Mexiko:Jenseits der Mauer

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Donald Trump ist das Letzte, was das problemgequälte Mexiko noch ertragen kann. Das Land darf fast schon als gescheitert gelten, was vor allem der Drogenmafia und der Verbandelung der Kriminellen mit den Mächtigen anzulasten ist. Vielleicht erkennt die neue US-Regierung, dass eine Mauer da wenig hilft.

Von Boris Herrmann

Zu seinen besten Zeiten, die schon ein paar Jahre zurückliegen, galt Enrique Peña Nieto als Meister der Fernsehansprachen; als ein Politiker, der mit Worten und Gesten überzeugen und verführen konnte. Die Mexikaner nannten ihren Staatschef deshalb "den Telepräsidenten". In seiner jüngsten TV-Rede gab derselbe Mann ein klägliches Bild ab. Seine ganze Ratlosigkeit kulminierte in der Frage: "Was hätten Sie an meiner Stelle getan?"

Jedenfalls nicht das, was Peña Nieto tat, da waren sich fast alle Zuschauer einig. Der Präsident hatte zum Jahreswechsel einen Benzinpreisanstieg von 20 Prozent verfügt, was nicht nur die Inflation in die Höhe, sondern auch Tausende Empörte auf die Straße trieb. Es kam zu Plünderungen und Blockaden mit Dutzenden Verletzten und mehreren Toten. Die Alternative, versuchte sich Peña Nieto zu rechtfertigen, sei die Schließung von Schulen und Krankenhäusern gewesen. Viele Mexikaner haben nun eine Antwort auf die Bitte ihres Präsidenten nach einem Ratschlag: Er könne sofort zurücktreten.

Der einstige Fernsehstar Peña Nieto ist in seinem Land derzeit kaum beliebter als Donald Trump. Das will was heißen. Selbstverständlich fürchten viele, dass ein bekennender Mexikohasser im Weißen Haus die ohnehin schwer angeschlagene mexikanische Wirtschaft endgültig lahmlegen könnte. Andererseits herrscht Konsens, dass Peña Nieto längst den größten Teil zum Niedergang beigetragen hat. Mexiko steckt in einer chronischen Sinnkrise, dafür braucht es gar keinen Trump und keine Grenzmauer.

Kein anderer demokratisch verfasster Staat wurde von der Macht der Drogenkartelle in der jüngeren Vergangenheit so ins Wanken gebracht wie Mexiko. Daran änderte auch die Festnahme des mächtigsten Drogenbosses der Welt, Joaquín "El Chapo" Guzmán, vor gut zwölf Monaten nichts. Im Gegenteil: 2016 war das blutigste Jahr in Mexiko seit der Amtsübernahme Peña Nietos 2012. Dass unzählige Menschen einfach so spurlos verschwinden und andere zerstückelt und verbrannt aufgefunden werden, gehört in manchen Landesteilen so sehr zum Alltag, dass es kaum noch Aufsehen erregt. Zum alltäglichen Horror zählt auch die Aufklärungsquote dieser Massaker - sie geht gegen null. Und immer mehr Mexikaner verstehen, dass in ihrem Drogenkrieg nicht der Staat gegen das organisierte Verbrechen kämpft, sondern beide Seiten eng miteinander verbandelt sind.

Noch führt es wohl zu weit, von einem "failed state", einem gescheiterten Staat, zu sprechen. In Mexiko werden weiterhin Wahlen abgehalten, Renten ausbezahlt, Schüler unterrichtet. Trotzdem ist die Frage berechtigt, wer dieses Land eigentlich regiert: der Präsident oder die Kartelle? Es muss jedenfalls niemanden wundern, dass große Teile der Bevölkerung keinerlei Vertrauen mehr in die staatlichen Institutionen haben. Der Benzinpreisanstieg war nicht der Ursache für die Aufstände, er war nur Anlass.

Und jetzt auch noch Trump. Peña Nieto hat mit erstaunlich markigen Worten versucht, sich als ernst zu nehmender Gegenspieler zu inszenieren. "Natürlich wird Mexiko nicht für die Mauer bezahlen", ließ er den Bauunternehmer wissen. Freilich würde darauf kaum ein Mexikaner einen Peso wetten. Peña Nieto hat sich von Trump bei dessen Spontanbesuch im August schon einmal am Nasenring herumführen lassen. Mexikos letzte Optimisten setzen deshalb auf pragmatische Einsichten im Weißen Haus. Einen gescheiterten Staat an der Südgrenze der USA kann nicht einmal Trump wollen.

© SZ vom 14.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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