Marine Le Pen:Der Front Normal

Lesezeit: 4 min

Wie es die Parteichefin geschafft hat, ihrer fremdenfeindlichen Partei eine bürgerlich-gemäßigte Fassade zu verpassen - und wie ihr die jüngsten Terroranschläge dabei halfen.

Von Christian Wernicke

Am Tag danach gibt sich die Siegerin gelassen. "Nein," sagt Marine Le Pen, sie sei "überhaupt nicht überrascht" von ihrem Triumph. Lächelnd beteuert die Parteichefin des Front National (FN), sie habe "genau gespürt, wie das Vertrauen der Menschen wächst". Außerdem kannte sie die Umfragen, die allesamt prophezeit hatten, was dann am Sonntagabend tatsächlich über Frankreich kam: Le Pens rechtsextreme Partei erzielte im ersten Durchgang der Regionalwahl ihr landesweit bestes Ergebnis aller Zeiten. Seither variiert Le Pen jene drei Sätze, mit denen sie schon in der Wahlnacht einen Jubelsturm ihrer Anhänger ausgelöst hatte. "Das Volk hat gesprochen. Frankreich erhebt sein Haupt", sagte sie, um dann eine Zeitenwende zu verkünden: "Die nationale Bewegung ist nunmehr unbestreitbar die erste Partei Frankreichs."

Seit 2011 hat die Parteichefin geschickt Programmpunkte korrigiert

Erste Wahlanalysen weisen Spuren, woher der Zulauf kommt. Wieder waren es vor allem die einfachen Leute - Malocher, kleine Angestellte, Handwerker und Kleinhändler - außerhalb der Metropolen, die überdurchschnittlich oft für den FN votierten. Das ist nicht neu, der FN hat sich längst als Frankreichs führende Arbeiterpartei etabliert. Hinzu kommt, dass sich die Populistin Marine Le Pen als geschickte Krisen- und Kriegsgewinnlerin erwies. Frédéric Micheau, Direktor für Meinungsforschung beim Institut Opionway, will es so nicht sagen. Der Sozialwissenschaftler spricht lieber von "einem günstigen Kontext" für die Rechte. Aber: "Die Flüchtlingskrise vom Sommer und die Attentate vom 13. November in Paris haben dem FN zweifellos zwei oder drei Prozentpunkte an den Urnen beschert." Das machte am Sonntag den Sieg aus, mit 29,8 Prozent.

Nur, das allein erklärt nicht, wie es dem Front National binnen fünf Jahren gelingen konnte, sein Ergebnis im Vergleich zur vorigen Regionalwahl 2010 fast zu verdreifachen. Das ist der wahre Triumph der Marine Le Pen: Die 47-jährige Tochter des ewig polternden Parteigründers Jean-Marie Le Pen hat den Front zu einer salonfähigen Partei gemacht. Zum "Front Normal". Diese Strategie einer Normalisierung der Extremen verfolgt Marine Le Pen seit mehr als einem Jahrzehnt. Also lange bevor sie 2011 Parteivorsitzende wurde.

Auslöser war der bis dahin bitterste Moment der Partei. Am 5. Mai 2002 wählten die Franzosen einen Präsidenten und fertigten Vater Le Pen, der es überraschend in die Stichwahl geschafft hatte, mit 17,8 Prozent ab. Umfragen aus jener Zeit belegen, dass nicht einmal die Hälfte aller FN-Anhänger Le Pen wirklich als Präsidenten wollte. Die Tochter, sagt der Politologe und langjährige FN-Experte Sylvain Crépon, habe Lehren aus der Schmach von 2002 gezogen: "Sie hat damals einen Kreis von Vertrauten um sich geschart und die Gründe des Scheiterns schonungslos analysiert." Das Ergebnis sei jener Zwei-Stufen-Plan gewesen, den sie seit 2011 umgesetzt habe: Eine "Dédiabolisation", also eine "Entteufelung" von Personal und Programm, gepaart mit einer Professionalisierung der Partei.

Der Plan scheint, in der Wahrnehmung von Millionen Franzosen jedenfalls, gelungen zu sein. Seit 2011 werden Kandidaten, die sich offen antisemitisch oder fremdenfeindlich äußern, abgestraft. Spektakulärer Höhepunkt dieser Entdämonisierung war dieses Jahr das Drama um den Verstoß und Parteiausschluss des eigenen Vaters.

Seit 2011 hat Le Pen zudem geschickt Programmpunkte korrigiert, die dem alten Front National regelmäßig Vorwürfe von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit eingebracht hatten. So wurden 2011 die "nationalen Präferenzen" aus FN-Papieren getilgt, die Arbeit, Wohnung oder Sozialleistungen rechtsverbindlich nur Franzosen zubilligen wollten. Als neue Sprachregelung erfand der FN die "nationale Priorität". Diese Formel war - weil sie etwa Kindergeld auch für Familien von EU-Bürgern erlaubte - juristisch weniger anfechtbar.

Längst beeinflusst sie auch das Denken vieler Bürger, die sie nicht wählen

Derweil versicherte Le Pen intern, der Wortwechsel bedeute "keinerlei Veränderung des politischen Kurses". Dass der Front National auf illegale Zuwanderer und auf die Muslime im Land zielte, wusste eh jeder. Nur attackierte Le Pen sie nun als Verteidigerin der Republik. Frankreichs Laizismus verbiete, dass Muslime auf der Straße beteten oder in der Schulkantine ein Ersatzessen bekämen, wenn Schweinefleisch auf dem Speiseplan steht.

An diesen Kanon der Mäßigung halten sich auch die Bürgermeister, die seit den Kommunalwahlen im März 2014 als FN-Kandidaten ein Dutzend Rathäuser eroberten. Sie senken Steuern und Ausgaben, streichen Sozialzentren oder linken Vereinigungen Zuschüsse, blockieren den Bau von Moscheen. In einer Umfrage sagten 60 Prozent der FN-regierten Bürger, sie würden ihren "Monsieur le Maire" wiederwählen. Es sind meist kleine, höchstens mittelgroße Städte, in denen das Front-Milieu gedeiht, wo Le Pen am Sonntag reüssierte: In Villers-Cotterêts in der Picardie (48,7 Prozent), in Hénin-Beaumont (59,4 Prozent) oder in Calais, wo jeder zweite Bürger angesichts des "Neuen Dschungels" mit 6000 Flüchtlingen in den Dünen am Stadtrand FN wählte.

Längst beeinflusst Marine Le Pen auch das Denken vieler Franzosen, die nicht FN wählen. Im Sommer sagten in einer Umfrage drei von fünf Franzosen, der Front sei in ihren Augen "ausländerfeindlich" und "eine Gefahr für die Demokratie". In derselben Umfrage aber antworteten 85 Prozent, die Nation brauche endlich "einen wirklichen Staatschef, der Ordnung schafft" im Land. 67 Prozent beklagten, es gebe "zu viele Ausländer". Und 61 Prozent bedauerten, man fühle sich im eigenen Land "nicht mehr zu Hause." Die Angst vor Überfremdung gärt schon lange, gerade in den Vierteln, wo die kleinen Leute wohnen.

Eine feste Wählerbindung, so glaubt der Sozialforscher Jérôme Fourquet, sei dann im Januar entstanden - mit dem islamistischen Anschlag auf die Satirezeitung Charlie Hebdo. "Das war ein regelrechter Katalysator", glaubt der Direktor für Meinungsforschung des Ifop-Instituts, "das hat alle Befürchtungen bestätigt." Und den Zorn auf die politische Klasse genährt, die sich um die Ängste einfacher Franzosen scheinbar nicht schere. Früher, so Fourquet, hätten die Leute getuschelt, der FN habe vielleicht recht: "Inzwischen aber sagen sie - Le Pen denkt wie wir!" Die Flüchtlingswelle aus Nahost, dann die Anschläge im November - "das hat dieses Weltbild nochmals bestätigt." Marine Le Pen sieht dem zweiten Wahlgang am Sonntag "mit Zuversicht" entgegen.

Marine Le Pen triumphierte am Tag nach der Abstimmung. Ihre Partei konnte mehr als sechs Millionen Wähler für sich gewinnen. Nun gilt sie vielen als Anwärterin auf das höchste Staatsamt. (Foto: Pascal Rossignol/Reuters)
© SZ vom 08.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: