Mord im Konsulat?:Schlacht der Bilder

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Wo ist er? Menschenrechtsaktivisten fordern Aufklärung vor dem saudischen Konsulat in Istanbul. Dort wurde Jamal Khashoggi zum letzten Mal gesehen. (Foto: OSMAN ORSAL/REUTERS)

Jeden Tag lassen türkische Ermittler makabre Indizien durchsickern, um den Verdacht gegen Riad zu erhärten. Eine Gruppe von Männern soll eigens aus Saudi-Arabien angereist sein.

Von Paul-Anton Krüger und Christiane Schlötzer

Seit mehr als einer Woche ist der saudische Journalist und Dissident Jamal Khashoggi in Istanbul verschollen. Nie hat die türkische Regierung Riad offiziell beschuldigt, ihn im Konsulat des Königreichs ermordet zu haben. Aber jeden Tag lassen die Ermittler neue makabre Details durchsickern, die den Verdacht erhärten sollen - zweifellos mit Billigung von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan.

Für den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman steht mehr auf dem Spiel als die Beziehungen zur Türkei, sollte das Königreich eines Auftragsmords an einem seiner prominentesten Kritiker überführt werden. Das Image des Landes, das er zu polieren versucht, wäre ruiniert - negative Folgen für die Beziehungen zu westlichen Staaten wohl unvermeidlich.

Am Mittwoch veröffentlichten türkische Medien die Steckbriefe von 15 angeblichen saudischen Agenten - Namen, Passfotos, Geburtsdaten. Die regierungsnahe Zeitung Sabah bezeichnet sie als "Anschlagsteam", das mit dem Verschwinden Khashoggis zu tun habe. Die türkische Polizei weiß dank zahlloser Überwachungskameras, wann einer der 15 Verdächtigen, ein gewisser Naif Hassan S. al-A., in Istanbul im Wyndham Grand Hotel eingecheckt hat. Oder wann sein Kollege Turki Muscharaf M. al-S. das feine Mövenpick-Hotel betrat. Einer der Männer soll ein Gerichtsmediziner gewesen sein.

Die Fotos der 15 Männer, gegen die ermittelt wird, stammten von der Passkontrolle am Flughafen Atatürk und einer Hotelrezeption. Die Ermittler wissen auch, dass diese Herren, ohne zu übernachten, am Abend des 2. Oktober, dem Tag von Khashoggis Verschwinden, wieder ausreisten: mit zwei Charterjets, die beide aus Riad kamen und mit Zwischenstopps in Kairo respektive Dubai dorthin zurückflogen. Sie gehören einer Firma, die regelmäßig für die saudische Regierung fliegt.

Khashoggi hatte das Konsulat in einer ruhigen Istanbuler Wohngegend am 2. Oktober betreten, eine Sicherheitskamera hielt das um 13.14 Uhr fest. Aber es gibt keine Bilder davon, wie er das Gebäude wieder verlässt. Offiziell weist Riad jeden Verdacht zurück, etwas mit seinem Verschwinden zu tun zu haben. Den Ermittlern fehlt offenbar das entscheidende Detail: ob der Journalist noch lebt oder tot ist. Ob er entführt wurde, wohin auch immer, eine Version, die Sabah aufbrachte, wie auch die Verwicklung eines Geheimdienstes eines weiteren Landes, oder ob Khashoggi im Generalkonsulat ermordet wurde, wie die Ermittler vermuten.

Auch diese These befeuern sie mit neuen Videobildern: Ein schwarzer MercedesVan ist darauf zu sehen, mit verdunkelten Fenstern. Er passiert die Ausfahrt des Konsulats um 15.08 Uhr, zuvor sollen Kisten eingeladen worden sein. Ein hochrangiger türkischer Sicherheitsbeamter sagte der New York Times, das Kommando aus Riad habe eine Knochensäge dabeigehabt, um die Leiche zu zerteilen. Wenig später taucht der Van vor der Residenz des Generalkonsuls wieder auf, parkt in der Garage. Nach vier Stunden fährt er weg. Die türkischen Angestellten seien nach Hause geschickt worden, berichten Medien.

Die Sicherheitsbehörden werten derzeit Bilder von 150 Überwachungskameras aus, die im Zentrum Istanbuls angebracht sind. So konnten die Ermittler laut Hürriyet bereits feststellen, dass neun der Verdächtigen noch Koffer in der Stadt gekauft haben, die sie aber laut Polizei beim Abflug nicht dabeihatten. Angeblich soll der türkische Geheimdienst sogar im Besitz eines Videos sein, mit dem die Attentäter Khashoggis Tötung dokumentiert hätten.

