Das Kürzel ARP steht nicht in der Strafprozessordnung und auch nicht in Creifelds "Rechtswörterbuch". Die Bundesanwaltschaft verwendet das Kürzel, wenn sie ihre Zuständigkeit prüft oder wenn sie feststellt, ob das von ihr gesammelte Material für einen Anfangsverdacht reicht oder nicht. "Allgemeines Register für politische Staatsschutzstrafsachen", wie ARP ausgeschrieben heißt, klingt bürokratisch; selbst wenn es sich um hochbrisante politische Vorgänge handelt.
Genau dort, zwischen Bürokratie und hoher Politik, befanden sich lange Zeit die beiden Prüfvorgänge in Sachen NSA. In ARP I ging Karlsruhe dem Verdacht nach, dass amerikanische und britische Geheimdienste massenhaft die private und geschäftliche Telekommunikation der Deutschen ausgespäht haben. ARP II stand für den Verdacht, dass amerikanische Geheimdienste jahrelang das private Vodafone-Handy der Kanzlerin abgehört haben.
Range entschied sich im letzten Moment anders
ARP I soll zunächst ein offener Prüfvorgang bleiben. ARP II allerdings hat nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR ein BJs-Aktenzeichen bekommen, was in Karlsruhe für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens steht. Zunächst sollen Zeugen vernommen und Behörden nach Erkenntnissen befragt werden. Möglicherweise fallen, so das Kalkül der Ermittler, in diesem Verfahren Informationen an, die auch Auswirkungen auf ARP I haben könnten. Die Einleitung von Ermittlungen wegen des Anfangsverdachts geheimdienstlicher Agententätigkeit ist eine Kehrtwende, die selbst Bundesanwälte verblüfft. Die Fachabteilung für Spionage mit dem Referat S2 ("Spionage andere Länder") war bis zuletzt strikt gegen die Einleitung offizieller Ermittlungen gewesen. Im März 2014 hatten Spezialisten der Bundesanwaltschaft in zwei ausführlichen Vermerken ausführlich dargelegt, warum in beiden Fällen keine Ermittlungen eingeleitet werden sollten. Die Spionage durch eine befreundete Macht sei am Ende juristisch nicht nachweisbar, der Fall sei nicht lösbar, lautete zusammengefasst die Begründung der Strafverfolger.
Die Ermittler haben dann die beiden Vermerke, die auch ausführliche Sachstandsberichte waren, mit ihrem Chef, dem Generalbundesanwalt Harald Range, besprochen. Der 66-jährige Spitzenjurist verlangte immer wieder Veränderungen in der Argumentation, damit das Ergebnis am Ende wasserdicht sei. Was er allerdings nicht verlangte, war die Begründung des Anfangsverdachts der Spionage. Seinen Leuten vermittelte er wohl den Eindruck, auch der Chef wolle keine Ermittlungen.
Als sich die Botschaft von der angeblich geplanten Einstellung vor Wochen erstmals verbreitete und in Focus und Spiegel geriet, ließ Range nach der undichten Stelle suchen und verlangte dienstliche Erklärungen von seinen Leuten, dass sie nicht mit Journalisten gesprochen hätten. In Berlin gab er sich eher bedeckt. Gesprächspartnern in der Hauptstadt vermittelte er den Eindruck, er suche einen Mittelweg, der die eigenen Leute nicht verprelle, aber der Öffentlichkeit doch zu vermitteln sei. Tendenz: eher nicht.
Starke Irritationen löste in Berlin sein Vorschlag aus, man könne doch im Handy-Fall der Kanzlerin erst Ermittlungen einleiten und dann gleich das Verfahren wieder einstellen. Das wären nicht mal symbolhafte Ermittlungen gewesen.
Am Donnerstag vergangener Woche berichteten dann SZ, NDR und WDR unter Verweis auf Kreise der Bundesanwaltschaft, Range wolle nicht ermitteln. Die Redaktionsarbeiten an den Vermerken, die trotz der ständigen Korrekturvorschläge so gut wie fertig waren, schienen fast abgeschlossen zu sein. Bis zum Freitag hatte Range seinen Leuten eine letzte Frist gesetzt. Es ging immer noch nur um Korrekturen und nicht um eine etwaige Einleitungsverfügung.
Das Echo auf die geplante Nichteröffnung der Verfahren war gewaltig. Die Grünen forderten ein Eingreifen von Justizminister Heiko Maas (SPD), damit der Generalbundesanwalt doch Ermittlungen aufnehme. Fraktionsübergreifend gab es heftigste Kritik an dem obersten deutschen Ermittler. Range wurde in Meinungsbeiträgen aufgefordert, doch zu ermitteln. Würde er reagieren? "Mein Sachstand ist, dass er zumindest derzeit keine Ermittlungen einleiten lässt", erklärte Ende voriger Woche Patrick Sensburg (CDU), der Vorsitzender des NSA-Untersuchungsausschusses.
Widerwilliger Sachbearbeiter geht in Pension
Dann gab es doch die Wende, die aus Sicht der meisten Kritiker Ranges eine Volte der Vernunft und aus seiner Sicht vermutlich nur das Ende eines langen Abwägungsprozesses war. Der Spiegel, der am Freitag in Karlsruhe nachfasste, erfuhr dann, der Generalbundesanwalt tendiere zu der Einleitung von Ermittlungen. Daraus wurde dann eine Nachricht, die richtungsweisend war.
Die Fachabteilung wird ihrem Chef auf dem neuen Weg folgen. Allerdings soll ein anderes Referat ran. Der Sachbearbeiter, der auf keinen Fall Ermittlungen einleiten wollte, geht ohnehin bald in Pension. Er wird im November 65 Jahre alt.