Bundeswehr:Unfallbericht legt tödliche Fehler offen

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Ankunft der ersten beiden Kampfhubschrauber des Typs Tiger im März 2017 in Gao, Mali. Fünf Monate später gibt Airbus nach dem Tod von zwei Piloten eine Sicherheitswarnung für das Fluggerät heraus. (Foto: Marc Tessensohn/Bundeswehr/dpa)
  • Im Juli 2017 stürzte ein Kampfhubschrauber der Bundeswehr in Mali ab, beide Piloten starben.
  • Der Unfallbericht legt nun offen, dass die einzigen Beteiligten, die vor dem Absturz alles richtig gemacht hatten, die beiden Opfer waren.
  • Eine Reihe von Umständen führte zu dem Absturz - unter anderem offenbar Schlampereien und Fehler der Herstellerfirma Airbus Helicopters.

Von Mike Szymanski, Berlin/Gao

Es war wohl der bedrückendste Weg für Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im Verlauf ihres Besuchs bei den deutschen Soldaten in Mali. Gleich nach der Ankunft im Wüstencamp in Gao führte der Kontigentführer sie auf einen staubigen Vorplatz im Feldlager, zu der Gedenkstätte für die Gefallenen. "Never forget" steht dort auf einer Holzsäule. Darauf brannte eine Kerze. Der Militärpfarrer sprach zur Ministerin und den Soldaten, die sich rechts und links von ihr aufgestellt hatten und schwiegen: "Der Tod ist der Schatten unseres Lebens."

Am 26. Juli 2017, um 11.51 Uhr, brachen die Soldaten Thomas M. und Jan F. mit ihrem Kampfhubschrauber vom Typ Tiger zu einem Einsatz auf, von dem sie nicht lebend zurückkehrten. Sie sollten Infos über sich bekämpfende Milizen einholen. Aber am Einsatzort kamen sie nie an. Um 12.12 Uhr stürzte ihr Hubschrauber 82 Kilometer nördlich von Gao ab.

Im Unfallbericht des für Flugsicherheit in der Bundeswehr zuständigen Generals vom 7. Dezember heißt es: "Dies war für die Besatzung nicht zu überleben." Fest steht auch: Die Piloten hatten nichts falsch gemacht. Eine Reihe von Umständen führte zu dem Absturz, wie jetzt durch den Bericht bekannt wurde. Von einer Ereigniskette ist die Rede. Am Anfang dieser Kette stehen dem Bericht zufolge Schlampereien und Fehler der Herstellerfirma Airbus Helicopters. Die Staatsanwaltschaft Kempten ermittelt mittlerweile gegen drei Techniker des Unternehmens wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung. Sie sollen die Hauptrotorsteuerung falsch eingestellt haben. Aber auch die Bundeswehr muss sich unangenehme Fragen gefallen lassen, weil Verantwortliche ihre Prüfpflichten nicht kannten. Dabei hatte es schon früh Hinweise gegeben, dass etwas nicht stimmt. "Ob ein Ermittlungsverfahren auch noch gegen weitere Personen einzuleiten ist, ist derzeit noch nicht absehbar", heißt es bei der Staatsanwaltschaft.

Der Tiger-Hubschrauber, stationiert beim Kampfhubschrauberregiment in Fritzlar, musste bereits am 10. März 2016 in die Werkstatt, mehr als ein Jahr vor dem Unglück also. Das System meldete: "Sporadisch auftretender Fehler in der Flugsteuerung". In den Wartungsunterlagen wurde dies mit einem roten Kreuz vermerkt. Vor einer Kontrolle durch Fachleute durfte der Hubschrauber nicht mehr abheben. Teile wurden ausgetauscht, danach musste die Hauptrotorsteuerung neu eingestellt werden. Dabei passierte der fatale Fehler.

Ein Team von Airbus-Technikern war mit dieser Aufgabe beauftragt worden. Es gibt mehrere Verfahren, die Einstellungen vorzunehmen, aber die Bundeswehr verfügt nur über eingeschränkte Möglichkeiten. Deshalb bekam die Industrie den Auftrag. Für die Einstellungsarbeiten wurde der Hubschrauber jedoch von den Technikern an einem falschen Bezugspunkt ausgerichtet, "was allerdings bei allen Beteiligten unbemerkt blieb", wie es im Unfallbericht nun heißt.

Wie sich herausstellte, hätte das von Airbus geschickte Personal die Arbeiten gar nicht durchführen dürfen. Es hatte laut Bericht "gemäß den firmeneigenen Vorschriften die vorgegebene Ausbildung noch nicht abgeschlossen und verfügte damit nicht über die erforderliche Qualifikation zur Durchführung beziehungsweise Abnahme der Einstellarbeiten an der Hauptrotorsteuerung". Die Airbus-Techniker werden unter Aufsicht von Paten ausgebildet: Bis sie selbständig an den Hubschraubern arbeiten dürfen, sind kritische Arbeitsschritte mehrfach auszuführen und von erfahrenen Kollegen zu kontrollieren. Zudem müssen sie mit den Besonderheiten der Systeme vertraut gemacht werden.

140 Stunden flog der "Tiger" noch, nachdem er aus der Werkstatt gekommen war

"Die geforderten Basissystemeinweisungen" hätten zwei der drei Techniker "zum Zeitpunkt der Einstellung" der Rotorsteuerung nicht nachweisen können. Ein Pate sei "bei der Instandhaltungsmaßnahme nicht vor Ort gewesen, und auch die Arbeitspapiere wurden nicht wie vorgesehen durch einen Paten gezeichnet", stellt der Abschlussbericht fest. Airbus Helicopters erklärte, man habe zur Kenntnis genommen, dass die fehlerhafte Einstellung der Rotorsteuerung "ein Faktor in der Ereigniskette war, die zu dem Unfall geführt hat". Sofort umgesetzte Maßnahmen hätten sichergestellt, "dass sich ein solcher Vorfall nicht wiederholen kann". Den Angehörigen gelte das Mitgefühl.

Hätte der Bundeswehr der Fehler auffallen müssen? Ihre Prüfer sind verpflichtet, die Arbeiten zu kontrollieren. Diese Vorschrift sei dem verantwortlichen Personal nicht bekannt gewesen, es ging davon aus, die Industrie übernehme das. Aber es wäre auch von der Ausbildung her nicht imstande gewesen, die Arbeiten und Einstellungen alle auf Richtigkeit hin zu prüfen. Untätig blieben sie zwar nicht. Ihnen fiel auf, dass sich bei der Grundstellung des Steuerknüppels etwas verändert hatte und nicht stimmte. Dies kam auch in Gesprächen mit Airbus zur Sprache, aber die "Brisanz der Abweichung" wurde nicht erkannt. Alle seien davon ausgegangen, dass der Hubschrauber "korrekt eingestellt" worden sei. Die Bundeswehr verzichtete auf eine "Detailanalyse" durch den Hersteller, der Hubschrauber wurde wieder eingesetzt. In Deutschland flog er 50 Stunden, bevor der Tiger Ende März 2017 nach Mali verlegt wurde. Auch dort war er 90 Stunden im Einsatz, ohne dass es Auffälligkeiten gegeben habe. Erst am 26. Juli 2017, dem Unfalltag, machte sich der Fehler in der Rotoreinstellung auf verhängnisvolle Weise bemerkbar.

Der Hubschrauber war schwer beladen, die Piloten hatten es eilig, sie flogen mit Höchstgeschwindigkeit. Der Autopilot war eingeschaltet - aber der Bordcomputer arbeitete mit Werten, die wegen der falschen Grundeinstellung nicht stimmten. Dies zeigte sich, als der Computer das plötzliche Aufsteigen des Helikopters korrigieren wollte, Werte verkehrt interpretierte und sich der Autopilot unbemerkt abschaltete, weil er voraussetzte, die Piloten würden eingreifen. Doch die Piloten hatten keine Chance, den Absturz noch abzuwenden.

© SZ vom 08.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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