London:Bitte nicht tief durchatmen

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Jahr für Jahr sterben etwa 10 000 Menschen in der Metropole an den Folgen der enormen Luftverschmutzung. Deshalb will der Bürgermeister private Kamine und Holzöfen verbieten. Das regt die Menschen auf. Präfix

Von Cathrin Kahlweit

Das alte, ehrwürdige Oxford ist ausnahmsweise einmal schneller als das sonst so hippe London: Die berühmte Universitätsstadt wird alle Benziner und Diesel-Fahrzeuge aus ihrer City verbannen, komplett, als erste Stadt im Königreich. 2020 soll Schluss sein, dann dürfen weder Busse noch Taxis noch Privatwagen durch die Straßen im innersten Zentrum fahren; alle fünf Jahre soll der Kreis, in dem das Verbot gilt, ausgeweitet werden. Das Ziel: ein abgas- wenngleich nicht autofreies Oxford im Jahr 2035. Denn Elektrofahrzeuge werden auch weiterhin zugelassen sein auf dem Kopfsteinpflaster zwischen den mittelalterlichen Colleges.

London ist da längst nicht so weit, auch wenn Bürgermeister Sadiq Khan die Luftreinhaltung in der Neun-Millionen-Metropole als eines seiner wichtigsten Ziele bezeichnet. "Unsere Parks und Grünflächen sind Teil der DNA dieser Stadt", schrieb Labour-Mann Khan in sein Wahlprogramm 2016, "trotzdem ist London eine der Städte mit der höchsten Luftverschmutzung auf der Welt." Städte im Norden Englands, wie Birmingham oder Nottingham, machen ihre Sache besser. In London dagegen sterben geschätzt 10 000 Menschen jährlich an den Folgen der Luftverschmutzung. Khan selbst leidet an Asthma.

Tatsächlich ist die Luft in Großbritannien im europäischen Vergleich besonders schlecht. Eine im Mediziner-Fachblatt Lancet veröffentlichte Studie zeigte unlängst, dass Großbritannien in Westeuropa an dritter Stelle steht bei den durch Luftverschmutzung verursachten Todesfällen. Und die Londoner trifft es besonders hart. Im vergangenen Januar etwa sollen die Smog-Werte in der britischen Hauptstadt höher gewesen sein als die in Peking, meldete der Telegraph. Es waren die schlechtesten seit 2011.

In London müssen Fahrer alter Autos eine "Gift-Gebühr" bezahlen

Khans Vorschläge waren bislang eher konventionell: mehr Busse, mehr Fahrradwege, mehr Bäume - und eine Ausweitung der Verbotszone in der City, in die nur Fahrzeuge mit einer besonders niedrigen Schadstoffemission hineinfahren dürfen. Wer über dem Limit liegt, muss eine Art Strafzoll zahlen. Erst im Oktober war die sogenannte T-Charge erhöht worden. T steht für Toxicity und ist ein Aufschlag von zehn Pfund für jene Autofahrer, die schon jetzt im Zentrum, in der "Congestion Charge Zone", eine Gebühr für besonders alte und schadstoffreiche Autos zahlen.

Nun aber gerät Khan zunehmend unter Druck, weil die Luft trotzdem nicht besser wird. Im Gegenteil, sie wird noch schlechter. Wer es sich leisten kann, zieht an den Stadtrand, nach Wimbledon etwa oder Hampstead Heath, aber die wenigsten Londoner können sich die hohen Mieten in den schicken Vororten leisten. In einem Report, der Mitte Oktober veröffentlicht worden ist, warnen daher der Chef des staatlichen Gesundheitssystems und Mitglieder mehrerer Thinktanks vor den gravierenden Schäden für Londons Bürger. Abgeordnete der Labour-Partei haben zudem im Parlament eine Initiative gegen giftige Luft gestartet.

Die deutschen Autobauer sollten in einen Entschädigungsfonds zahlen, findet der Bürgermeister

Nun hat Khan, der erste Londoner Bürgermeister mit muslimischem Familienhintergrund, zwei Maßnahmen ergriffen, die sowohl populistisch als auch schlagzeilenträchtig sind. In einem Brief an deutsche Autohersteller hat er BMW, VW und Mercedes-Benz aufgefordert, sich finanziell an einem Fonds gegen die Luftverschmutzung in London zu beteiligen. Khan warf den Konzernen mit Blick auf den Diesel-Skandal vor, sie würden mit zweierlei Maß messen. "Die Londoner werden erstaunt sein zu hören", so Khan, "dass die deutschen Autobauer einerseits zugeben, sie müssten ihre Emissionen reduzieren - aber sich andererseits nicht auch bei uns engagieren." Volkswagen habe Kompensationszahlungen in den USA akzeptiert, nun müsse die deutsche Auto-Industrie auch anderswo auf der Welt zahlen.

Der Appell, so ist zu vermuten, dürfte vorerst verhallen und bewegt die Londoner daher auch nicht sonderlich. Regelrecht schockiert hingegen waren viele Einwohner der Stadt, als sie lesen mussten, dass Khan mit dem Gedanken spielt, Kamine und Holzöfen in Privathäusern in besonders belasteten Stadtbezirken verbieten zu lassen. In einem Schreiben an den Umweltminister hat er angeregt, die nationale Luftreinhalteverordnung so zu ergänzen, dass das Verbrennen von Holz und Kohle untersagt werden kann. In Großbritannien mit seinem oft nasskalten Wetter sind Kamine allerdings sehr populär und gehören zur Wohntradition. Die Nachfrage hat sich in den vergangenen fünf Jahren noch einmal verdreifacht - unter anderem, weil Hausbesitzer auf diese Art ihre Energiekosten senken wollen, die in London extrem hoch sind.

Viele ältere Briten erinnern sich noch mit Schaudern an den legendären "Great Smog" von 1952, als die Hauptstadt in einer Abgaswolke versank. Zehntausende bekamen Atemprobleme, etwa 12 000 Menschen starben. Die Katastrophe ging als "tödlicher Nebel" in die Stadtgeschichte ein. In der Folge wurde vier Jahre später der Clean Air Act beschlossen, eine Reihe von Gesetzen zur Bekämpfung der Luftverschmutzung in London. Tatsächlich wurde die Luft sauberer, aber eben nicht sauber. Und so werden Schulkinder und Ältere auch heute an vielen Tagen im Jahr dazu aufgefordert, sich besser nicht an der Luft zu bewegen, die "frisch" zu nennen ein Euphemismus wäre.

© SZ vom 28.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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