Migration:Kritik an Zuständen in Landesunterkünften

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Michael Mommer, (l-r) Birgit Naujoks und Eva van Keuk während einer Pressekonferenz. (Foto: David Young/dpa)

Es herrschen Lärm, Enge, Unruhe und Angst - Flüchtlinge sind bei ihrer Ankunft in Landesunterkünften hohen Belastungen ausgesetzt. Verbände fordern nun bessere Bedingungen für die Asylsuchenden.

Von Dorothea Hülsmeier, dpa

Düsseldorf (dpa/lnw) - Hunderte Menschen auf beengtem Raum, Zelte ohne Privatsphäre und eine unsichere Bleibeperspektive - der Flüchtlingsrat NRW und die Freie Wohlfahrtspflege haben die Zustände der Unterbringung von Geflüchteten in Landesunterkünften angeprangert. „Es herrschen Überfüllung, Unruhe, Angst“, sagte die Geschäftsführerin des Flüchtlingsrats NRW, Birgit Naujoks, am Mittwoch in Düsseldorf. Teilweise würden europäische und internationale Standards nicht eingehalten.

In NRW sind nach Angaben des Flüchtlingsministeriums rund 30.600 Plätze in 45 Sammelunterkünften des Landes belegt. Darunter sind 12 Notunterkünfte. In diesem Jahr haben demnach bereits mehr als 55.500 Menschen (Stand 31.10.) in Nordrhein-Westfalen Schutz gefunden.

Bei den Landeseinrichtungen handelt es sich laut Flüchtlingsrat zumeist um Großeinrichtungen mit mehr als 400 Plätzen. Besonders die Unterbringung in den Notunterkünften des Landes belaste die Menschen körperlich und psychisch und führe bei vielen zu Frustration. In der Erstaufnahmeeinrichtung Mönchengladbach sind nach Angaben der Verbände knapp 1800 Menschen untergebracht, in Soest mehr als 1300, in der Notunterkunft in Castrop-Rauxel mehr als 900.

Lage in Notunterkünften besonders belastend

In überbelegten Unterkünften würden auch Räume für Freizeitangebote regelmäßig zu Schlafsälen umfunktioniert, sagte Naujoks. In der Erstaufnahme in Köln/Bonn seien sogar in der Mensa Betten aufgestellt worden. Eine private Unterbringung bei Verwandten oder Freunden sei nicht erlaubt.

In NRW müssten Schutzsuchende teilweise von ihrer Ankunft bis zur Zuweisung in eine Kommune, also mehrere Monate, in Notunterkünften leben, sagte Naujoks. In der Zeltstadt Herne zum Beispiel gebe es keine Türen, sondern nur Vorhänge. Der Lärmpegel sei hoch. Einige Menschen berichteten von Gewalt, „und das kriegen die Kinder auch ungefiltert mit“. Die Zelte seien undicht. Frauen hätten Angst, gerade nachts ihre Kabinen zu verlassen, um etwa zur Toilette zu gehen. Es gebe keine Spinde, um persönliche Sachen zu verwahren.

In den Notunterkünften gebe es zwar Sanitätsstationen, jedoch mangele es an direktem Zugang zu niedergelassenen Ärzten. Die Freizeit- und Sportangebote für die Geflüchteten sind laut Flüchtlingsrat minimal. Die Menschen berichteten auch oft, dass sie keine Informationen über Beratungsangebote bekämen. „In den Notunterkünften gelten nicht die gleichen Standards wie in den anderen Unterkünften, obwohl die Aufenthaltszeit der Menschen genauso lang ist“, kritisierte Naujoks.

Die Unterbringung in solchen Unterkünften für viele Monate mache Schutzsuchende „mürbe, ohnmächtig, krank“, kritisierte auch Eva van Keuk vom Psychosozialen Zentrum für Geflüchtete Düsseldorf. Auch fehle eine „Willkommenskultur“ und Solidarität wie bei der Flüchtlingsankunft 2015/16.

