Die Grünen:Nummer 50.000, 50.001 ...

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An ihren Mitgliederzahlen haben die meisten Parteien wenig Freude. Doch die Grünen gewinnen so viele Mitglieder wie lange nicht mehr. So viele hatten sie seit zwölf Jahren nicht mehr. Aber der Erfolg birgt auch Gefahren.

Michael Bauchmüller

An ihren Mitgliederzahlen haben die meisten Parteien derzeit wenig Freude. Die FDP schickte kürzlich 71.437 Briefe ans Parteivolk, um für sich zu werben: Nach den herben Umfrageverlusten droht der FDP eine Welle von Austritten. Die CDU hat binnen eines Jahres mehr als 6000 Mitglieder verloren, bleibt aber dennoch knapp vor der SPD. Denn die dümpelt zahlenmäßig ebenfalls vor sich hin. Mitgliederschwund und Politikverdrossenheit plagen die Parteizentralen. Jedenfalls, wenn sie nicht am Berliner Platz vor dem Neuen Tor liegen.

Das Durchschnitts-Neumitglied der Grünen ist 37,6 Jahre alt, es ist männlich, verfügt über einen Hochschulabschluss und bezeichnet seine wirtschaftliche Lage als "gut". (Foto: dpa)

Dort, in der unscheinbaren Zentrale der Grünen, vermerkte die Mitgliederkartei am Freitag abermals Neueintritte: Nummer 49.999, Nummer 50.000, Nummer 50.001. Für die Grünen ist das eine Schallmauer: 50.000 Mitglieder hatten sie seit zwölf Jahren nicht mehr. "Das ist definitiv keine Eintagsfliege", jubelt Steffi Lemke, Politische Bundesgeschäftsführerin der Partei. "Das ist ein stabiler, kontinuierlicher Zuwachs."

Dafür spricht zumindest der Zeitpunkt. Denn die größten Zuwächse verzeichnen die Parteien in Wahljahren. Alle Welt spricht von Politik, Infostände der Parteien versorgen das Volk mit Kulis und Parolen. Selbst die SPD, die im vergangenen Herbst eine historische Wahlschlappe erlitt, gewann gleichzeitig mehr als 7000 neue Mitglieder. Was freilich nichts daran ändert, dass von einer Million SPD-Mitgliedern zu Zeiten Willy Brandts mittlerweile nur gut die Hälfte übrig ist. Nach den Wahljahren versiegt der Zustrom wieder - normalerweise.

Nicht so bei den Grünen. Bislang übertreffen die Neuanmeldungen Monat für Monat den Stand des Vorjahres, mit vier Prozent plus allein seit Jahresanfang. "Der Trend hat auch nach der Wahl ungebrochen angehalten", sagt Lemke. "Das ist eine ganz neue Entwicklung." Schon rätseln auch Experten in der Parteizentrale, woher die Neuen eigentlich kommen; kürzlich schrieben sie ihre 8000 neuesten Mitglieder an, um mehr über sie zu erfahren - und erhielten Antwort aus der gut situierten Mitte der Gesellschaft.

Demnach ist das Durchschnitts-Neumitglied 37,6 Jahre alt, es ist männlich, verfügt über einen Hochschulabschluss und bezeichnet seine wirtschaftliche Lage als "gut". Auch kamen die meisten nicht über Infostände oder Freunde zu den Grünen, sondern aus eigenem Antrieb, und das meist einer "ökologisch orientierten Politik zuliebe" - so viel zur Parteienverdrossenheit der Deutschen. Die Atomkraft, einer der grünen Dauerbrenner, spielte offenbar nicht die Hauptrolle - jedenfalls schnellte die Zahl der neuen Eintritte in den vorigen Monaten nicht zusätzlich in die Höhe.

Aller Erfahrung nach steuern die Grünen allerdings schon auf den nächsten Dämpfer zu. Wachsende Umfragewerte in Bund und Ländern machen es wahrscheinlich, dass die Grünen bald öfters an Regierungen beteiligt werden. In Baden-Württemberg oder Berlin womöglich sogar an der Spitze rot-grüner Koalitionen; zumindest legen das jüngste Umfragen nahe. Dann allerdings könnte es für die Grünen ungemütlicher werden. "Unsere Mitglieder wollen, dass wir regieren", sagt Lemke, "und sie verbinden damit große Erwartungen." Wie schnell die enttäuscht sind, haben die Grünen schon einmal erleben müssen. Im Jahr 1998, zu Beginn der rot-grünen Bundesregierung, hatten 51.812 Bürger ein grünes Parteibuch; womöglich lässt sich dieser Rekord demnächst auch noch knacken. Nach den ersten vier Jahren Regierungszeit waren davon allerdings nur noch 43.795 übrig.

© SZ vom 20.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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