das enorme Beliebtheit ein: 85 Prozent der Bevölkerung standen zuletzt hinter ihm und seiner Politik. Die Opposition und Nichtregierungsorganisationen aber werden gegängelt und kritische Journalisten abgehört. Gleichzeitig baut Bukele immer weiter seine Macht aus: Letztes Jahr gewann seine Partei Nuevas Ideas die absolute Mehrheit im Kongress. Seitdem werden Gesetze im Eilverfahren durchgewunken und lästige Richter entlassen. Entgegen der Verfassung hat sich Bukele bereits die Erlaubnis des von ihm neu besetzten Obersten Gerichts geholt, 2024 für eine weitere Amtszeit zu kandidieren.

Human Rights Watch beklagt, es gebe heute in El Salvador keine unabhängigen Institutionen mehr, die in der Lage seien, die Exekutive zu überwachen. Die Menschenrechtsorganisation fürchtet, dass sich die Situation nun noch verschärfen könnte. Der jetzt verhängte Ausnahmezustand schütze die Menschen in El Salvador nicht, erklärte die Amerika-Sprecherin von HRW, Tamara Taraciuk Broner: "Er setzt stattdessen ihre Rechte aufs Spiel und ist eine Anleitung zur Katastrophe".

70 Morde an einem Wochenende: Und der Präsident postete Bilder von Häftlingen, die zusammengetrieben wurden wie Vieh. "Niemand bleibt ungestraft", tönte er auf Twitter. (Foto: Secretaria de Prensa de la Presidenci/REUTERS)

Präsident Bukele weist derweil alle Kritik von sich. In Netz verbreitet er martialische Videos aus Gefängnissen, in denen Häftlinge wie Vieh zusammengetrieben werden. Und an die Gangs gewandt schrieb Bukele auf Twitter, die Regierung habe Tausende Bandenmitglieder in ihrer Hand: "Hört auf zu töten oder sie werden dafür bezahlen."

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