Eine gewisse Plausibilität gewinnt das Szenario dadurch, dass Saudi-Arabien in jüngerer Zeit mehrmals Dissidenten gegen ihren Willen aus dem Ausland hat zurückbringen lassen. Die Frauenrechtlerin Loujain al-Hathloul etwa, die sich dafür eingesetzt hatte, dass Frauen Auto fahren dürfen, wurde in den Vereinigten Arabischen Emiraten von Sicherheitsbeamten aus ihrem Auto gezerrt und in ein Flugzeug in ihr Heimatland gesetzt. Sie ist in Haft. Ihr Mann Fahad al-Butairi, ein Schauspieler, wurde in Jordanien vom Set weg verhaftet. Nach Angaben von Freunden wurde er gefesselt und mit verbundenen Augen nach Saudi-Arabien zurückgeflogen.

Die Organisation Reporter ohne Grenzen fordert eine unabhängige internationale Untersuchung. Sie beklagt, seit September vergangenen Jahres seien in Saudi-Arabien mehr als 15 Journalisten und Blogger auf undurchsichtige Art und Weise festgenommen worden. Meist seien die Festnahmen nie offiziell bestätigt worden, und es sei unklar, wo die Betroffenen wegen welcher Vorwürfe festgehalten würden.

Khashoggi hatte mit Erdoğans Berater Yasin Aktay über das Risiko von Operationen durch die saudischen Sicherheitsdienste gegen Dissidenten im Ausland gesprochen - sich selbst aber in der Türkei offenbar sicher gefühlt. Allerdings sollen laut der Washington Post US-Geheimdienste Gespräche von saudischen Agenten abgehört haben, in denen von Vorbereitungen für eine Entführung Khashoggis gesprochen worden sein soll. Vielleicht bestärkt das wiederum die türkischen Ermittler in ihrer Schlussfolgerung, jede Geheimoperation gegen Khashoggi müsse "auf den höchsten Ebenen des königlichen Hofes" angeordnet worden sein.

Die türkische Strategie aus offizieller Zurückhaltung und Durchstechen von Ermittlungsergebnissen hat den Vorteil, dass Saudi-Arabien noch die Möglichkeit bleibt, Khashoggi wieder auftauchen zu lassen, sollte er noch leben und sich in Riads Händen befinden. Zugleich vermeidet Erdoğan es damit noch, die womöglich schwerste Krise im Verhältnis zu dem Königreich auf die Spitze zu treiben. Die Beziehungen der beiden Staaten, die jeweils für sich in Anspruch nehmen, eine Führungsrolle für die sunnitischen Muslime zu spielen, sind ohnehin angespannt. Die Türkei gehört zu den größten Unterstützern der Muslimbruderschaft und ist der wichtigste Verbündete Katars, das Riad neben Iran als zentrale Bedrohung seiner Sicherheit betrachtet.

Zugleich wächst der internationale Druck: Der britische Außenminister Jeremy Hunt warnte Riad, wenn sich die Berichte über Khashoggis Schicksal bewahrheiteten, werde man das als "sehr ernsthaften Vorfall" behandeln. Er hatte zuvor zwei Mal mit dem saudischen Botschafter gesprochen und auch mit seinem Kollegen Adel al-Jubeir. Die US-Regierung äußert sich bis hin zu Präsident Donald Trump noch zurückhaltend. Einflussreiche Senatoren aber fordern Aufklärung. Khashoggis Verlobte Hatice Cengiz bat Trump um Hilfe: Sie schrieb in der Washington Post, für die Khashoggi Kolumnen verfasste, sie vertraue auf die türkischen Behörden, aber sie appelliere an "Präsident Trump und First Lady Melania Trump, Licht auf das Verschwinden von Jamal zu werfen".

Saudi-Arabien beschränkt sich auf Dementis. Die Indizien, die in türkischen Medien präsentiert würden, seien kein Beleg für den Tod Khashoggis oder dafür, dass ihm etwas zugestoßen sei, heißt es in saudischen Medien und den sozialen Netzwerken. Von einer Kampagne der Muslimbruderschaft ist die Rede. Allerdings hat Riad auch keinen Beleg für seine Behauptung erbracht, Khashoggi habe das Konsulat nach kurzer Zeit wieder verlassen: Angeblich waren die Überwachungskameras der Vertretung ausgerechnet an diesem Tag defekt.

© SZ vom 11.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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