Ministertreffen in Brüssel:Darum will die EU Flüchtlingszentren auf dem Balkan

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Die EU-Innenminister schlagen vor, auf der Balkanroute "Bearbeitungszentren" einzurichten. Was versprechen sie sich davon?

Was haben die EU-Innenminister in Brüssel vereinbart?

Die Innenminister haben keine Beschlüsse gefasst. Sie erwägen allerdings, in Ländern der Balkanroute "Bearbeitungszentren" einzurichten. Dort könnten die Menschen zunächst aufgenommen und registriert werden - inklusive Fingerabdrücken. Danach soll über Asylanträge und Rückführungen entschieden werden. Prinzipiell vorstellen kann sich die EU solche Einrichtungen laut Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn sowohl in Mitglieds- wie auch in Nicht-Mitgliedsstaaten. Sein Land hat derzeit die EU-Ratspräsidenschaft inne. Den Vorwurf, die EU könne dabei eventuell "Haftzentren" aufbauen, wies Innenkommissar Dimitris Avramopoulos zurück. In der abschließenden Erklärung heißt es jedoch, dass die Mitgliedsstaaten "als letztes Mittel" sehr wohl "kooperationsunwillige Flüchtlinge" festsetzen könnten. Demnach soll mit Hilfe der EU-Grenzschutzagentur Frontex die Zahl der Abschiebungen "deutlich erhöht" werden. Darüber sollen potenzielle Flüchtlinge schon in ihren Herkunftsländern informiert werden, um Schlepperbanden die Geschäftsgrundlage zu entziehen.

Was die bereits im September vereinbarte Verteilung von 160 000 Flüchtlingen angeht, forderte Asselborn die Länder auf, diese schneller umzusetzen. Bislang sind aus den besonders betroffenen Ländern Griechenland und Italien erst etwas mehr als 130 Asylbewerber in andere EU-Staaten gebracht worden.

Was verspricht sich die EU von diesen "Bearbeitungszentren"?

Die EU hat sich zum Ziel gesetzt, die "Ströme zu kontrollieren". Asselborn zufolge könnten die "Bearbeitungszentren" vor allem die im Aufbau befindlichen "Hotspots" in Griechenland und Italien entlasten. Es sei unmöglich zu verlangen, dass Griechenland "jeden Tag 10 000 Flüchtlinge" aufnehme, sagte der Luxemburger. Doch auch bei den "Hotspots" hapert es offensichtlich an der Umsetzung. Laut Innenkommissar Avramopoulos ist bisher nur der "Hotspot" auf der italienischen Insel Lampedusa voll einsatzfähig, ein weiterer auf der griechischen Insel Lesbos soll seine Arbeit Ende kommender Woche aufnehmen. Der slowakische Innenminister Robert Kaliňák sagte: "Ich bin absolut enttäuscht von der Situation der Hotspots zwei Monate danach (nach dem Beschluss; Anm. d. Red.)."

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Die EU fürchtet vor allem, dass Deutschland und Schweden als Hauptzielländer ihre Grenzen schließen und Zehntausende Flüchtlinge während des Winters auf der Balkanroute feststecken könnten. Asselborn sprach von einem möglichen "Dominoeffekt". Die schwedische Regierung verlangte in Brüssel bereits, andere Staaten sollten Schweden Asylbewerber abnehmen. "Es gibt Grenzen bei dem, was Schweden tun kann", sagte Migrationsminister Morgan Johansson. Ende Oktober hatten die Länder des Westbalkans und eine Reihe von EU-Staaten vereinbart, 50 000 vorübergehende Plätze entlang der Balkanroute zu schaffen. Nach Angaben von EU-Vertretern könnte dieser Ansatz mit den Plänen der "Bearbeitungszentren" kombiniert werden.

Wie ist die Situation derzeit auf der Balkanroute?

Nachdem Ungarn seine Grenze zu Serbien und Kroatien abgeriegelt hat, verläuft die Hauptroute der flüchtenden Menschen im nördlichen Teil mittlerweile über das kleine EU-Land Slowenien. Stand vergangener Woche reisten dort bisher mehr als 120 000 Menschen ein.

Seit Mitte September geht die Route außerdem durch Kroatien. Anfangs sehr chaotisch, inzwischen etwas regulierter. Davon profitieren vor allen Dingen die Flüchtlinge, die nicht mehr im Niemandsland der Grenzregionen abgesetzt werden. Serbien hat damit begonnen, Kroatien darüber zu informieren, wann wie viele Flüchtlinge an welchem Grenzübergang ankommen. Außerdem hat Serbien das florierende Schlepperwesen eingeschränkt. Noch im Sommer warben Busunternehmen und Taxifahrer ungehindert mit Wucherpreisen um Fahrgäste. Jetzt werden die Busunternehmen überprüft, und es wurde ein Preis für die Fahrt durch Serbien festgelegt. 35 Euro kostet sie vom Lager Preševo, an der Grenze zu Mazedonien, bis nach Šid, an der Grenze zu Kroatien.

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In Šid werden gerade Winterunterkünfte für bis zu 6000 Menschen gebaut. Im kroatischen Slavonski Brod, an der Grenze zu Bosnien-Herzegowina ist ebenfalls ein befestigtes Winterlager entstanden. Das ständig überbelegte Lager im kroatischen Opatovac wurde geschlossen. In den Winterlagern wird es auch warme Mahlzeiten geben. Bislang gab es in Kroatien und Serbien nur Toastbrot und Fischkonserven.

Welche Rolle spielt die Türkei?

"Bearbeitungszentren" in der Türkei stehen laut Asselborn nicht zur Debatte. Dennoch hat das Land bei der Lösung der Flüchtlingskrise eine Schlüsselposition. Mehr als zwei Millionen Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak hat es aufgenommen. Da ein Ende des Krieges in Syrien nicht absehbar ist, herrscht in einigen europäischen Regierungen die Sorge, dass immer mehr Syrer und Iraker in die EU weiterziehen. Österreich hat Griechenland bereits vorgeworfen, die Grenze zur Türkei, die zugleich eine EU-Außengrenze ist, nicht ausreichend zu sichern. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner nannte es einen "Mythos", dass diese nicht geschützt werden könne.

In Berlin plädierte Asselborn am heutigen Dienstag dafür, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei voranzutreiben. Im aktuellen Fortschrittsbericht kritisiert die Kommission zwar Beeinträchtigungen bei der Unabhängigkeit der Justiz sowie der Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Doch das Land wird in der Flüchtlingskrise gebraucht. "Wir brauchen Verabredungen mit der Türkei, dass weniger Menschen völlig ungeordnet den kurzen Seeweg auf eine der griechischen Inseln finden", sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier. "Ob uns die gegenwärtige innenpolitische Situation in der Türkei gefällt oder nicht, wir werden wirklich Verabredungen brauchen."

© Süddeutsche.de/AFP/Reuters/AP/mane/nap - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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