Malaysia Airlines:Was der MH17-Abschlussbericht beweist - und was nicht

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Die Niederlande verloren beim Absturz von MH17 196 Landsleute, unter ihnen einige Wissenschaftler, die auf dem Weg zu einem Aids-Kongress in Asien waren. (Foto: Getty Images)
  • Flug MH17 urde am 17. Juli 2014 über der Ost-Ukraine von einer russischen Buk-Rakete abgeschossen - das ist das Ergebnis eines Untersuchungsberichtes.
  • Die wichtigste, politisch brisanteste Frage jedoch, jene nach den Tätern und Verantwortlichen, lassen die Ermittler offen.
  • Nach einer Antwort suchen nun andere Ermittler.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Flug MH17 von Amsterdam nach Kuala Lumpur mit 298 Menschen an Bord wurde am 17. Juli 2014 über der Ost-Ukraine von einer russischen Buk-Rakete abgeschossen. Das ist die zentrale Erkenntnis des Untersuchungsberichts, den niederländische Ermittler am Dienstag vorstellten. Der Bericht rekonstruiert den Absturz, bei dem alle Insassen starben, im Detail und beantwortet einige offene Fragen. Die wichtigste, politisch brisanteste Frage jedoch, jene nach den Tätern und Verantwortlichen, lassen die Ermittler offen, vor allem, weil das nicht zu ihrem Auftrag gehört.

Nach einer Antwort suchen nun andere Ermittler. Die Niederlande waren am stärksten betroffen von der Katastrophe im ukrainischen Kriegsgebiet. Sie verloren 196 Landsleute, unter ihnen einige Wissenschaftler, die auf dem Weg zu einem Aids-Kongress in Asien waren. Deshalb wurden sie von der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation beauftragt, die in solchen Fällen vorgeschriebene Untersuchung zu leiten, gemeinsam mit Experten aus der Ukraine, den USA, Großbritannien, Malaysia, Russland und Australien. Das Ergebnis präsentierten Tjibbe Joustra, der Vorsitzende des Nationalen Sicherheitsrats der Niederlande (OVV), auf einem Militärflugplatz nahe Tilburg, vor einem Gestell, auf das die gefundenen Wrackstücke des Vorderteils der zerstörten Boeing 777 montiert wurden.

An ihnen lässt sich der Hergang des Ereignisses auf den ersten Blick erkennen. Weniger als einen Meter von der linken, oberen Cockpit-Seite entfernt sei in der Luft ein Sprengkopf vom Typ 9N314M explodiert, so Joustra, abgefeuert von einem Boden-Luft-Raketensystem des Herstellers Buk. Nachgewiesen werden konnte dies unter anderem anhand der Farbe von einigen der vielen Hundert kleinen Metallteile, die das Flugzeug durchbohrten. Das Cockpit riss daraufhin ab. Die dreiköpfige Flug-Besatzung war auf der Stelle tot.

Russland und die Rebellen weisen Verdacht zurück

Bezüglich des Ortes, von dem aus die Rakete abgeschossen wurde, bleibt der Bericht vage. Er könne auf eine Fläche von 320 Quadratkilometern eingegrenzt werden. Diese sei damals in der Hand der Rebellen gewesen, sagte Joustra - allerdings nicht auf dem Podium, sondern später im Fernsehen: "Es ist ein Gebiet, wo die Grenzen fließend waren. Aber es ist ein Gebiet, wo die prorussischen Rebellen die Kontrolle hatten." Um den Ort genauer zu bestimmen, sei eine "zusätzliche forensische Untersuchung" nötig, so der Bericht. Westliche Experten nahmen früh an, dass die Rakete von einer mobilen Rampe aus dem Rebellenort Schischne abgefeuert wurde, entweder von russischen Soldaten oder prorussischen Rebellen. Russland und die Rebellen weisen den Verdacht zurück.

