Militärchef der libyschen Rebellen:Der mysteriöse Tod des Abdel Fattah Junis

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Drei Tote und viele Fragezeichen: Der Militärchef der libyschen Rebellen sollte in Bengasi von Richtern befragt werden. Unterwegs wurde Junis erschossen. Ein Verdächtiger wurde festgenommen - angeblich ein Gaddafi-Anhänger. Womöglich sind auch Stammesstreitigkeiten der Auslöser für Junis' Tod. Dieser war vielen Rebellen suspekt, weil er dem Revolutionsführer 40 Jahre diente.

Matthias Kolb

Vielleicht war es das Interview, das Aisha Gaddafi im April 2011 in einem Bunker in Tripolis der New York Times gegeben hatte. Darin deutete die einzige Tochter des libyschen Alleinherrschers an, dass Abdul Fattah Junis noch immer loyal zu ihrem Vater stehe. Zu diesem Zeitpunkt waren zwei Monate vergangen, seit der frühere Innenminister Junis zu den Rebellen übergelaufen war und begonnen hatte, als Militärchef gegen die Truppen seines langjährigen Verbündeten zu kämpfen.

Eine Frau bricht nach der Verkündigung des Todes von Abdul Fattah Junis in Tränen aus.  (Foto: AFP)

Aisha Gaddafi erklärte damals, die Abtrünnigen hätten ihren Schritt damit begründet, ihre Familien schützen zu müssen. "Viele Mitglieder des Nationalen Übergangsrats standen 42 Jahre an der Seite meines Vaters und waren stets loyal. Denken Sie wirklich, dass man dies einfach vergisst?" Auch wenn man die Aussagen der Gaddafi-Tochter als Strategie wertet, steht zweifellos fest: In den Reihen der Rebellen war der 67 Jahre alte Junis stets umstritten und so wird nach seinem Tod über die Hintergründe gerätselt.

Die Umstände seien "mysteriös" und "unklar", heißt es unisono bei BBC, al-Dschasira, dem Guardian und der New York Times. Auch die Tatsache, dass Junis' Leiche nun aufgetaucht ist, verschafft kaum Klarheit. Zusammen mit den sterblichen Überresten der beiden Offiziere, die mit ihm erschossen worden waren, wurde sie im Zentrum von Bengasi aufgebahrt. Das Fernsehen des Übergangsrats berichtet, die Körper seien bis zur Unkenntlichkeit verbrannt.

Momentan werden zwei Szenarien diskutiert: Einerseits könnten Junis und seine beiden Vertrauten von Anhängern von Muammar al-Gaddafi in einen Hinterhalt gelockt und erschossen worden sein. Laut al-Dschasira haben die Behörden des libyschen Übergangstaats einen Verdächtigen festgenommen. Dieser soll als Mitglied eines Gaddafi-treuen Mordkommandos agiert haben. Man suche in Bengasi intensiv nach weiteren Tätern. Rätselhaft erscheint jedoch, wie die Mörder überhaupt in Junis' Nähe kommen konnten, der sonst in einer gepanzerten Limousine und mit einem Konvoi aus etwa 30 Kämpfern unterwegs war.

Andererseits könnte Junis auch Opfer einer Stammesfehde sein. Der Korrespondent der New York Times berichtet aus der Rebellenhochburg Bengasi von Gerüchten, wonach eine Gruppe von vier Richtern, die für die Aufständischen arbeiten, den General vorgeladen hätte. Laut CNN wurde Junis an der Front in der Nähe des Ölhafens Brega verhaftet und sollte zu "Militärangelegenheiten" und zu seinen Kontakten zu Gaddafi befragt werden.

Schießereien vor Hotel

Mehrere internationale Medien berichteten, dass sich am Donnerstag mehrere Dutzend Mitglieder des Obeidat-Stamms vor dem Hotel Tibesti versammelt hatten, nachdem kurzfristig eine Pressekonferenz angesetzt wurde. Einige hätten vor Gewaltausbrüchen gewarnt, falls Junis von seinem Posten als Kommandeur abgezogen würde. Andere kündigten im Gespräch mit James Hider von The Times an, sie würden Junis befreien, sollte er sich in einem Gefängnis befinden. Der Guardian berichtet, dass Junis' Haus von einer Eliteeinheit umstellt wurde, die loyal zu Rebellenführer Mustafa Abdul Dschalil steht. Dschalil diente Gaddafi einst als Justizminister.

