Mallorca nach dem Anschlag:Zwischen Beklemmung und Ballermann

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Am Tag nach dem Eta-Anschlag auf Mallorca werden die Opfer betrauert. Es herrscht höchste Alarmstufe. Doch die Touristen lassen sich kaum schrecken.

Javier Cáceres

Still wie ein See ruht das Mittelmeer, als das Leben am Ballermann allmählich erwacht. Touristen holen die ersten Liegestühle von den Stapeln herunter und rammen sie in den Sand, im Supermarkt wandern die ersten Eimer mit Bölkstoff - "Eis und Riesenstrohhalme inklusive" - über den Tresen, ein paar versprengte Überbleibsel der letzten Nacht können nicht verbergen, dass sie mehrere Eimer davon im Blut haben. Hier frönen einige Touristen dem Frühsport, dort andere dem Frühbier. "Das ist gut, um die Pein zu vergessen", sagt der Kellner, auf seinem blauen Namensschild steht "Rafa".

Letzte Ehre: Spaniens Premier Zapatero erweist den Getöteten die letzte Ehre. (Foto: Foto: AFP)

Pein, Trauer, Trübsal, das ist hier nicht zu spüren, die narkotisierende Wirkung von Sonne, Strand und Bier, sie funktioniert. Zwölf Kilometer weiter, im Herzen von Palma de Mallorca, reiht sich eine Trauerveranstaltung an die nächste. Im Palau de L'Almudaina werden die beiden jüngsten Opfer der baskischen Terrororganisation Eta aufgebahrt, die zwei Angehörigen der spanischen Zivilgarde, die am Donnerstag in ihrem Dienstjeep in die Luft gesprengt wurden.

Die Trauer ist groß

Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero ist gekommen, er heftet Verdienstorden auf die Särge, sie sind mit der spanischen Flagge bedeckt. Dann reist er zurück nach Madrid, zum Ministerrat, er sieht nicht mehr, wie Zivilgardisten die Särge schultern und in die Kathedrale tragen, unter dem hilflosen Applaus der 2000 Trauergäste. Viele weinen. Kronprinz Felipe ist da, seine Frau Letizia, auch die Töchter von König Juan Carlos, der an diesem Samstag seinen Urlaub antreten wird, im hoch ummauerten Marivent-Palast, knapp zehn Autominuten vom Anschlagsort Palmanova entfernt. Angeblich sollen 600 Agenten über ihn wachen, 100 mehr als noch vor einem Jahr.

Kurz vor Mitternacht waren dort die letzten Reste des verkohlten Wracks des Polizeiautos von der Spurensicherung davongetragen worden. Zahlreiche Schatten von Touristen waren im Hotel gegenüber zu sehen, wie Scherenschnitte standen sie auf den Balkons ihrer Bettenburg. Die Carrer de Na Boira, die Straße, in der alles geschah, und wo die Zivilgarde nur provisorisch in einem Stadtverwaltungsgebäude untergebracht ist, war noch immer abgesperrt, zwei Polizisten schoben Wache.

Auf den Vergnügungsmeilen der Insel waren weniger Menschen zu sehen als sonst; im Mirlo-Hotel, keine 200 Meter vom Tatort entfernt, war nicht die Bar gefüllt, die Gäste waren vielmehr dabei, ihre Zustände am Computer in die Sozialnetzwerke einzuspeisen. Clayton Guest, ein 22-jähriger Ire mit blonden Strähnchen im Haar und dünnen Koteletten, erzählt, wie es am Donnerstagmittag laut geknallt habe, alle aus dem Hotel gerannt seien, das Auto in Flammen stand, der Rauch hinüberwehte.

Verwirrende Auskünfte

Ob ihn nun Angst beschleiche? "Dann wäre ich nicht mehr hier." Einerseits. "Andererseits", sagt er, "wir schauen englisches Fernsehen, und da wurde gesagt, es werde nach einer dritten Bombe gesucht." Es war eine Falschmeldung. An der Bar, drei Schritte weiter, ist im spanischen Fernsehen zu sehen, wie der Bürgermeister von Calvià, zu dessen Verwaltungsdistrikt Palmanova zählt, davon spricht, dass die Sicherheitskräfte zuletzt vielleicht nicht wachsam genug waren, "womöglich wegen des nunmehr zerstörten Klischees, dass die Insel ein sicheres Refugium vor der Eta-Barbarei" sei, wie die Zeitung Última Hora schreibt.

Auch weil es so unvermutet kam, trifft das Attentat die Mallorquiner ins Mark. Das Jahr ist sowieso schon schlecht, die Krise, die Schweinegrippe - und nun fürchten sie, dass nach der Bombe noch mehr Gäste ausbleiben. Politiker und Behördenvertreter schimpfen über englische und deutsche Boulevardmedien. Ebenso Rafa, der Kellner, weil die Hysterie mit der Schweinegrippe geschürt werde, "nur über die Desaster, die die Deutschen hier anrichten, keine Zeile".

Lässt man die Leute, die vom Tourismus leben, lange genug sprechen, Wirte, Kellner, Taxifahrer, landen sie rasch bei üblen Lynchphantasien. Der Protest, den die Institutionen äußern, ist still: Vor dem Rathaus treffen sich Politiker, Unternehmer, Gewerkschafter, die Regierungschefs der Balearen und des Baskenlandes und ein paar hundert Bürger zu fünf Schweigeminuten. Sie beginnen, als die Glocken Mittag läuten und enden mit lang anhaltendem Applaus. "Asesinos, asesinos . . .", ruft die Menge, "Mörder, Mörder". Dann drängen die Journalisten auf Ramón Socías zu, den Vertreter der Zentralregierung auf der Insel.

Erste Fahndungsfotos

Der rotblonde Mann steht vor einem Strauß von Mikrofonen, spricht von "konkreten Spuren, die verfolgt werden", und von der Hypothese, dass zwei von der Polizei ins Visier genommene Verdächtige wohl nur in einer Wohnung darauf warten, dass "die Lage abkühlt".

Am Mittag verbreitet die Polizei Fahndungsfotos von sechs mutmaßlichen Eta-Mitgliedern, sie stehen in Verdacht, an den beiden Anschlägen dieser Woche - Burgos am Mittwoch, Mallorca am Donnerstag - beteiligt gewesen zu sein. Auf den Insel-Autobahnen künden Staus von strengen Kontrollen, auch am Flughafen sind sie verstärkt, und vor allem die Patrouillenboote der Guardia Civil sind in erhöhter Alarmbereitschaft. Als die Eta 1995 plante, den König mit einem Präzisionsgewehr zu erschießen, wollten die - verhinderten - Täter erst per Motorrad fliehen und dann die Insel auf dem Seeweg verlassen. Wer weiß, wo sie nun stecken, wie groß ihr Bestreben ist, die Insel zu verlassen.

Die Touristen jedenfalls wollen die Insel nicht verlassen. Daran, die Ferien abzubrechen, dachte in Mallorca kaum jemand, am Tag nach der Bombe.

© SZ vom 1.8.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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