Marokko:Wahlsieg der gemäßigten Islamisten

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Deutlicher Wahlsieg für die gemäßigten Islamisten in Marokko: Die PJD zieht als stärkste Partei in das neue Parlament ein und wird wohl den Premier stellen. Parteichef Benkirane versicherte nach der Wahl, niemand werde die persönlichen Freiheiten in Marokko in Frage stellen: "Wir sind nicht für die Einführung eines religiösen Regimes oder des Kalifats, wie manche behaupten."

Rudolph Chimelli

Aus den Parlamentswahlen in Marokko ist die PJD, die gemäßigt islamistische Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung, als stärkste Kraft hervorgegangen. Sie wird voraussichtlich den Premier stellen. Mit 107 von 395 Sitzen zieht die Partei als stärkste Kraft in das neue Parlament ein, wie das Innenministerium am Sonntagabend in Rabat bekannt gab. Die PJD verfehlte allerdings die absolute Mehrheit und muss eine Regierungskoalition bilden.

An zweiter Stelle folgt die konservative Istiklal-Partei mit 60 Mandaten. Ihr Vorsitzender, der derzeitige Premier Abbas al-Fassi, hat sich bereit erklärt, Gespräche über eine Zusammenarbeit aufzunehmen. Er nannte das Wahlergebnis "einen Sieg der Demokratie". Auch die sozialdemokratische USFP ist ein möglicher Koalitionspartner. Nach der Verfassungsänderung, die König Mohammed VI. in diesem Sommer proklamiert hat, muss der Monarch den Regierungschef aus der stärksten Gruppierung auswählen.

An der Wahl beteiligten sich nur 45 Prozent der Berechtigten. Das waren zwar mehr als jene 37 Prozent der letzten Parlamentswahl vor vier Jahren, aber weit weniger als jene 72 Prozent, die noch im Juli zur Abstimmung gegangen waren, um die Verfassungsänderungen zu billigen. Zum Boykott der Wahl hatten sowohl die Protestbewegung des 20. Februar, die vorwiegend aus Intellektuellen, arbeitslosen Akademikern, Studenten und radikalen Islamisten besteht, als auch die nur tolerierte radikal-islamistische Massenbewegung für Gerechtigkeit und Wohlverhalten des Scheichs Abdessalam Yassine aufgerufen.

Der Chef der PJD, Abdelilah Benkirane, versicherte nach der Wahl, niemand werde die persönlichen Freiheiten in Marokko in Frage stellen. "Wir sind nicht für die Einführung eines religiösen Regimes oder des Kalifats, wie manche behaupten. Das wäre absurd, wir leben im Jahr 2011."

Von seiner früher heftigen Kritik an den im Lande häufigen Sommer-Festivals, die der islamischen Kultur widersprächen, war er schon vor der Wahl abgerückt. Auch von einem Alkoholverbot spricht die PJD derzeit nicht. Die Islamisten-Partei hat einen spektakulären Aufstieg hingelegt. Noch bei den Wahlen von 1997 errang sie nur acht Mandate, fünf Jahre später - erstmals unter dem Monarchen Mohammed VI. - waren es dann 42, im noch amtierenden Parlament schließlich 47. Während sie bisher ihren Rückhalt in den Städten hatte, scheint ihr diesmal auch auf dem Land der Durchbruch gelungen zu sein.

Die PJD sprach viele Wähler an, weil sie nicht mit der in Marokko endemischen Korruption belastet ist und die krassen Gegensätze zwischen Reichtum und Elend zu vermindern verspricht. Ein Viertel der 33 Millionen Marokkaner lebt in krasser Armut, die Arbeitslosigkeit junger Leute beträgt 31 Prozent.

Der König ging mit seinem Bruder Moulay Rachid in Rabat zur Wahl. Während des Wahlkampfs hatte er sich jedoch nicht gezeigt. Der Ausgang der Wahl, an der sich 31 Parteien beteiligten, dürfte ihm wenig Sorgen bereiten. Abermals gibt es im Parlament viele Fraktionen, von denen die meisten nur ein paar Dutzend Sitze haben. Und ein islamistischer Premier dürfte sogar für eine gewisse Zeit den Reformdruck der Straße vermindern.

© SZ vom 28.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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