Dieser verkündete auf der Pressekonferenz den Tod des Generals und würdigte ihn als "Held der Revolution des 17. Februars". Kaum hatte Dschalil das Hotel verlassen, fuhr eine Gruppe wütender Obeidi in einem Pick-up vor. Sie waren laut New York Times mit Kalaschnikows bewaffnet und hätten in die Luft geschossen und Fensterscheiben zerstört. Der Stamm der Obeidat, dem Junis angehörte, beherrscht die Gegend rund um Tobruk nahe der ägyptischen Grenze und sagte sich als einer der ersten von Libyens Revolutionsführer Gaddafi los.

Junis hatte seinen Schritt im Februar damit begründet, "der Gaddafi, der heute das Land regiere" sei nicht mehr derjenige, den er während der Rebellion gegen den libyschen König 1969 unterstützt habe. Damals half der 25-jährige Junis dem zwei Jahre älteren Gaddafi, die Radiostation in Bengasi zu übernehmen. Später kommandierte er Gaddafis Spezialeinheiten, beteiligte sich in den siebziger und achtziger Jahren an den Grenzkriegen gegen Ägypten und den Tschad und wurde vor drei Jahren Innenminister. Seinen einstigen Chef beschrieb er im März so: "Er ist dickköpfig. Er wird vielleicht Selbstmord begehen oder getötet werden. Gehen wird er nicht. Ich hätte ihm das nicht gewünscht."

Im Frühjahr siegte Junis in einem offenen Machtkampf mit Khalifa Heftar, der die vergangenen 20 Jahre in den USA gelebt hatte, und sich ebenfalls als Militärchef der Rebellen betrachtete. Während Junis wegen seiner angeblichen Nähe zu Gaddafi kritisiert wurde, war Heftar vielen Libyern wegen seines langen Auslandsaufenthalts und der angeblichen Nähe zur CIA suspekt, berichtet der Christian Science Monitor. Wer das nun entstandene Machtvakuum innerhalb der Rebellen-Armee füllen wird, ist unklar.

Im Christian Science Monitor wird auch über einen Vorfall berichtet, über den rund um Bengasi immer wieder gesprochen wird: Als Junis am 20. Februar 2011 im umkämpften Bengasi eintraf, spielten seine Soldaten eine entscheidende Rolle im Häuserkampf der Zivilisten gegen Gaddafis Milizen. Allerdings soll Junis für einen Sicherheitskorridor gesorgt haben, durch den die Anhänger des Regimes nach Westen fliehen konnte. Diese Entscheidung hat offenbar bei vielen Rebellen Zweifel an Junis' Loyalität gesät - unabhängig davon, ob er ein Blutbad vermeiden oder aus Mitleid mit den einstigen Verbündeten handelte. Von einer ähnlichen Stimmung bei Teilen der Rebellenbewegung berichtet auch die BBC.

Die Streitigkeiten unter den Stämmen interpretiert die New York Times als Rückschlag für das Bemühen der Rebellen, sich als eine Bewegung zu präsentieren, die für das gesamte Libyen spricht und dem nordafrikanischen Land und seinen knapp sechseinhalb Millionen Einwohnern Freiheit und Demokratie bringen wird. Das Gaddafi-Regime spricht in seiner Propaganda von einem Aufstand des Ostens gegen den Westen

Andere fürchten gar einen "Krieg nach dem Krieg": Sollte Gaddafi getötet oder gestürzt werden, seien sich die Rebellen über den künftigen Kurs und das künftige Führungspersonal uneins. Die aktuelle Entwicklung wird auch Berlin mit Sorge sehen: Nach einem Bericht der Berliner Zeitung hat Außenminister Guido Westerwelle (FDP) dem Nationalen Übergangsrat in Libyen angeboten, einen diplomatischen Vertreter nach Berlin zu entsenden. Deutschland hat die Rebellen schon im Juni anerkannt. Eine Sprecherin erklärte lediglich: "Im Auswärtigen Amt ist bislang kein Antrag des Nationalen Übergangsrats auf Übernahme der libyschen Botschaft in Berlin eingegangen."

Linktipp: Ende März 2011 beschrieb Tomas Avenarius, der Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, in einer Reportage aus Bengasi die Schwierigkeiten der Rebellen, eine transparente Gegenregierung aufzubauen.

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