Militär:Eine Zahl, viele Blickwinkel

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Deutschland hat beim Streit ums Zwei-Prozent-Ziel für die Nato durchaus Argumente.

Von Joachim Käppner, Washington

Der eine hat eine klare, jedermann verständliche Botschaft; die andere bringt Statistiken, Umrechnungen, komplexe Sachverhalte. Der eine klagt an, die andere verteidigt sich. Donald Trump vs. Ursula von der Leyen: Wer da die besseren Karten hat, ist offensichtlich. US-Präsident Donald Trump braucht nur vorwurfsvoll "two per cent" sagen oder twittern, dann wissen alle, wer und was gemeint ist: diese Deutschen und ihre Weigerung, ihre Ausgaben für die Verteidigung schnellstens auf jene zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) zu bringen, das die Nato-Staaten 2014 auf dem Gipfel in Wales als Ziel vereinbart hatten.

Der deutsche Beitrag lag zu Jahresbeginn bei 1,24 Prozent und klettert seitdem langsam jenen 1,3 Prozent entgegen, die Verteidigungsministerin von der Leyen (CDU) für das kommende Jahr verspricht. Bis 2024 sollen es 1,5 Prozent sein - zu wenig, um Trump zu besänftigen, der die NATO ohnehin wenig schätzt; fast schon zu viel, um sich zuhause in Deutschland vor einer kritischen Öffentlichkeit und einem ungnädigen Finanzminister noch rechtfertigen zu können.

Den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr fehlt es an vielem, nicht zuletzt an ausreichend funktionierender Ausrüstung, um ihr Land zu verteidigen. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Von der Leyen wiederum verweist darauf, die "Zwei Prozent"-Forderung berücksichtigte nicht, dass Deutschland nach den USA der zweitgrößte Truppensteller in Afghanistan ist, eine führende Rolle bei der Nato-Mission im Baltikum spielt und sehr viel Geld für die Nato-Hauptquartiere ausgibt.

Zwei Prozent, das ist jene schlichte Symbolik, die Trump liebt. Er hält sie den Deutschen, welche diese Marge, falls überhaupt, irgendwann um 2030 erreichen wollen, gern vor, um sie als parasitäre Verbündete zu schmähen, die nicht einmal die eigenen Zusagen einhalten. Für ihre ungleich komplexere Gegenrechnung fand die Ministerin bei ihrer Washingtonreise in dieser Woche zwar Verständnis bei dem ihr und dem westlichen Bündnis sehr gewogenen US-Kollegen James Mattis. Aber nicht einmal das wird wohl verhindern, dass Trump den Deutschen und etlichen anderen Partnern auf dem Nato-Gipfel im Juli die zwei Prozent um die Ohren hauen wird.

Im Jahr 2017 schafften nur vier Nato-Staaten den Sprung über die Hürde: Die USA (3,6), Griechenland, Großbritannien und Estland.

Aber wie aussagekräftig ist diese Zahl? Im Herzen Washingtons, im lichten, modernen Gebäude eines der renommiertesten amerikanischen Think Tanks, hat man weit mehr Verständnis für die Deutschen als im Weißen Haus. Das CSIS, das Center For Strategic and International Studies, hat eine Studie anhand verschiedenster Parameter erstellt, wie sich Belastungen verteilen. Das Ergebnis, so Projektleiterin Kathleen H. Hicks: "Die auf die zwei Prozent verkürzte Debatte verstellt den Blick auf die wahren Belastungen. Sie bringt mehr Schaden als Nutzen." Die Nato, so Hicks, benötige "dringend eine neue Messweise dafür, wie die Lasten tatsächlich zwischen den Mitgliedern verteilt werden".

So berücksichtigt Trumps Insistieren auf der Fixzahl nicht, wie effizient das Geld investiert wird. Etliche neue Mitglieder stecken es beinahe ausschließlich in bestehendes Personal, aber nicht in die Modernisierung oder Vergrößerung ihrer Armee. Das ist in Deutschland auch nicht optimal, aber zumindest besser. Die Bundesrepublik steht auch weit oben auf der Liste jener Staaten, die eine große Anzahl aktiver Soldaten in Auslandsmissionen schicken - ein Punkt für von der Leyen.

Bei den Ausgaben für internationale Sicherheitsberatung, die nicht zum Wehretat gehören - Training und Unterstützung fremder Streitkräfte wie den irakischen Kurden -, sind die Deutschen sogar Nato-weit führend. Die CSIS-Studie bezieht auch die Aufnahme von Flüchtlingen aus Kriegsgebieten in den Leistungskatalog mit ein, hier steht die Bundesrepublik nach der Türkei an zweiter Stelle, danach kommt lange nichts.

In der seltsamen Logik des Zwei-Prozent-Ziels wird auch wirtschaftliches Wachstum zum Störfaktor. In der wirtschaftlich sehr erfolgreichen Bundesrepublik führt jede Steigerung des BIP dazu, dass die Verteidigungsausgaben entsprechend mitwachsen müssten, um sich nicht noch weiter von den zwei Prozent zu entfernen. So geht es auch anderen Ländern: Polen fiel 2017 aus der Liste jener Länder, welche die Vorgabe erfüllen, auf etwa 1,8 Prozent - aber nicht, weil die Polen ihre Zusagen nicht einhalten, sondern weil ihre Wirtschaft schneller wächst als gedacht.

So sehr sich Ursula von der Leyen von dem CSIS-Bericht bestätigt fühlen dürfte, einen Haken hat er doch - er zerfällt in Einzelstatistiken und kann keine eingängige Zahl liefern, derzufolge Deutschland weit näher an den magischen zwei Prozent wäre als es nach jetziger Rechnung ist, die den Wehretat schlicht ins Verhältnis zum BIP setzt. Sicher sagen lässt sich nur eines: Die Bundesrepublik ist bei der Lastenverteilung innerhalb der Nato besser als ihr Ruf, jedenfalls als ihr Ruf im Weißen Haus. Jeffrey Rathke, Europaexperte der CSIS, fasst es so zusammen: "Ist Deutschland dort, wo es nach den Beschlüssen von Wales sein sollte? Nein. Bewegt sich Deutschland spürbar dorthin? Ja."

© SZ vom 23.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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