Krieg in Libyen:Kommandeur der Rebellen getötet

Einst war er Gaddafis Innenminister, dann lief er zu den Aufständischen über: Jetzt ist der Militärchef der libyschen Rebellen, Abdul Fattah Junis, unter mysteriösen Umständen erschossen worden. Er war auf dem Weg nach Bengasi, um vor einem Justizkomitee auszusagen. Angeblich sollte er zu Militäroperationen Stellung beziehen - ein Sprecher der Aufständischen verbreitet eine andere Version. Hatte Junes noch Kontakt zu Gaddafi?

Die libyschen Rebellen haben im Kampf gegen Machthaber Muammar al-Gaddafi ihren Militärchef verloren. Der Oberkommandierende der libyschen Aufständischen, Abdul Fattah Junis, und zwei seiner Vertrauten seien nach Angaben der Aufständischen von Angreifern erschossen worden. Das teilte der Vorsitzende des Nationalen Übergangsrats, Mustafa Abdul Dschalil, auf einer Pressekonferenz in der Rebellenhochburg Bengasi mit.

Abdel Fattah Younes

Abdul Fattah Junis war einst libyscher Innenminister, dann schloss er sich den Rebellen an.

(Foto: AP)

Dschalil sagte am Donnerstag, Junis sei von der Front zurückbeordert worden, um vor einem Justizkomitee der Rebellen zu erscheinen. Nach Angaben Dschalils sollte Junis zu Militäroperationen Stellung beziehen. Ein Sprecher der Aufständischen verbreitete eine andere Version: Demnach sei Junis in der Einsatzzentrale in Gewahrsam genommen und für ein Verhör nach Bengasi gebracht worden. Es bestehe der Verdacht, dass Junis über Familienmitglieder noch immer Kontakt zum Regime von Machthaber Gaddafi habe, sagte Mohammed al Ridschali.

Doch Junis kam in Bengasi nie an: Auf dem Weg dorthin seien er und seine zwei Leibwächter erschossen worden. Wo die drei Männer starben, wurde nicht bekannt. Dschalil nannte zudem keine Quelle für seine Angaben und erklärte, die Leichen seien bislang nicht gefunden worden. Auch die Identität der mutmaßlichen Schützen blieb unbekannt. Allerdings sei der Anführer der Gruppe, die hinter dem Anschlag stecke, festgenommen worden.

Einige Rebellen begegneten dem Militärchef mit Misstrauen. Er hatte Machthaber Gaddafi bei dessen Putsch 1969 unterstützt und war später libyscher Innenminister. Nach dem Beginn des Aufstandes vor einigen Monaten lief er zu den Rebellen über. Dschalil würdigte Junis als einen "der Helden der Revolution des 17. Februar".

Nach einem Bericht des britischen Guardian unter Berufung auf die Rebellen könnten die Angreifer Anhänger Gaddafis gewesen sein. Die Umstände seiner Tötung bleiben mysteriös: Der General reist normalerweise in einem gepanzerten Wagen innerhalb eines Konvois mit 30 bewaffneten Begleitern. Dschalil konnte auf der Pressekonferenz nicht erklären, wie die Angreifer bis zu dem General vordringen konnten.

Auf der Pressekonferenz, die teilweise chaotisch verlaufen sein soll, erklärte Dschalil, dass Gaddafi versuche, die Einheit der Aufständischen zu brechen. Er warf dem libyschen Machthaber jedoch nicht direkt vor, für Junis' Tod verantwortlich zu sein. Er sprach aber eine Warnung an "bewaffnete Gruppen" im Einflussgebiet der Rebellen aus. Sie müssten sich dem Kampf gegen Gaddafi anschließen oder würden ihre Festnahme riskieren.

Viele Rebellen reagierten schockiert auf die Nachricht von Junis' Tod. Allerdings glauben nur wenige, dass er unersetzlich sei: "Ich denke nicht, dass er ein professioneller Soldat war; er kommandierte seine Soldaten nicht gut", erklärte ein Kämpfer der Rebellen.

Explosionen in Tripolis

Unterdessen berichtet die Berliner Zeitung, die Bundesregierung wolle weitere Schritte zur Isolierung des libyschen Machthabers Gaddafi unternehmen. Zuvor hatte Berlin angekündigt, den Rebellen ein Darlehen von 100 Millionen Euro zu gewähren. Zudem hat Außenminister Guido Westerwelle (FDP) nun offenbar dem Nationalen Übergangsrat in Libyen angeboten, einen diplomatischen Vertreter nach Berlin zu entsenden. Dieser wäre eine Art Gegenbotschafter zu den libyschen Diplomaten, die derzeit als Gesandte Gaddafis in Berlin residieren.

Offiziell wurden die Rebellen schon im Juni von der Bundesregierung anerkannt. Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes wollte sich nicht zu dem Angebot Westerwelles äußern. "Im Auswärtigen Amt ist bislang kein Antrag des Nationalen Übergangsrat auf Übernahme der libyschen Botschaft in Berlin eingegangen", sagte sie. In den USA haben die Rebellen einen solchen Antrag bereits gestellt.

In der libyschen Hauptstadt Tripolis waren am Donnerstagabend erneut schwere Explosionen zu hören. Das libysche Staatsfernsehen berichtete, dass Flugzeuge über die Stadt gedonnert seien. Am Donnerstag starteten die Aufständischen zudem im Westen Libyens eine neue Offensive gegen die Truppen Gaddafis. Der Vorstoß aus dem von den Rebellen kontrollierten Nafusa-Gebirge richtete sich gegen einen wichtigen Stützpunkt der Gaddafi-Truppen in Gazaija. Der Ort wurde von den Rebellen eingenommen, berichtete der Nachrichtensender al-Arabija.

Ein Reporter des Nachrichtensenders Al-Dschasira sagte, dass Hunderte bewaffnete Aufständische an die Front verlegt wurden. Es handele sich um eine der größten Militäroperationen der Gaddafi-Gegner in der jüngsten Zeit. Dabei sollen die Truppen des Machthabers aus den Niederungen am Fuße des Nafusa-Gebirges und dem Gebiet an der Grenze zu Tunesien verdrängt werden.

Nahrungsmittel- und Medikamentenknappheit

Die Rebellen im Westen Libyens kontrollieren bereits den Grenzübergang Wasin nach Tunesien. Doch von Gazaija aus kann die Gaddafi-Artillerie ihre einzige Nachschubroute unter Feuer nehmen.

Gaddafi, der seit längerem nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen wurde, deutete am späten Mittwoch an, dass seine Truppen für eine mögliche Bodenoffensive gerüstet seien. Er forderte außerdem seine Unterstützer auf, aus der von den Rebellen gehaltenen Stadt Misrata alle "Tyrannen und Verräter" zu verjagen.

Nach mehr als fünf Monaten andauernder Kämpfe droht Libyen zum Beginn des Fastenmonats Ramadan am 1. August eine akute Nahrungsmittel- und Medikamentenknappheit. Sowohl die Regierung als auch die Rebellen haben die UN gebeten, eingefrorene Gelder für humanitäre Zwecke freizugeben, sagte Unter-Generalsekretär Lynn Pascoe vor dem Sicherheitsrat.

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