Merkel und Obama:Zeit der Zärtlichkeit

Lesezeit: 3 min

Erst die Politik, dann das Persönliche: Lange Zeit fand Angela Merkel keinen Zugang zu US-Präsident Barack Obama - doch mittlerweile verstehen sie sich beinahe blind.

Nico Fried, Washington

Der Präsident ist sehr zufrieden. Man habe einen außergewöhnlich produktiven Tag verbracht, freut sich Barack Obama am Ende der Konferenz zur nuklearen Sicherheit. "Vieles kann nicht von den USA alleine gelöst werden, aber amerikanische Führung ist notwendig", sagt Obama und er meint damit wohl nicht weniger als die Welt und ihre Probleme als Ganzes. Der Fortschritt an vielen Stellen werde nicht in Stunden oder Tagen gemessen, sondern mehr Zeit beanspruchen.

Die Worte des Präsidenten klingen wie: Es gibt viel zu tun, packen wir's an. Und als nächstes steht Angela Merkel auf dem Programm.

Ein Messgerät für die Bedeutung in der Außenpolitik

Kaum eine politische Zweierbeziehung wird in Deutschland traditionell so intensiv beobachtet, interpretiert und bewertet wie die zwischen Bundeskanzler und US-Präsident. Die Beachtung, die der Mann im Weißen Haus der deutschen Regierung schenkt, ist wie ein Messgerät für die Bedeutung Deutschlands in der Außenpolitik.

Das gilt auch, wenn die Beachtung in Verachtung umschlägt, wie bei Gerhard Schröder und George W. Bush - eine Zeit, in der die Deutschen mehr denn je in 60 Jahren Bundesrepublik in Opposition zur amerikanischen Politik standen und sich dabei außerordentlich wichtig vorkamen.

Angela Merkel bemüht sich sehr darum, ihr Verhältnis zu Obama als eine Arbeitsbeziehung erscheinen zu lassen. Pragmatisch, sachlich, vernünftig und möglichst wenig Personenkult. Zweimal hat sie Obama schon im Weißen Haus besucht, jetzt trifft sie ihn nach der Nuklearkonferenz. Man redet am Rande von G-8- oder G-20-Treffen, auf dem Klimagipfel und vielleicht sogar am Samstag, wenn sich Merkel und Obama bei der Trauerfeier für Präsident Lech Kaczynski und die anderen Absturzopfer in Polen schon wieder begegnen werden.

Auch nach dem Treffen in Washington am Dienstagabend ist zu hören, dass man in 45 Minuten eine ganze Reihe Themen besprochen habe: Die Lage in Afghanistan, neue Sanktionen gegen Iran, die Blockade im Nahen Osten. Die griechische Haushaltskrise haben Merkel und Obama genauso gestreift wie den Streit um die Swift-Daten.

Zügig soll es in diesen Gesprächen zwischen Kanzlerin und Präsident zugehen, heißt es, so vertraut, dass manchmal sogar Stichworte reichen. Und Zeit, um mal einen Scherz zu machen, bleibt angeblich auch noch. Über Häftlinge aus Guantanamo sprachen sie nicht. Aber da lässt Merkel Obamas Satz vom Fortschritt, der länger braucht, einfach auch für sich selbst gelten.

Angela Merkel hat in viereinhalb Jahren als Kanzlerin ein geradezu anti-zyklisches Verhältnis zu US-Präsidenten gepflegt. Nach dem Irak-Krieg und dem Ende der Kanzlerschaft Schröders suchte und fand sie einen guten Draht zu George W. Bush, dem in Deutschland vielleicht unbeliebtesten US-Präsidenten aller Zeiten.

Allen Anfeindungen zum Trotz machte sie ganz bewusst politische auch zu persönlichen Fragen, grillte mit Bush ein Wildschwein in Trinwillershagen und bewunderte Bushs eigenhändig angelegten Kräutergarten auf dessen Ranch im texanischen Crawford.

Als sich abzeichnete, dass Barack Obama Präsident werden könnte, sprach Merkel standhaft protokollarisch nur vom Senator aus Illinois, verwahrte sich gegen einen Auftritt Obamas am Brandenburger Tor und erlebte nahezu fassungslos die anschwellende Heilserwartung an den Kandidaten. Nicht an Worten, sondern an Taten wollte sie ihn messen. Mit dem russischen Präsidenten Dmitrij Medwedjew hat sie sich mal über das, was man Obamania nannte, ein bisschen lustig gemacht - zwei eher spröde Politikernaturen, vereint im Unverständnis.

Je mehr der neue US-Präsident jedoch in Schwierigkeiten geriet, je mehr Enttäuschte sich von ihm abwandten, desto deutlicher unterstützte die Kanzlerin Obama. Der geerdete, auf Normalmaß gestutzte Politiker war für Merkel einfacher zu fassen. Einen besseren Präsidenten könne man nicht haben, war eine ihrer Aussagen, wobei die leise Zweideutigkeit der Formulierung möglicherweise nicht unabsichtlich gewählt war.

Als Obama die Gesundheitsreform durchgesetzt hatte, gratulierte ihm Merkel - eine ungewöhnliche außenpolitische Geste für einen innenpolitischen Erfolg. Doch Merkel ahnt, wie viel Kraft das Projekt dem Präsidenten abverlangt, der mit einer Finanzkrise, zwei Kriegen und weiteren Problemen fertig werden muss. Obamas Satz, dass Amerika nichts alleine lösen kann, aber führen muss, würde Merkel sofort unterschreiben.

Erst kommt die Politik, später Persönliches

Merkel und Obama haben beide ihr Verhältnis von allzu viel Symbolismus freigehalten. Erst kommt die Politik, später vielleicht Persönliches. Aber Merkel befindet sich da nicht im Rückstand zu Staats- oder Regierungschefs anderer Mittelmächte. Sie selbst sieht die Bedeutung Deutschlands in einer Mischung aus Selbstbewusstsein und Realitätssinn. Aus ihrer Sicht sind die USA im Iran-Konflikt, in Afghanistan oder im Nahen Osten auf Europa angewiesen, wobei sie gelegentliche Forderungen, gerade Deutschland dürfe hie und da noch mehr machen, geflissentlich ignoriert.

Andererseits hat die Kanzlerin keine Illusionen, dass Europa für die USA zum Beispiel in Relation zu China an Bedeutung verliert. Um dem entgegenzuwirken will Merkel gemeinsam mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und dem britischen Premierminister Gordon Brown regelmäßige Videokonferenzen mit Obama einführen. Vor dem Klimagipfel in Kopenhagen reichte ein solches Gespräch nicht, um einen Erfolg vorzubereiten. Mittlerweile hat das Quartett weitere Male miteinander konferiert. Praktisch ist das für Merkel, Sarkozy und Brown, weil drei nicht mehr ganz so wichtige europäische Länder zusammen dann doch wieder dreimal so wichtig sind wie eins - und Obama kommt sicher entgegen, dass er nicht alles dreimal erzählen muss.

© SZ vom 15.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: