Königin Marie Antoinette:Party-Girl, Puppe, Revolutionsopfer

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Hinrichtung der Marie Antoinette 1793: Im Herbst wird der Königin eine große Ausstellung in Paris gewidmet. (Foto: gemeinfrei)

Geboren als österreichische Erzherzogin, zwangsverheiratet mit Ludwig XVI., geköpft von Revolutionären: Über das teilweise skurrile Andenken an die französische Königin.

Von Martin Hecht

Wo ist sie eigentlich? Das fragen sich immer wieder Touristen, die in Paris die Conciergerie besuchen und dort Frankreichs legendärer Königin Marie Antoinette einen Besuch abstatten wollen. Früher saß sie als verschleierte Schaufensterpuppe in ihrer Zelle und wartete noch immer auf ihre Hinrichtung. Man hat sie nach einer Renovierung der Räume einfach entsorgt. Jetzt fehlt sie.

Es gibt Orte, die führen gleichsam ins Herz einer Stadt, einer Nation, in ihre Seele. "Eine Reise in das Innere von Wien" hat Gerhard Roth 1991 geschrieben und landete im "Grauen Haus", wo die Guillotine stand. Der Tower in London ist solch ein Ort, die Katakomben in Rom fallen einem ein. Und in Paris?

Für viele war und ist ein solch magischer Ort die Zelle der Maria Antonia Josepha Johanna von Österreich-Lothringen, genannt Marie Antoinette, Königin von Frankreich, in der Conciergerie auf der Île de la Cité, dem ältesten Teil von Paris.

Die Anklageschrift sprach abfällig von "der Österreicherin" und nannte sie "die Geißel und Blutsaugerin der Franzosen"

Dort also, wo einst der mittelalterliche Königspalast stand, hat sie die letzten 77 Tage ihres Lebens verbrachte, bevor sie am 16. Oktober 1793 auf der Place de la Révolution hingerichtet wurde.

Dieses dunkle, feuchte halb unterirdische Verlies war einst nicht nur das Zent-rum des Museums der französischen Revolutionsgeschichte, sondern auch eine Pilgerstätte. Viele Besucher standen hier geduldig Schlange vor jenem hölzernen Gitter, durch das man einen kurzen Blick in diese trostlose Zelle erhaschen konnte. Dort schien sie tatsächlich zu sitzen.

Auf einem einfachen Holzstuhl, vor einem Tisch mit einem Kruzifix, das Gesicht vom Betrachter abgewandt, bewacht von einem Gendarm, der sie selbst in der dramatischen Intimität dieses kalten Lochs keine Sekunde aus den Augen ließ. Kein Wunder, hatte sie doch bis zuletzt mehrfach, wenn auch vergeblich, versucht, mithilfe ihrer letzten Verbündeten und Freunde dieser Zelle und ihrem Tod auf dem Schafott zu entkommen.

Diese Inszenierung, so unbeholfen sie auch ausgeführt war, sie funktionierte - vielleicht gerade deswegen: Man begann unweigerlich zu flüstern, näherte sich diesem Fenster, so als wolle man sie nicht in der Andacht stören. Denn es schien, als sei sie ins Gebet vertieft, eine Bibel in der Hand.

Die arme Marie Antoinette, die Geläuterte, die durch das lange Leiden in der Haft von jenem verschwenderischen Party-Girl, das in Versailles hundert rauschende Feste gefeiert hatte, während das Volk hungerte, zu einer demütigen, bescheidenen und verantwortungsbewussten Frau gereift war.

Da saß sie nun in ihrer ganzen Einsamkeit wie ein Häufchen Elend: Marie Antoinette bekam den ganzen Zorn des Revolutionsterrors zu spüren. Ihr Schicksal hat sie bis zum Ende in einer Gefasstheit getragen, die ihr niemand zugetraut hätte, obwohl sie keine wirklich juristisch messbare Schuld auf sich geladen hatte, außer jener, die Königin zu sein. Am Ende blieb ihr noch, Haltung einzunehmen.

Natürlich war das eine Schaufensterpuppe, die man in eine schwarze Witwentracht gehüllt hatte Aber niemand hatte einen Zweifel daran: Marie Antoinette, oder zumindest ihr Geist, war präsent in diesem düsteren Raum, fast mit den Händen zu greifen. Diese so herrlich angestaubte, Patina tragende Inszenierung hat unseren Vorstellungen Nahrung gegeben, wie es um die letzten Tage dieser schillernden Figur bestellt war.

Orte, an denen Menschen großes Unrecht oder Unglück widerfahren ist, haben immer schon eine ganz eigene Faszination ausgeübt. Es ist kein Wunder, dass die Zelle in der Conciergerie nicht nur zu einer musealen Stätte der französischen Revolutionsgeschichte wurde, sondern zu einem Wallfahrtsort.

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Nicht nur für die Royalisten, sondern für alle, denen dieses Schicksal mit seiner maximalen Fallhöhe ans Herz ging. Bis zuletzt gab es hier Menschen, die, um Marie Antoinette zu gedenken, im Vorraum der Zelle Grablichter anzündeten oder ein paar Rosen niederlegten. Der Ort war lebendig, er hatte eine Gegenwart.

2017 endete diese Tradition. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt hat man Marie Antoinette sang- und klanglos verschwinden lassen, die Puppe weggeschafft, die Räume neu eingerichtet und sie von all den Sentimentalitäten bereinigt, die hier so lange wohlgelitten waren.

Das zuständige Centre des monuments nationaux war davon überzeugt, dass es an der Zeit sei, die Besuchsräume des Revolutionsmuseums neu zu gestalten. Es ging den Ausstellungsmachern um ein besseres Verstehen von Ursachen, Ereignissen und Schauplätzen der Revolution, einen "anekdotischen Approach" wolle man vermeiden.

Und deswegen gibt es nun keine Puppe, keinen abgedunkelten Kerker, kein ehrfürchtiges Verstummen der Menschen mehr, die auf die verhüllte Gestalt deuten, dabei die Luft anhalten oder gar das Kreuz schlagen.

Unsere Zeit neigt dazu, zu dokumentieren, zu entzaubern. Auch im Museum. Meist mit Erkenntnisgewinn und daher mit gutem Recht. Inzwischen, nach der Umstrukturierung, scheint auch dieser Ort auf der Höhe der modernen Museumspädagogik angekommen zu sein, die so gerne auf manipulative Inszenierungen verzichtet, um der Historie gerecht zu werden.

Aber wird man so auch der ganzen Geschichte der Marie Antoinette gerecht? Gehört zu ihr nicht immer beides: die Darstellung der historischen Fakten, aber auch das Zulassen der Emotionen, Projektionen und Rituale, die diese Fakten bis heute auslösen?

Welcher Gesichtspunkt hat Vorrang: jener der Geschichtswissenschaft, unter dem Marie Antoinette vor allem eine historische Figur auf dem Schachbrett der europäischen Machtpolitik ihrer Zeit erscheint? Oder jener des Volks oder jenes Teils von ihm, der diese Frau als eine der großen tragischen Gestalten der Weltgeschichte wahrnimmt und versucht, sie "von innen" zu begreifen?

Sicher ist, dass sich Menschen schon immer nicht allein für den historisch korrekten Zugang interessierten, den ihnen akademische Museumsmacher oder nationale Geschichtsdeuter verordnet haben, sondern zugleich ganz eigene Aneignungsformen entwickelt haben, mit einer ganz eigenen Legitimität "von unten" gewissermaßen.

Was ist da "bedeutsamer", was hat da Vorrecht? Es gibt keine Antworten in den Kategorien "wahr" oder "falsch". Es gibt nur Entscheidungen. Für das eine oder das andere. In der Conciergerie hat man sich für mehr Nüchternheit entschieden.

Königin Marie Antoinette von Frankreich, 1775, nach Jean-Baptiste André Gautier-Dagoty (1740-1786). (Foto: gemeinfrei)

Am Ende ist eine von der Verehrung Marie Antoinettes bereinigte Conciergerie vielleicht eher der nationalen Geschichtsschreibung anschlussfähig, als wenn man diese irgendwie immer irritierende, gebürtige Österreicherin in einem so aufwühlenden Andenken bewahren würde, das auch auf die Unmenschlichkeit und den Terror der Französischen Revolution verweist.

Geht es am Ende vielleicht sogar um eine Art geschichtspolitisch motivierte Korrektur? Die Ausstellungsmacher bestreiten eine politische Entscheidung. Man habe die Räume einfach nur überholt und modernen Standards angepasst. Mehr nicht.

Wer war diese Marie Antoinette wirklich? Für ihren öffentlichen Ankläger, den Untersuchungsrichter Antoine Fouquier-Tinville, einen kalter Fanatiker, der wie so viele seiner Mitstreiter bald selbst dem Fallbeil der Revolution zum Opfer fallen sollte, war "l'Autrichienne", wie man sie verächtlich nannte, "die Geißel und Blutsaugerin der Franzosen". So schrieb er es in seine Anklageschrift, die am 14. Oktober 1793 verlesen wurde.

Und für das Volk? Sie war wahlweise eine Hure oder eine Heilige, eine Märtyrerin oder eine Sünderin. Je nach Stimmung, Zeitgeist, Epoche. Sie schien als Projektionsfläche zu taugen, immer auch zum gänzlich Entgegengesetzten - und so wurde sie vereinnahmt.

Einer der wenigen, die ihr wirklich gerecht wurden, war bezeichnenderweise kein Historiker, sondern ein Schriftsteller, ein österreichischer obendrein: Stefan Zweig, der in seiner mitreißenden Biografie "Marie Antoinette. Bildnis eines mittleren Charakters" von 1932 das Psychogramm dieser Frau schuf. Er porträtierte sie darin als eine, die schon früh eine Gefangene war, seit sie im Alter von vierzehn Jahren mit Ludwig XVI. zwangsverheiratet wurde.

Wo die Puppe von Marie Antoinette nun geblieben ist, weiß keiner. Die Sprecherin des Centre des monuments nationaux mutmaßt mit einem Lachen in der Stimme, vielleicht habe man sie einfach weggeschmissen. Gut möglich, dass die Figur der Königin irgendwo auf dem Speicher unter dem Dach der Conciergerie in einer Kiste liegt.

Neue Ausstellung im Herbst

Doch die Geschichte der Marie Antoinette lässt sich nicht entsorgen. Sie lässt uns keine Ruhe. Auch den Verantwortlichen in Paris nicht. Die Umbaumaßnahmen in der Conciergerie, an dem Ort, wo zwischen 1793 und 1795 insgesamt 2700 Todesurteile gefällt wurden, sind noch lange nicht abgeschlossen. Das Museum soll in den nächsten Jahren vergrößert werden. Aber dies ist nur der erste Schritt in einem größeren Umgestaltungsprogramm, der den ganzen frühmittelalterlichen Palais Royal betrifft.

Und Marie Antoinette? Wo findet sie ihren Platz?

Für diesen Herbst ist unter dem Titel "Marie Antoinette Mania" eine umfassende Ausstellung geplant, die sich nicht nur ihrer Rolle in der blutigen Geschichte der Französischen Revolution widmen möchte, sondern auch ihr selbst, ihrem Leben.

Es soll um die Fülle der ganz unterschiedlichen Bilder gehen, die es zu Lebzeiten, erst recht aber nach ihrem Tod von ihr gegeben hat. Man versucht einen Relaunch. Und man darf heute schon gespannt sein, in welchem Licht sie diesmal erscheinen wird, diese so unglückliche Frau, die sich auch heute, 225 Jahre nach ihrem tragischen Ende, nicht so einfach ins Totenreich der Geschichte verabschieden lässt.

© SZ vom 02.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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