Kinder kommen zu kurz

Nach Ansicht der Freien Wohlfahrtspflege kommen auch die Belange von Kinder und der Kinderschutz in den Landesunterkünften zu kurz. Es gebe „nicht einmal kindgerechte Beschwerdemöglichkeiten“, sagte Michael Mommer vom Arbeitsausschuss Migration. Bildung, Erziehungsberatung und Jugendsozialarbeit würden von den Behörden oft nicht gewährt. Auch die gesundheitliche Versorgung von Kindern sei eingeschränkt, und es fehle oft ein schulnahes Bildungsangebot. Wegen schlechter Finanzierungsbedingungen, Befristungen und Fachkräftemangels könnten Beratungsstellen in Notunterkünften oft nicht besetzt werden.

Die Bedingungen in den Flüchtlingsunterkünften der Kommunen sind nach Darstellung des Flüchtlingsrats dagegen besser als in den Landesunterkünften. Zwar seien die Menschen dort auch eine gewisse Zeit in prekären Verhältnissen untergebracht. Aber es gebe Angebote vor Ort und Kontakt zu Einheimischen, sagte Naujoks. Die Menschen könnten sich um Arbeit kümmern. Die gesundheitliche Versorgung sei sichergestellt.

Kritik am Flüchtlingsministerium

Die Verbände forderten die Landesregierung auf, die Flüchtlinge in kleineren Unterkünften und dort auch nur wenige Wochen unterzubringen. Außerdem müssten ihnen ausreichend Angebote zur Orientierung, Bildung und für ihre Asylverfahren gemacht werden.

Die Verweildauer in den Landesunterkünften ist gesetzlich bestimmt auf bis zu 24 Monate. Die im Koalitionsvertrag der schwarz-grünen NRW-Landesregierung vereinbarte Verkürzung der Unterbringungszeit auf sechs Monate sei dagegen nicht in Sicht, sagte Naujoks. Nach Angaben des Ministeriums beträgt die Aufenthaltsdauer in den zentralen Unterbringungseinrichtungen und Notunterkünften des Landes in der Regel zwischen 3 und 16 Monaten. In Einzelfällen könnten es auch bis zu 24 Monate sein.

Der schwarz-grüne Koalitionsvertrag habe Anlass zur Hoffnung gegeben, dass sich bestimmte Zustände verbesserten, sagte Naujoks. Aber die Landesregierung befinde sich nach eigener Aussage jetzt „im Krisenmodus“. Deswegen würden die Pläne nicht umgesetzt. Naujoks vermutete, dass Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne)zwar „eine andere Einstellung dazu“ habe. Sie halte den von Paul eingeschlagenen Weg zur Entlastung der Kommunen aber für falsch.

Ministerin Paul räumt Defizite ein

Das Flüchtlingsministerium verwies darauf, dass in diesem Jahr der „Runde Tisch Migration“ gebildet worden sei, der auch Aspekte der Unterbringung beleuchte. „Klar ist, ein gewisses Maß an Privatsphäre ist Voraussetzung, um den Menschen ein Ankommen in Ruhe zu ermöglichen“, erklärte Ministerin Paul. Angesichts der aktuellen Flüchtlingszugänge sei die erste Voraussetzung aber, Obdachlosigkeit zu vermeiden. Daher sei auch die kurzfristige Unterbringung in Form von Notunterkünften unerlässlich.

Paul räumte ein, dass in den Notunterkünften nicht alle Standards des Landesgewaltschutzkonzepts zu jeder Zeit eingehalten würden, weil etwa Frauencafés und Mädchentreffs, Spiel- und Sportmöglichkeiten in manchen Fällen schwierig kurzfristig zu realisieren seien. Das Land arbeite „mit Hochdruck“ daran, auch die Aufnahmekapazitäten in den regulären Unterkünften zu erhöhen.

Zum Regelangebot gehörten für Geflüchtete auch psychosoziale Erstberatung, ärztliche und zahnärztliche Behandlungen bei akuten Erkrankungen, Schutzimpfungen sowie medizinisch gebotene Vorsorgeuntersuchungen. Für Kinder seien in allen regulären Landeseinrichtungen sowie in den meisten Notunterkünften Kinderspielstuben eingerichtet und Betreuungsangebote vorhanden. Das Land arbeitet derzeit an einer Weiterentwicklung.

© dpa-infocom, dpa:231115-99-953956/4

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