Mein Leben in Deutschland:Das Gefängnis in der Nachbarschaft

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Ein Weihnachtsbaum steht in einem Innenhof der Jugendstrafanstalt in Berlin. (Foto: dpa)

Haftanstalten in Syrien sind furchterregende und verstörende Orte. Gut, dass man den Insassen in Deutschland sogar mal ein Lächeln schenken kann. Eine neue Folge von "Mein Leben in Deutschland".

Kolumne von Yahya Alaous

Einer meiner syrischen Freunde lebt jetzt direkt neben einem Frauengefängnis in Berlin. Bislang habe ich ihn erst einmal besucht, und hätte er mir nicht gesagt, dass der benachbarte Bau ein Frauengefängnis ist, ich hätte es nicht bemerkt. Ich sah keine besonderen Sicherheits- oder Schutzmaßnahmen rings um das Gebäude, keine hohen Mauern, keine schwarzen großen Tore, keine Checkpoints und auch niemanden mit einer Waffe.

Es leben nicht sehr viele Frauen in dem Gefängnis, sagt mein Freund. Abends scheint nur in wenigen Fenstern des riesigen Gebäudes Licht. Am Wochenende, so erfuhr ich, scheint noch weniger Licht: dann haben viele Ausgang, besuchen ihre Familien, oder bilden sich fort.

In meiner Heimat gibt es die Idee vom rehabilitierenden Gefängnis nicht. Ein syrischer Knast sieht vollkommen anders aus als ein deutscher: wie eine schmuddelige, heruntergekommene Wegschließanstalt. Das soll nicht bedeuten, dass das Regime nicht sehr viel Geld für die Gefängnisverwaltung bereitstellt - die Kerker sind eine der wichtigsten Säulen des Assad-Regimes. Ohne furchteinflößende Gefängnisse wäre keine (arabische) Diktatur in der Lage, ihre Macht zu erhalten und auszuweiten.

Gefängnisse in Syrien sind verstörende Orte

Der Gedanke, dass Gefängnisse die Insassen im Sinne einer preußischen "Besserungsanstalt" zu besseren Bürgern erziehen, gilt in Syrien als absurd. Die Gefängnisse in meiner Heimat wurden errichtet, um Gefangene knallhart zu bestrafen und in Gänze ihrer Freiheit zu berauben. Jeder Syrer und jede Syrerin, die einfährt, verlässt das Gefängnis - wenn überhaupt - in einem schlechten physischen und psychischen Zustand.

Gefängnisse in meinem Land, das sind verängstigende und verstörende Orte. Sie sind isoliert, voll von Grausamkeit und Hass. Die Gefangenen hoffen, den nächsten Tag zu überleben oder wenigstens einmal nicht mit knurrendem Magen einschlafen zu müssen. Viele träumen auch einfach von einem heißen Bad mit Seife. Die meisten wünschen sich einfach Ruhe und Stille, die es nie zu geben scheint. Ständig ertönen die herzzerreißenden Schreie der Verhöre, der Folter und andere fürchterliche Geräusche durch die langen, dunklen Knastgänge.

In meinem Land haben Gefängnisse keine Nachbarn. Mein Freund in Berlin sagte mir, er habe sich an das Gebäude nebenan gewöhnt. Er findet es auch nicht mehr ungewöhnlich, dort zu leben. Man kann mit den Nachbarinnen zwar nicht einfach mal einen Kaffee trinken, sich nicht gelegentlich über das Wetter austauschen. Aber es sei schon möglich, unbekannterweise mal einen netten Gruß oder ein Lächeln reinzuwerfen.

Ob die Träume, die im Haus meines Freundes geträumt werden, andere Träume sind als die, die im Gefängnis geträumt werden? Ich persönlich denke, dass die Träume der Gefangenen sich nicht von den Träumen der Menschen in Freiheit unterscheiden. Als ich im syrischen Gefängnis saß, träumte ich immerzu von den wundervollsten, duftenden Speisen und davon, dass nur die allerschönsten Frauen mich besuchten.

Übersetzung: Jasna Zajcek

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