Lufthansa:Kaputtstreiken

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Niemand sollte sich der Illusion hingeben, dass der Streik der Flugbegleiter ohne Folgeschäden bleibt.

Von Nikolaus Piper

Sieben Tage haben die Flugbegleiter von der Gewerkschaft UFO die Lufthansa bestreikt, es war der bisher längste Ausstand in der Geschichte des Unternehmens. Das Ergebnis am Wochenende: Bitternis, Ratlosigkeit und Vorwürfe; eine Lösung der Probleme hinter dem Streik liegt ferner denn je. Immerhin ist jetzt erst einmal Pause. Man kann nur hoffen, dass die Leute von UFO die Zeit nutzen, um zur Besinnung zu kommen. Streiks wie der der Flugbegleiter jetzt oder wie der der Piloten vor ein paar Wochen gefährden nicht nur die Lufthansa; sie untergraben auch die Akzeptanz der Institution Streikrecht.

Die Deutschen haben in aller Regel viel Verständnis für Streikende, seien es nun die Erzieherinnen oder die Müllwerker. Arbeitsniederlegungen sind hierzulande selten und meist ziemlich zivilisiert, anders als etwa in Frankreich. Es scheint, als gebe es in Deutschland ein kollektives Bewusstsein dafür, dass das Streikrecht einmal als Defensivrecht entstanden ist, in einer Zeit, in der die Arbeiter noch Bürger zweiter Klasse waren. Arbeitnehmer dürfen kollektiv in den Ausstand treten, weil sie strukturell gegenüber den Unternehmern und Kapitalbesitzern in einer unterlegenen Position sind oder es zumindest einmal waren.

Das Recht dazu wurde mühsam erkämpft - und immer wieder infrage gestellt. Das Pathos, das Streiks bis heute oft begleitet, hat mit dieser Geschichte zu tun. Im Grundgesetz kommt das Wort "Streikrecht" zwar nicht vor, Artikel 9 schützt jedoch das Recht auf Arbeitskämpfe als Teil des Koalitionsrechts ausdrücklich. Streiks mögen aus ökonomischer Sicht oft bedenklich und falsch sein; sie sind aber ein notwendiger Teil der sozialen Marktwirtschaft.

Die Streiks der 19 000 Flugbegleiter (sie schädigten direkt eine halbe Million Fluggäste), ebenso wie die der Piloten und der Lokführer zuvor, sind ein anderes Kaliber. Hier kämpft eine kleine Berufsgruppe um ihre Privilegien. Die Stewardessen und Stewards der Lufthansa haben eine Altersversorgung, von der die Mitarbeiter anderer Unternehmen nur träumen können. Bei den Piloten war es ähnlich, bei den Lokführern geht es um eng definierte Interessen einer kleinen Berufsgewerkschaft. Streiks unter diesen Bedingungen haben nichts mit Defensive zu tun, sie tragen Züge von Nötigung. Oft finden sie am Rande des Erlaubten statt. Den jüngsten Pilotenstreik stoppten Richter, weil die Streikenden die Strategie der Lufthansa ändern wollten, was nicht Gegenstand eines Arbeitskampfes sein kann. Die Gewerkschaft der Flugbegleiter scheint bisher diese Grenze nicht überschritten zu haben.

Dem Problem ist wohl weder vor Gericht noch mit neuen Gesetzen (wie dem Tarifeinheitsgesetz der großen Koalition) beizukommen. Letztlich geht es um die Kultur der Arbeitsbeziehungen. Bisher war diese Kultur in Deutschland vorbildlich im Vergleich zu anderen Ländern . Zu ihr gehörte es, dass die Gewerkschaften Grenzen akzeptierten und meist nicht versuchten, ein Unternehmen kaputtzustreiken. Bei den aggressiven Berufsgewerkschaften der Lufthansa weiß man nicht mehr, ob diese Voraussetzung noch gilt.

Dabei geht es in dem Unternehmen tatsächlich um die Existenz. Wegen der Konkurrenz der Billigflieger muss sich das Unternehmen zum Teil neu erfinden. Angesichts niedriger Zinsen ist es fast unmöglich, die Pensionsversprechen aus besseren Jahren einzuhalten. Und in dieser Situation ein Erzwingungsstreik? Niemand sollte sich der Illusion hingeben, dass so etwas ohne dauerhafte Schäden für die Arbeitskultur in Deutschland bleibt.

© SZ vom 14.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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