Migration:Studie: Deutsche Willkommenskultur zeigt erste Risse

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Flüchtlinge im September 2015 auf einem Bahnsteig im Münchner Hauptbahnhof. Foto: Sven Hoppe (Foto: dpa)

Gütersloh (dpa) - Trotz der Rekordzuwanderung von Flüchtlingen in den Jahren 2015 und 2016 präsentiert sich Deutschland laut einer Studie als offene und gereifte Einwanderungsgesellschaft - noch.

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Gütersloh (dpa) - Trotz der Rekordzuwanderung von Flüchtlingen in den Jahren 2015 und 2016 präsentiert sich Deutschland laut einer Studie als offene und gereifte Einwanderungsgesellschaft - noch.

Die Willkommenskultur erweist sich als stabil, wie eine Auswertung von Umfragedaten durch die Bertelsmann-Stiftung zeigt. Auf die Frage, wie Einwanderer oder Flüchtlinge von der Bevölkerung willkommen geheißen würden, antwortete eine deutliche Mehrheit mit "sehr oder eher willkommen".

70 Prozent haben den Eindruck an, dass Einwanderer in der Bevölkerung willkommen seien, bei Flüchtlingen sind es 59 Prozent. Die Entwicklung bei der Frage nach Einwanderern ist seit 2012 positiv: Waren es vor fünf Jahren noch 49 Prozent, stieg der Wert 2015 auf 59 Prozent.

In den Jahren 2012 und Anfang 2015, also vor Beginn der Flüchtlingskrise in Europa, wurde bei der Erhebung noch nicht explizit nach Flüchtlingen gefragt. So kann die Studie hier keine Aussage zu einer Entwicklung machen.

Allerdings verändert sich die Stimmung, nachdem rund 1,2 Millionen Flüchtlinge aufgenommen wurden. "Viele sehen eine Belastungsgrenze erreicht. Die Bereitschaft, weitere Flüchtlinge aufzunehmen, geht deutlich zurück", heißt es in der am Freitag in Gütersloh vorgestellten Studie. 54 Prozent geben an, es sei eine Belastungsgrenze erreicht - vor zwei Jahren waren es 40 Prozent.

Dafür steigt die Zahl der Menschen um fünf Prozentpunkte auf 81 Prozent, die eine faire Verteilung innerhalb der EU fordern. "Die Menschen in Deutschland blicken selbstbewusst darauf zurück, so viele Flüchtlinge so freundlich empfangen zu haben. Sie sagen aber auch: Jetzt sind andere Länder ebenfalls an der Reihe", sagt Stiftungs-Vorstand Jörg Dräger.

Wie bereits in früheren Studien zeigt sich bei der Willkommenskultur ein deutlicher Ost-West-Unterschied. Das Auseinanderdriften hat sich laut Studie sogar noch verstärkt: In den Bundesländern im Osten glauben 53 Prozent, dass Einwanderer willkommen seien. Im Westen sind es 74 Prozent. Bei der Willkommenskultur für Flüchtlinge ist die Ost-West-Schere sogar noch größer: Im Osten meinen nur 33 Prozent, dass die Bevölkerung Flüchtlinge mit offenen Armen aufnehme, im Westen sind es mit 65 Prozent rund doppelt so viele.

Die Flüchtlingszahlen sind in den vergangenen Monaten deutlich zurückgegangen. Studienautor Ulrich Kober glaubt deshalb, dass die Emotionalisierung nun geringer ausfalle. "Der Pulverdampf ist etwas verflogen. Die Menschen antworten nicht mehr aus der Betroffenheit heraus", sagt Kober zum Ergebnis der Studie.

Den Konfliktforscher Andreas Zick von der Uni Bielefeld hatte im Sommer eine ähnliche Untersuchung vorgestellt. Nach dieser befürwortet eine Mehrheit der Bevölkerung die Aufnahme von Flüchtlingen, einen dauerhaften Aufenthalt aber lehnen demzufolge viele ab.

Die Parteivorsitzende der Linken, Katja Kipping, appellierte an die Deutschen, Menschen in Not weiterhin Schutz zu gewähren. Sie sagte: "Dieser Tage schaut die Welt natürlich nach Syrien. Angesichts der nach wie vor herrschenden Kriege vor Europas Haustür, ist es wichtig nicht zu vergessen, dass die "Willkommenskultur" Tausenden von Menschen das Leben rettet."

Die Grünen-Chefin Simone Peter wertete die Ergebnisse der Studie als Beleg dafür, dass die Mehrheit der Deutschen immun sei "gegen das Gift der Rechtspopulisten, die seit Jahr  und Tag gegen Flüchtlinge und Einwanderer hetzen". Sie forderte eine Aufhebung der Einschränkungen beim Familiennachzug zu Flüchtlingen.

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