Verluste in Makijiwka:Russische Regierung korrigiert Opferzahl nach oben

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Russische Nothelfer bei Aufräumarbeiten in den Trümmern der früheren Berufsschule im ostukrainischen Makijiwka. (Foto: Imago/SNA)

Noch nie hatte das Verteidiungsministerium eine so große Zahl gefallener russischer Soldaten in einem einzigen Angriff bestätigt. Verantwortlich für die ukrainischen Raketenschläge sei das Fehlverhalten der Rekruten gewesen.

Von Silke Bigalke

Wenn russische Soldaten in der Ukraine fallen, hat das in Russland meist keine sichtbaren Folgen. Selten spricht das Verteidigungsministerium über die Verluste, noch seltener lösen diese Verluste Proteste aus. In dieser Woche aber war das anders. Der Gegenschlag, den die russische Armee in dem von ihr kontrollierten ostukrainischen Ort Makijiwka hinnehmen musste, war wohl zu groß, die Fehler, die ihr dort unterlaufen sind, offenbar zu frappierend, um sie in einer Randnotiz abzuhandeln.

In der Silvesternacht hatten ukrainische Raketen mindestens 89 russische Armeeangehörige getötet, die in Makijiwka gemeinsam mit Hunderten weiteren Soldaten in einer früheren Berufsschule untergebracht waren. Das Verteidigungsministerium korrigierte die Opferzahl in der Nacht zum Mittwoch nach oben, ein beispielloser Schritt. Zuvor hatte Moskau von 63 Toten gesprochen, während die ukrainische Seite sogar von 400 getöteten Russen sprach.

Demonstrationen gibt es - von Kreml-Loyalen

Die neue Erklärung des Ministeriums in Moskau folgte eher ungewöhnlichen Protesten: In mehreren Städten der russischen Region Samara waren Menschen auf die Straße gegangen, um der Gefallenen zu gedenken. Mehreren Berichten zufolge waren die Soldaten in dem zerstörten Gebäude in Makijiwka frisch Mobilisierte gewesen, erst in den vergangenen drei Monaten eingezogen und daher eher kampfunerfahren. Unter ihnen waren auch Rekruten aus Samara.

Dort demonstrierten die Menschen nun nicht etwa gegen den Krieg, ihre Vorwürfe richten sich auch nicht gegen den Kreml, im Gegenteil. Auf dem Platz in der Regionshauptstadt waren vielmehr russische Fahnen zu sehen und auch das schwarz-orangefarbene Sankt-Georgs-Band, das als Zeichen der Unterstützung für die Armee gilt. Am zentralen Denkmal für die Gefallenen des zweiten Weltkriegs legten die Leute Blumen nieder.

"Trauern eint uns", sagte Jekaterina Kolotowkina, die Ehefrau eines russischen Generalleutnants, in ein Mikrofon. Videos von ihrem Aufritt sind im Internet zu finden. "Wir werden den Feind gemeinsam zerstören. Uns bleibt keine Wahl. Weder wir noch unsere Männer wollten den Krieg. Aber der Westen hat sich gegen uns verbündet, um uns zu vernichten." Dann wies sie noch darauf hin, dass keiner der Getöteten zu dem Regiment gehöre, das ihr Mann kommandiert.

Das russische Verteidigungsministerium reagierte mit seiner neuen Stellungnahme wohl weniger auf diese Demo als auf die Kritik zahlreicher kremlnaher Kriegsberichterstatter. Nachdem der Sprecher des Ministeriums den Raketenangriff auf das frühere Berufsschulgebäude am Montag knapp und weit hinten in seinem täglichen Briefing abgehakt hatte, stellte sich nun Generalleutnant Sergej Sewrjukow vor die Kamera. Sewrjukow leitet stellvertretend die militärpolitische Abteilung der Armee.

Der Generalleutnant verweist auf "massenhaften" Handygebrauch

Noch nie hatte das Ministerium eine so große Zahl gefallener Soldaten in einem einzigen Angriff bestätigt wie der Generalleutnant in seinem knapp dreiminütigen Auftritt. Er sprach von einer "Tragödie" und davon, dass die Schuldigen zur Verantwortung gezogen würden. Zuvor müsse man die Umstände des Vorfalls untersuchen. Dabei sei schon jetzt offensichtlich, dass vor allem die "massenhafte" und überdies verbotene Nutzung von Mobiltelefonen durch die Soldaten zu dem Vorfall geführt habe, sagte er. Dadurch habe der Feind deren Standort lokalisieren können. Soll heißen: Die Rekruten in dem zerstörten Gebäude waren in erster Linie selbst schuld.

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Nicht nur dieser Punkt klang nach Rechtfertigung. Sewrjukow begann seine Erklärung mit dem Hinweis, dass die russische Armee zwei der sechs Raketen, die die ukrainische Armee abgeschossen habe, abgefangen konnte. Die anderen vier hätten dann tragischerweise die frühere Berufsschule getroffen. Außerdem berichtete er ausführlich über den russischen Gegenschlag, bei dem auch die Himars-Abschussrampen zerstört worden seien, von denen die Raketen auf Makijiwka abgefeuert worden waren. Unabhängig überprüfen lässt sich das nicht.

Zu den Kritikpunkten der kremlnahen Kriegsblogger verlor Sewrjukow kein Wort. Sie hatten es als Fehler angeprangert, dass Hunderte Soldaten geballt in einem einzigen Gebäude und dazu offenbar in unmittelbarer Nähe eines Munitionslagers untergebracht worden waren.

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