Umso wichtiger werden nun die Erkenntnisse einer zweiten Ermittlergruppe. Unter Führung des niederländischen Staatsanwalts Fred Westerbeke suchen Experten aus fünf Ländern ausdrücklich nach den Verantwortlichen für das Unglück, brauchen dafür aber handfeste Beweise. Sein Team habe einige mögliche Täter näher im Visier, sagte Westerbeke vor Monaten. Doch soweit, einen förmlichen Verdacht aussprechen zu können, sei man noch nicht. Sein Bericht sollte eigentlich bis Ende 2015 abgeschlossen sein.

In niederländischen Medien heißt es nun, mit Ergebnissen sei frühestens im Lauf des kommenden Jahres zu rechnen, vielleicht auch viel später. Eingeweihte werden mit dem Verweis auf die Ermittlung nach dem Absturz des PanAm-Flugs über dem schottischen Lockerbie zitiert. Damals habe es zwölf Jahre gedauert, bis ein Strafprozess gegen Verdächtige begonnen habe.

UN-Tribunal scheitert an Einspruch Russlands

Offen ist noch, wie die betroffenen Staaten juristisch weiter vorgehen wollen. Australien, Malaysia und auch die Niederlande hatten zunächst die Einrichtung eines speziellen UN-Tribunals gefordert, um die Schuldigen zu verurteilen. Ein entsprechender Vorstoß scheiterte an russischem Einspruch. Denkbar, wenn auch wohl unergiebiger, wäre ein Prozess vor einem nationalen Gericht, etwa in den Niederlanden.

Neben der Klärung der Absturzursache hatten sich die Ermittler des OVV weitere Ziele gesetzt. So wollten sie herausbekommen, warum es so lange gedauert hat, nämlich in manchen Fällen vier Tage, bis Angehörige endgültig über die Namen der Opfer informiert wurden. Da habe das Krisenmanagement versagt, heißt es im Bericht. Künftig müssten wenigstens die Nationalitäten auf den Passagierlisten stehen.

Zum zweiten fragen die Ermittler, warum Malaysia Airlines über dem umkämpften Gebiet flog, während viele andere Fluggesellschaften dies nicht mehr taten. Die Ukraine hätte einen "ausreichenden Grund" gehabt, den gesamten Luftraum über der Gegend zu sperren, kritisiert der Bericht, der Fluggesellschaften und Behörden auffordert, wachsamer zu sein und mehr Informationen auszutauschen.

Passagiere bekamen vom Absturz wenig mit

Abschlussbericht zu Malaysia Airlines
:MH17 von Buk-Rakete abgeschossen

Eine Boden-Luft-Rakete aus einer Buk-Batterie verursachte dem Abschlussbericht zufolge den Absturz von Flug MH17 über der Ostukraine. Für die Angehörigen ist aber ein anderes Ergebnis der Ermittler besonders wichtig.

Geklärt wurde zudem, dass die Passagiere vom Absturz des Flugzeugs wenig mitbekamen, vielmehr Sekunden nach Einschlag der Rakete das Bewusstsein verloren. "Es ist anzunehmen, dass die Fluggäste die Situation, in der sie sich befanden, nicht erfassen konnten", heißt es im Bericht. Ähnlich war dies in ersten Berichten nach dem Unglück zu hören gewesen.

In einem Interview sagte der damalige niederländische Außenminister Frans Timmermans jedoch später, es sei auch ein Opfer mit einer Sauerstoffmaske gefunden worden. In einer Rede ging er auf die möglichen letzten Sekunden im Flugzeug ein. Für viele Angehörige war das schwer zu ertragen, sie baten um genauere Klärung. Die Ermittler bestätigen, ein Opfer habe eine Maske um den Hals gehabt. Es bleibe aber unklar, ob die Person sich die Maske in einem Reflex selbst aufgesetzt oder dies später jemand am Boden gemacht habe.

© SZ vom 14.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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