In ganz Mosambik gibt es heute große Werkstätten, in denen Schleifmaschinen kreischen, in denen es streng nach Kleber riecht und aussieht wie in Frankensteins Labor: Arbeiter mit Mundschutz feilen und schneiden an Körperteilen in Schweinchenrosa oder Braun, legen Kinderbeine auf Stapel, spannen einen dicken großen Oberschenkel in einen Schraubstock. "Der gehört einer Dame", sagt die Orthopädin in einer Einrichtung in Beira, der nächsten Großstadt. Der Krieg lässt das Land nicht los, solange die Fallen noch zuschnappen.
Ägyptens Armee erklärte im Jahr 2010, dass dort noch immer 16 Millionen Minen aus dem Zweiten Weltkrieg lägen. Aber den Titel des am stärksten verminten Landes der Erde geht inzwischen laut dem Jahresbericht der internationalen Landminenkampagne an den Irak, auch wegen der Streumunition, die amerikanische und andere Soldaten dort massenhaft verschossen haben. Für den Irak wagt derzeit niemand überhaupt Schätzungen, wie viele Millionen es wohl sind.
Die 26-jährige Dorace öffnet eine lederne Werkzeugtasche. Sie holt eine Gartenschaufel heraus. Sie beginnt, die Erde vor sich abzutragen. Sie gräbt nicht. Sie kratzt nur. Manchmal versucht sie, sich vorzustellen, wer ihre Gegner hier eigentlich sind - also die Soldaten von damals. Vor mehr als 30 Jahren haben sie ihre Sprengfallen gelegt, im Bürgerkriegsjahr 1983, es ging um den Schutz einer Stromtrasse vor Sabotageakten der Rebellen.
Nahe der Stelle, wo Dorace jetzt Erde wegschabt, stehen sich noch die Überreste zweier Strommasten gegenüber, das ist wohl der Grund, weshalb die Männer hier waren. Ein dicker Ring aus Landminen, bestimmt zehn Meter im Durchmesser, liegt in der Mitte zwischen ihnen. Was keinen rechten Sinn ergibt - dieser Minengürtel schützt keinen der beiden Strommasten. Also was dann?
Die Sicherheitsgasse ist das Geheimnis jedes Minenfelds. Im Krieg aber wird es oft vergessen
Vielleicht, so überlegt Dorace, hat man den Soldaten damals gesagt: Zieht einen Minenring rund um den Strommast, aber da war einer von ihnen schon umgeknickt und lag auf dem Boden. Vielleicht ist die Wahrheit auch noch plumper. Im Bürgerkrieg steckte nicht immer Berechnung hinter den Dingen, oft verschwendeten die Truppen keinen Gedanken an morgen, junge Analphabeten in Uniform vergaßen sogar, Zünder scharfzustellen, oder sie pflasterten die Erde gleich mit einer irrwitzig hohen Dichte an Minen zu, teilweise nur 30 Zentimeter Abstand dazwischen.
Der Trick bei einem Minenfeld ist eigentlich, dass man eine Sicherheitsgasse frei lässt. Ein Geheimnis. Nur derjenige, der das Minenfeld angelegt hat, kennt es und kann sich frei bewegen. Die Praxis des Bürgerkriegs aber ist, dass sich bald niemand mehr recht an irgendetwas erinnerte.
Rund um Doraces ringförmigen Minengürtel ist der Boden schon verkohlt und übersät mit Splittern. Nur in seinem Zentrum, auf einem kleinen Hügel, recken sich noch frische grüne Halme und Farne in die Höhe. Darüber spendet ein Marula-Baum Schatten, dessen Blätter mit einer natürlichen bläulichen Wachsschicht überzogen sind. Er dürfte in etwa zu jener Zeit gepflanzt worden sein, vor dreißig Jahren, schätzt Dorace. Aber was wirklich in der Mitte dieses Minenrings liegt, das wird man erst sehen, wenn sie sich Stück für Stück nach innen vorgearbeitet hat.
Frauen seien bei der gefährlichen Arbeit geduldiger und genauer, sagt einer ihrer Vorgesetzten.
(Foto: Pascale Jérome/Handicap International)Dorace hat Vorgesetzte, die von der Hilfsorganisation Handicap International bezahlt werden, sie sind alle Männer, sie waren alle vorher Spezialisten bei der Armee, der Mosambikaner Aderito Ismaël wie der Neuseeländer Alan Johnson. Dorace selbst hat bis zum vergangenen Jahr in einem Internetcafé gearbeitet. Als sie dort die Stellenanzeige las, dachte sie, man würde mit Hightech-Mitteln gegen die Minen arbeiten, für welche die Soldaten makabere Spitznamen haben wie "Toe popper", "Bouncing Betty" oder "Jumping Jack".
Mit einem langen Schraubenzieher stochert sie ins Erdreich, um es aufzulockern. Schräg von der Seite, flach genug, um nicht die Auslöseplatte herunterzudrücken. Wurzeln ragen in das Erdloch hinein, das so entsteht. Dorace schneidet die Wurzeln zurück, behutsam als wären es Fingernägel.