Minarett-Verbot:Sarkozy, die Schweiz und ein "irrationaler Argwohn"

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Frankreichs Präsident bricht eine Lanze für die Eidgenossen: Die internationale Kritik an deren Minarett-Verbot sei "karikaturenhaft" und "übertrieben".

Nach der Schweizer Volksabstimmung über Minarette hat Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy zur Zurückhaltung bei der Ausübung jeglicher Religion aufgerufen. Die Bürger müssten "von jeder Zurschaustellung und Provokation" in diesem Bereich Abstand nehmen, schrieb Sarkozy in der Zeitung Le Monde. Gleichzeitig verteidigte er die Schweizer Bevölkerung und die von ihm angestoßene Debatte über "nationale Identität".

Einsatz für den kleinen Nachbarn: Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy verteidigt die Schweiz. (Foto: Foto: Reuters)

Es sei "verblüffend", welche "übertriebene und zuweilen karikaturenhafte Reaktionen" die Entscheidung der schweizerischen Bevölkerung "in bestimmten Bereichen der Medien und Politik" ausgelöst hätten, schrieb Sarkozy. Dahinter stehe aus seiner Sicht auch ein "irrationaler Argwohn" gegenüber Volksabstimmungen.

"Anstatt das Schweizer Volk endgültig zu verurteilen, sollten wir auch verstehen, was es ausdrücken wollte und was so viele Völker in Europa fühlen, darunter das französische Volk." Europa sei tolerant. Aber seine Völker wollten nicht, "dass ihr Lebensrahmen, ihre Denkweise und ihre sozialen Beziehungen entstellt werden".

Auch deshalb halte er für Frankreich, wo mehr als fünf Millionen Muslime leben, eine Debatte über "nationale Identität" weiter für notwendig, betonte Sarkozy. Sie sei "das Gegengift" gegen einen Zerfall der Gesellschaft in einzelne Gruppen. Denn Basis des Zusammenlebens müssten "Anerkennung, Verständnis und Respekt" sein.

Religion müsse deshalb von allen "mit demütiger Unauffälligkeit" ausgeübt werden, schrieb der Staatschef. Dies sei kein Zeichen von "Halbherzigkeit" bei den eigenen Überzeugungen, sondern "brüderlicher Respekt" gegenüber denen, die nicht dasselbe glaubten.

Menschen, die neu nach Frankreich kämen, hätten dabei das Recht, ihre Religion "an anständigen Orten" auszuüben. "Man respektiert die Leute nicht, wenn man sie zwingt, ihre Religion in Kellern oder Lagerschuppen zu praktizieren", schrieb Sarkozy. Er werde alles tun, damit Muslime dieselben Rechte hätten wie der Rest der Bevölkerung und ihre Religion ausüben könnten. Frankreich sei aber auch ein Land, das zutiefst von der christlichen Zivilisation geprägt sei, erklärte der Präsident.

Deshalb verdienten auch die, die schon dort lebten, Respekt für ihre Werte und Überzeugungen und dürften "nicht verletzt und schockiert" werden. Für Frankreich bedeute dies, dass sich Zuwanderer "die Gleichheit von Mann und Frau, die weltanschauliche Neutralität des Staates, die Trennung von Irdischem und Spirituellem" zueigen machen müssten.

Mit Blick auf Minarette lehnte es Sarkozy für Frankreich ab, über eine solche Frage in einem Referendum per Ja oder Nein zu entscheiden. "Ich bin überzeugt, dass man damit nur schmerzhafte Missverständnisse hervorruft", warnte der Präsident. Solche Fragen müssten "von Fall zu Fall" gelöst werden.

Die Ablehnung der Minarette in der Schweiz hat in Frankreich die Debatte über neue Moschee-Projekte neu entfacht. Umfragen zeigen, dass die Franzosen dabei gespalten sind, es aber in den vergangenen Jahren einen wachsenden Trend zur Ablehnung gibt. Die Pariser Regierung lässt darüber hinaus derzeit prüfen, ob sie die Ganzkörperverschleierung von Frauen durch die Burka verbietet.

Das Votum der Eidgenossen fiel zudem in die von Sarkozy angestoßene landesweite Diskussion über "nationale Identität", die auch nach Einschätzung von Parteifreunden inzwischen aus dem Ruder läuft und vor den Regionalwahlen im März vor allem den Rechtsextremen nützen dürfte.

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