Menschenrechte:Analyse: Chodorkowski kämpft seit zehn Jahren um seine Freiheit

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Moskau (dpa) - Wie in einem Actionfilm stürmen vor zehn Jahren Unformierte das Flugzeug des Milliardärs Chodorkowski. Sie führen den damals reichsten Mann Russlands als Verbrecher ab. Jetzt soll der schärfste Gegner von Kremlchef Putin ganz plötzlich freikommen.

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Moskau (dpa) - Wie in einem Actionfilm stürmen vor zehn Jahren Unformierte das Flugzeug des Milliardärs Chodorkowski. Sie führen den damals reichsten Mann Russlands als Verbrecher ab. Jetzt soll der schärfste Gegner von Kremlchef Putin ganz plötzlich freikommen.

Ungebrochen wie ein Widerstandskämpfer blickt der Kremlgegner Michail Chodorkowski auf ein Jahrzehnt in Haft zurück. In seinem Straflager nahe der finnischen Grenze im eisigen russischen Norden wartet der berühmteste Häftling des Landes auf seine Freiheit. Nach jahrelanger Feindschaft mit Kremlchef Wladimir Putin soll er nun freikommen.

Im Vorbeigehen lässt Putin am Donnerstag die Journalistenschar wissen, dass „Michail Borissowitsch“, wie er ihn höflich nennt, ein Gnadengesuch gestellt habe. Er wolle das unterschreiben. Immerhin habe der Mann eine „ordentliche Zeit“ gesessen, sagt Putin - und klingt, als habe er selbst genug von der Fehde, die immer auch einen Schatten legte auf den Investitionsstandort Russland.

Die umstrittene Haft gilt bis heute als Abschreckung für jeden, der sich Putin in den Weg stellt. Einst als mächtiger Ölboss und selbst Teil des Machtsystems bot Chodorkowski vor laufenden Fernsehkameras Putin einst die Stirn. Er kritisierte die immer schlimmere Korruption im größten Land der Erde.

Sahen viele seiner Landsleute Chodorkowski lange Zeit als zwielichtigen Multimilliardär, der in der 1990ern praktisch über Nacht zu Reichtum kam, so wandelte sich dieses Bild in den Jahren seiner Haft. Der 50-Jährige gilt heute als eine Galionsfigur für all diejenigen Russen, die sich nach mehr demokratischen Freiheiten sehnen.

Der frühere Oligarch, inzwischen mit internationalen Preisen bedacht, setzt sich in seinen Schriften, Büchern und Briefen seit langem auch für eine Einigung der zersplitterten Opposition ein. Charisma und ausgeprägte Führungsqualitäten bescheinigt ihm etwa die Journalistin Natalija Geworkjan. Gerade das mache Putin Angst.

Chodorkowski und Geworkjan zeichnen in dem als Briefwechsel angelegten Buch „Mein Weg“ nach, wie der Unternehmer als Unterstützer der Opposition bei Putin einst in Ungnade fiel. Chodorkowskis Pläne, eine selbstbewusste Zivilgesellschaft aufzubauen, endeten jäh. Das war am 25. Oktober 2003, als Uniformierte des Inlandsgeheimdienstes FSB seinen Privatjet in Sibirien stürmten und den Oligarchen festnahmen.

Sein Widerstand gegen das System Putin kosteten Chodorkowski am Ende nicht nur seine Freiheit, sondern auch seinen milliardenschweren Ölkonzern Yukos. Nutznießer der Zerschlagung waren kremltreue Unternehmen. Anders als viele andere verzichtete Chodorkowski auf eine Flucht ins Ausland, um vor Gericht zu kämpfen.

In zwei umstrittenen Strafverfahren wegen Steuerbetrugs, Geldwäsche und zuletzt noch Öldiebstahls verhängten Richter eine Gesamtstrafe von 14 Jahren, die schrittweise reduziert wurde. Putin hatte Chodorkowski zeitweilig gar mit Auftragsmorden in Verbindung gebracht, als er meinte, an den Händen seines Gegners klebe Blut. Der Beschuldigte hatte diese wie alle Vorwürfe als Lügen zurückgewiesen.

Gegen die auch von der Bundesregierung und den USA kritisierten Urteile kämpft der gelernte Chemiker seit längerem auch vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof. Nur teils mit Erfolg. Dabei geht es Chodorkowski vor allem um einen Nachweis, dass ihn die Strafjustiz aus politischen Gründen verfolge. Bestätigt haben das die Straßburger Richter bis heute nicht. Gleichwohl haben sie immer wieder Verstöße gegen seine Grundrechte festgestellt. Das letzte Wort in Straßburg ist aber noch lange nicht gesprochen.

Ob und wie der Putin-Gegner künftig in Freiheit agieren kann, bleibt abzuwarten. Die kremlkritische Zeitschrift „The New Times“ meinte, dass Chodorkowski wohl kaltgestellt bleibe. Ein Gesetz verbiete es „Schwerverbrechern“ wie ihm viele Jahre, bei Wahlen selbst zu kandidieren.

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