Lockerung der Reisebestimmungen in Kuba:Freiheit mit Einschränkungen

Lesezeit: 3 min

Kuba erlaubt seinen Bürgern die Ausreise. Doch werden Ärzte, Offiziere und Fachleute weiter Hindernisse überwinden müssen. Das Castro-Regime fürchtet, dass sie im großen Stil abwandern.

Peter Burghardt, Buenos Aires

Der Flughafen Havanna wird wohl keinen Massenansturm von Ausreisewilligen erleben. (Foto: dapd)

Am frühen Dienstag machte die Nachricht die Runde, es klang wie die nächste kubanische Revolution. "Kuba aktualisiert seine Migrationspolitik" stand über dem Text in der Zeitung Granma, dem Sprachrohr der Kommunistischen Partei. Von 14. Januar 2013 an brauchen Kubaner für die Ausreise nur noch einen gültigen Pass und nicht mehr wie bisher eine staatliche Reiseerlaubnis sowie eine Einladung, meldete Havanna.

Auch dürfen Auslandsaufenthalte statt bisher maximal elf künftig 24 Monate lang dauern und verlängert werden. Einzelheiten stehen bereits im Amtsblatt Gaceta Oficial und treten in 90 Tagen in Kraft. Das Dekret der Regierung von Raúl Castro verändert Regeln, die seit den Sechzigerjahren gültig sind.

In der ersten Aufregung witterte mancher einen Vorstoß wie einst in der DDR, als der SED-Mann Günter Schabowski am 9. November 1989 die Reisefreiheit verkündete. Damals fiel allerdings binnen Stunden die Mauer. Den folgenden Umbruch hat das sozialistische Kuba bis heute an sich vorbeiziehen lassen. Die kubanische Grenzöffnung tritt auch erst in drei Monaten in Kraft und wird von Engpässen begleitet. Von der Genehmigung ausgenommen sind nicht näher definierte Berufsgruppen. Es würden "Maßnahmen beibehalten, um das menschliche Kapital, das von der Revolution geschaffen wurde, gegen den Raub der Talente durch die Mächtigen zu schützen".

Das Land nicht verlassen dürften Bürger, wenn "Gründe der Verteidigung und der nationalen Sicherheit" vorliegen. Das dürfte wie gehabt Ärzte, Wissenschaftler oder Armeemitglieder betreffen und außerdem Dissidenten. Nach wie vor kontrollieren Passamt und Konsulate die Anträge. Kuba verweist auf "das Recht des revolutionären Staates, sich gegen die Einmischung und Unterwanderung durch die USA und ihre Verbündeten zu verteidigen". "Mogelreform", schimpft die exilkubanische Oppositionsgemeinde in der Zeitung El Nuevo Herald aus Miami.

1,5 Millionen Kubaner leben bereits in der Fremde, die meisten in den USA

Präsident Castro hatte die Reiseerleichterungen vor einiger Zeit in Aussicht gestellt, die Umsetzung erweitert nun die Liste der Reformen. Der 81-jährige Raúl Castro war nach der schweren Darmkrankheit seines 86-jährigen Bruders Fidel Castro 2006 vom Stellvertreter zum Staatschef aufgestiegen. Er brachte seither mehrere Veränderungen auf den Weg. So dürfen die elf Millionen Einwohner inzwischen Häuser und Autos verkaufen und in mehreren Sparten selbständig Geld verdienen. Seither fahren immer mehr private Taxis auf den Straßen. Cafés, Restaurants, Friseursalons und Märkte schießen aus dem Boden, Kleinunternehmern handeln mit T-Shirts, CDs oder Schrauben. Gleichzeitig wurden Hunderttausende Staatsangestellte entlassen, Kubas Haushalt ist klamm.

Reisewillige brauchten bisher eine Erlaubnis und müssen vom Zielland eingeladen sein, oft ist eine bürokratische Odyssee die Folge. Allein für die Dokumente und Stempel sind umgerechnet mehr als 300 Euro zu entrichten - "Carta Blanca" heißt die Lizenz, Passierschein. Solchen Aufwand und ein Flugticket können sich bei einem durchschnittlichen Monatslohn von ungefähr 15 Euro nur wenige leisten, viele Bewerber werden außerdem ohne nähere Gründe abgewiesen. Oppositionellen wie der Bloggerin Yoani Sánchez wurden trotz Visa sämtliche Reiseanträge abgelehnt.

Zwar besteigen dennoch Tausende Kubaner Flugzeuge, oft unterstützt von Verwandten in den USA oder Europa. Die Devisen aus deren neuer Heimat sind Kubas wichtigste Einnahmequelle. Kubanische Sportler oder Musiker mit guten Beziehungen zur KP dürfen sich besonders viel bewegen, doch selbst patriotische Künstler wie der Sänger Silvio Rodríguez verlangten ein Ende der archaischen Beschränkungen. Beim Besuch von Papst Benedikt XVI. im März versprach Raúl Castro "die vollständige Normalisierung der Beziehungen Kubas zu seiner Emigration".

Viele Auswanderer kamen nie mehr zurück. 1,5 Millionen Kubaner leben in der Fremde, vier Fünftel davon in den USA, vor allem in Florida. Zehntausende von ihnen wagten sich mangels Geld und Papieren auf Flößen aufs Meer, Scharen ertranken. 1965, 1980 und 1994 ließ Kubas Führung Fluchtwillige ungestört in See stechen, um Druck abzubauen.

Wer das 90 Meilen entfernte US-Ufer erreicht, dem garantiert Washington seit 1966 das Recht auf Bleibe und Job. Kuba sei die einzige Nation, deren Bürger sich ohne Visum in den USA niederlassen und dort arbeiten dürften, erklärte Raúl Castro im Dezember 2011. Granma bezeichnet Kuba in einem Leitartikel als Opfer des Raubes seiner Spezialisten. Tausende Ärzte, Ingenieure und Techniker seien abgeworben worden, "um die wirtschaftliche und soziale Entwicklung zu verhindern". Das betrachtet das KP-Organ als Folge der "irrationalen und unverantwortlichen Politik" der USA. Sogar Fidel Castros Tochter Alina Fernández floh in die Vereinigten Staaten. Von ihrem Vater hat man länger nichts gehört. Die letzte Kolumne des vormaligen Comandante erschien im Juni und war sechs Zeilen lang. Es ging um die Ausbreitung des Universums.

© SZ vom 17.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: