Mexiko:Milliarden-Schaden durch Benzin-Diebe

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Präsident López Obrador geht recht unkonventionell gegen das organisierte Verbrechen vor.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Jede Krise hat ihre Krisengewinner und in diesem Fall sind es die Fußgänger. Seit einigen Tagen herrscht auf den Straßen von Mexiko-Stadt eine Ruhe, die man gespenstisch nennen könnte, die manch einer aber auch als ausgesprochen angenehm empfindet. Auf den Hauptverkehrsadern wie der Eje Central oder der Avenida Cuauhtémoc konnte man mitunter bedenkenlos spazieren gehen.

Mexiko-Stadt ist ungefähr das Gegenteil von einem Luftkurort. Regelmäßig legt sich eine Glocke aus Smog über die Megametropole. Jeder Tag, an dem der Verkehr ruht, ist deshalb ein guter Tag für die mexikanischen Lungen. Aber es geht hier nicht um eine neue Feinstaubverordnung und Fahrverbote. Es geht um den Kampf gegen die Korruption und das organisierte Verbrechen. Vom "Benzinkrieg" ist die Rede. Der neue und fast schon manisch unkonventionelle Präsident Andrés Manuel López Obrador, 65, hat versprochen, sein Land grundlegend zu verbessern. Und das tut er ohne Rücksicht auf Verluste. Als eine seiner ersten Amtshandlungen strich er im Dezember Privilegien und Zuschläge aller höheren Staatsbediensteten, sich selbst eingeschlossen. Der Sturm der Entrüstung der ehemals Privilegierten bläst ihm noch immer ins Gesicht. Das hielt López Obrador, kurz Amlo, aber nicht davon ab, zum Jahreswechsel eine neue Front zu eröffnen. Jetzt will er den huachicoleros, den Benzinräubern, das Handwerk legen.

Seit Jahren zapfen kriminelle Gruppen, die mit den Drogenkartellen in Verbindung gebracht werden, im großen Stil Treibstoff aus den Benzin-Pipelines ab. Besonders gut lief dieses Geschäft, laut López Obrador, in den sechs Jahren unter der Vorgängerregierung von Enrique Peña Nieto. Allein 2018 sei dem staatlichen Ölkonzern Pemex dadurch ein Schaden von 2,7 Milliarden Euro entstanden. Die zapfanfälligsten Pipelines ließ Amlo deshalb kurzerhand stilllegen. Viele Tankstellen in dem riesigen Land werden nur noch mit Kesselwagen beliefert. Es sind angeblich 5000, aber es sind offensichtlich nicht genug.

Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador, 65, hat einen Hang zu unkonventionellen Methoden. Um Benzin-Dieben das Handwerk zu legen, ließ er einfach Pipelines stilllegen. (Foto: Alejandro Cegarra/Bloomberg)

Viele Mexikaner halten es grundsätzlich für eine gute Idee, dass López Obrador im Gegensatz zu seinen Vorgängern entschieden gegen die Benzinräuber vorgeht. Aber mindestens genauso viele schimpfen, dass die Idee schlecht umgesetzt wurde. "Wie kann man die Pipelines schließen ohne vorher über eine funktionierende Alternative nachzudenken?", fragt sich nicht nur die Zeitung El Universal.

Der Januar hat in mehreren Regionen mit dramatischen Versorgungsengpässen begonnen. In den Bundesstaaten Jalisco, Guanajuato und Michoacán blieben zuletzt viele Tankstellen geschlossen, andernorts, etwa in der Hauptstadt, bildeten sich kilometerlange Schlangen vor den Zapfsäulen. Auch Busse und Taxis blieben stehen, viele Menschen kamen deshalb nicht zur Arbeit oder zur Schule. Durch Hamsterkäufe wurde die Benzinknappheit zunächst noch verstärkt.

López Obrador hat damit nicht nur die Autofahrer gegen sich aufgebracht, sondern auch die Unternehmerschaft. In der Logistikbranche ist von Millionenverlusten die Rede. Falls die Pipelines nicht sofort wieder geöffnet würden, könne die Lebensmittelversorgung nicht mehr garantiert werden. Für die eben noch völlig desillusionierte Opposition ist dieses Chaos ein Geschenk, aber der Präsident bleibt bisher betont gelassen. Er will zeigen, wer am längeren Benzinhebel sitzt und ruft die Bevölkerung zur Ruhe auf. Es sei genug Treibstoff für alle da, Probleme gebe es lediglich bei der Verteilung. In wenigen Tagen, verspricht Amlo nahezu täglich, werde sich die Lage wieder normalisieren. Im Übrigen diene das alles ja einem guten Zweck. "Es geht darum, sich den Korrupten im Land nicht zu beugen", so López Obrador.

An einer Tankstelle in Morelia hat sich eine lange Schlange gebildet. (Foto: Alan Ortega/Reuters)

In das gigantische Korruptionsnetzwerk sind nach seinen Angaben auch Mitarbeiter von Pemex selbst verstrickt. Über ein paralleles Pipeline-Netz seien großen Mengen von Treibstoff zum Teil direkt von den Raffinerien des Staatsbetriebes in geheime Lagerhäuser abgepumpt worden - alles professionell organisiert, vom Raub bis zum Vertrieb. Auch den letzten drei Regierungen wirft Amlo Komplizenschaft vor. Im Rahmen eines großen Aktionsplans sind derzeit Tausende Soldaten und Polizisten im Einsatz, um die Raffinerien, die Verteilerstationen sowie die Tanklieferungen zu überwachen. Drei Pemex-Funktionäre wurden bereits verhaftet.

Nach Behördenangaben lohnt sich die Operation allemal. Während im vergangenen November durchschnittlich 80 000 Barrel Treibstoff pro Tag gestohlen wurden, seien es derzeit nur noch 2500 Barrel. Andererseits geben die huachicoleros nicht so einfach auf. Auf einer Landstraße in Guanajuato klaute ein Überfallkommando am Montag einen Tanklaster mit 25 000 Litern Benzin.

© SZ vom 16.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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