Menschenrechte:Chodorkowski nach Freilassung in Berlin

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Moskau/Berlin (dpa) - Russlands berühmtester Gefangener, Kremlkritiker Michail Chodorkowski, ist frei. Der 50-Jährige wurde am Freitag nach zehn Jahren Haft aus einem russischen Straflager entlassen und reiste direkt nach Berlin.

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Moskau/Berlin (dpa) - Russlands berühmtester Gefangener, Kremlkritiker Michail Chodorkowski, ist frei. Der 50-Jährige wurde am Freitag nach zehn Jahren Haft aus einem russischen Straflager entlassen und reiste direkt nach Berlin.

Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher nahm ihn am Nachmittag auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld in Empfang.

Chodorkowskis Erzfeind, Präsident Wladimir Putin, hatte den einst reichsten Mann Russlands erst am Vormittag mit einem Ukas begnadigt. Putin machte humanitäre Gründe für die Freilassung seines seit 2003 inhaftierten Gegners geltend. Chodorkowski hätte regulär nach zwei international umstrittenen Urteilen im August 2014 wieder in Freiheit kommen sollen.

Chodorkowski flog sofort nach Berlin - in einem Firmenflugzeug, das Genscher organisiert hatte. An der Ausreise waren auch die deutsche Botschaft in Moskau und das Auswärtige Amt beteiligt. Die russische Strafvollzugsbehörde teilte mit, Chodorkowski habe um die Ausreise nach Deutschland gebeten, weil dort seine krebskranke Mutter behandelt werde. Tatsächlich hält sich Marina Chodorkowskaja zurzeit aber wieder in Russland auf.

Laut Genscher will die alte Dame nun am Samstag nach Berlin zurückkehren. „Ich glaube, dass er jetzt durchatmen wird und darauf warten wird, dass er morgen seine Familie in die Arme schließen kann“, sagte der frühere Außenminister den ARD-„Tagesthemen“. Er habe Chodorkowski nicht gefragt, welche weiteren Pläne und Absichten er habe. „Es geht ihm den Umständen entsprechend gut.“

Genscher hatte sich hinter den Kulissen schon länger um die Freilassung Chodorkowskis bemüht und dazu nach eigenen Angaben auch zweimal Putin zu Gesprächen getroffen. Das Gnadengesuch Chodorkowskis habe er mit einem eigenen Brief weitergereicht, sagte er.

Ein Begnadigungsgesuch hatte der 50-Jährige frühere Unternehmer stets abgelehnt, weil damit nach Kremlangaben ein Schuldeingeständnis verbunden ist. In einer ersten Mitteilung nach seiner Freilassung erklärte Chodorkowski: „Die Frage eines Schuldeingeständnisses hat sich nicht gestellt.“ Er habe sich am 12. November an Putin gewandt mit der Bitte um Gnade angesichts familiärer Umstände.

Chodorkowski, der frühere Chef des einst größten russischen Ölkonzerns Yukos, war unter anderem wegen Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Diebstahls verurteilt worden.

Bundespräsident Joachim Gauck und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) begrüßte die Freilassung. Über Regierungssprecher Steffen Seibert würdigte Merkel auch die Bemühungen Genschers in dem Fall. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sprach von einer „guten Nachricht“. Die Gespräche mit Russland über Rechtsstaat und Menschenrechte müssten aber auch in den nächsten Jahren mit Engagement weitergeführt werden.

Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton erklärte, die Europäische Union habe den Fall seit mehr als zehn Jahren verfolgt und „unaufhörlich ihre Besorgnis über mutmaßliche Verstöße in den Gerichtsverfahren zum Ausdruck gebracht“. Diese spiegelten „systematische Probleme der russischen Justiz“ wider.

Chodorkowski, der die zunehmende Korruption unter Putin kritisiert und auch die Opposition finanziert hatte, hält die Verfahren bis heute für politisch gesteuert. Dass er nun frei ist, gilt als beispielloses Zugeständnis des Kremls an den Westen vor den Olympischen Winterspielen, die am 7. Februar in Sotschi am Schwarzen Meer eröffnet werden.

Russland sah sich zuletzt zunehmend wegen der Menschenrechtslage unter Druck. Mehrere Politiker, darunter US-Präsident Barack Obama und Bundespräsident Joachim Gauck, hatten angekündigt, auf Reisen in den Schwarzmeerort Sotschi zu verzichten.

Putin hatte am Donnerstag überraschend von einem Gnadengesuch Chodorkowskis gesprochen. Die Zeitung „Kommersant“ berichtete, dass sich Geheimdienstmitarbeiter mit Chodorkowski im Straflager getroffen hätten, um den Straferlass auf den Weg zu bringen. Auch dessen Anwälte wurden von der Nachricht überrascht.

Menschenrechtler lobten Putins Schritt und boten Chodorkowski eine führende Rolle beim Aufbau der Zivilgesellschaft in Russland an.

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